Wenn die Jungen selbst kochen
Wie sieht die Zukunft der öffentlichen Medien in Europa aus? Zum Jahrestag der No-Billag-Abstimmung stand dies an der ersten International Public Media Conference der SRG SSR im Zentrum. Einig war man sich: Die Jungen spielen eine wichtige Rolle. Wie man sie mit an Bord holen kann, zeigte BBC Scotland mit «The Social».
«It’s all aboot whit ye’re passionate aboot», sagt Kirsty Drain in singendem Schottisch. Es geht nur darum, wofür du eine Leidenschaft hegst. Die 32-Jährige ist Senior Content Producer bei «The Social» , einem digitalen Dienst für Junge von BBC Scotland. Drain redet von der Leidenschaft der sogenannten Contributors – den Mitwirkenden – von «The Social». «Nur durch die Liebe zu dem, was du machst, überzeugst du dein Publikum», führt sie aus. Das Feuer ist auch bei der jungen Produzentin selbst deutlich zu spüren. Wir haben uns kurz vor dem Schluss der ersten International Public Media Conference im Paul Klee Zentrum in Bern getroffen.
In ihrer Eröffnungsrede der Tagung sprach Bundesrätin Simonetta Sommaruga über die Bedeutung der Medien für die Demokratie. Auf dem Podium diskutierten Generaldirektorinnen und -direktoren aus Belgien, Schweden, Deutschland und der Schweiz über Strategien, Vertrauensverlust und Transformation. Viele Worte, mit mal mehr, mal weniger Leidenschaft. Ein überzeugendes, selbstkritisches Schlusswort des EBU-Generaldirektors Noel Curran folgte dann vor der Pause: «Unterschätzen Sie die tiefgreifenden Veränderungen nicht! Wir verbinden uns nicht genug mit dem jüngeren Publikum.»
Inhalte aus ganz Schottland
Bei «The Social» in Schottland dreht sich alles um die Jungen, die 18- bis 34-Jährigen. Der Dienst findet ausschliesslich auf Social Media statt: auf YouTube, Instagram, Facebook und auf Twitter. Anstatt den Jungen Inhalte zu servieren, die ihnen vielleicht gar nicht schmecken, sind die Jungen hier selbst die Köchinnen und Köche. Fast alles auf den «The Social»-Kanälen stammt von jungen Privatpersonen aus ganz Schottland: Filmemachern, Comedians, Moderatorinnen – oder solchen, die es gerne werden möchten.
Talentschmiede
«Wir verstehen uns in erster Linie als Talentschmiede», sagt Kirsty Drain. Jede und jeder kann bei «The Social» eine Idee einreichen. Ein Mal pro Woche evaluiert das Team mit Sitz in Glasgow die eingesendeten Vorschläge und trifft eine Auswahl. Die einen Ideen sind bereits reif für die Umsetzung, bei den anderen muss noch ein wenig gefeilt werden. Die Contributors werden persönlich kontaktiert und die Ideen besprochen. Wenn das Team mit der skizzierten Idee zufrieden ist, bringt es die Person «on board», erklärt Drain. Wenn nötig, unterstützt das Team tatkräftig mit seinem Produktions-Know-how. «Wir wissen, wie Social Media funktioniert, und helfen den Contributors, Inhalte zu entwickeln, die für diese Räume geeignet sind», so die Produzentin. Seien es Videos für YouTube, Insta-Stories oder Fotos für Instagram. Selbstverständlich werden die Contributors dafür entschädigt, versichert sie im Gespräch weiter; «das ist nur fair».
Ungeeignete Themen, solche, die nicht zu einem öffentlichen Medienhaus passen würden, gebe es bei «The Social» nicht, winkt Drain ab. Es werde alles abgedeckt: von Comedy und Dokumentationen, Gaming, Food & Lifestyle zu Instagram-Geschichten, Tutorials und Themen, die einfach die schottische Jugend bewegen und nicht bei den Mainstream-Medien widerspiegelt werden. Ein Beispiel:
Es gebe natürlich die publizistischen Leitlinien von BBC. Inhalte für Erwachsene und solche mit unanständiger Sprache werden entsprechend klar gekennzeichnet. Eingreifen wolle man nicht, denn es sei entscheidend, dass die Menschen authentisch seien.
Raum erschaffen, die Junge zu feiern
2014 stimmte die schottische Bevölkerung über ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich ab. Das Referendum wurde abgelehnt. In dieser Zeit, so Kirsty Drain, gab es in Schottland eine junge Generation, die etwas zu sagen und sich mit dem Unabhängigkeitsprozess auseinandergesetzt hatte. Sie waren politisiert und sehr stolz auf ihre schottische Identität. «Mit ‹The Social› hat man einen Raum erschaffen, Schottland zu feiern, die Jungen zu feiern. Das ist für diese Generation enorm wichtig, denn sie hört oft nur Negatives: wie egoistisch sie sei, dass sie immer am Handy hinge, dass sie unpolitisch sei», führt die Produzentin aus, die selbst zwar nicht Mitgründerin von «The Social», aber doch seit dem Start im Dezember 2015 Teil des Teams ist.
Zu viert waren sie am Anfang: zwei Content Producer und zwei Senior Producer. Eine herausfordernde Zeit, denn «wir hatten nichts», lacht Drain. Keinen Inhalt, keine Contributors, keine Facebook-Followers – zum Teil auch nicht viel Ahnung, wie sich das Ganze konkret entwickeln soll. Dafür hatten sie viel Leidenschaft und Experimentierfreude, Bereitschaft, von den Feedbacks der Contributors zu lernen, und natürlich fachliches Wissen als Produzentinnen und Produzenten.
Erfolgreicher Start
Mit dieser Mischung ist das Team, das mittlerweile aus elf Personen besteht, gut gefahren. «The Social» erreicht wöchentlich 4,7 Millionen Personen auf Facebook, auf YouTube hat der Kanal rund 24 000 Abonnentinnen und Abonnenten, auf Instagram und Twitter folgen je rund 12 000 Personen. In der Zeit seit dem Start sind über 400 Contributors vom Team «on board» geholt und entwickelt worden, einige sind heute sogar im Mutterhaus BBC als Filmemacher, Moderatorinnen oder Comedians tätig.
«‹The Social› sieht sich als Haupttüre zu BBC, als eine Art Talent-Pipeline direkt ins Mutterhaus. Und das ist strategisch zentral für BBC», meint Kirsty Drain. Das digitale Wissen der Contributors, das sie sich auf den Social-Media-Plattformen von «The Social» angeeignet hätten, fliesse in die traditionellen Radio- und TV-Plattformen von BBC zurück. «Solche Personen werden immer ‹digital first› denken.»
Die digitale Transformation stellt europäische öffentliche Medienhäuser wie BBC vor viele Herausforderungen. Entscheidend wird die Frage sein, ob sie es schaffen, eine Generation an Bord zu holen, die viel zu sagen hat, sich aber durch ein ganz anderes Medienverhalten als die älteren Generationen auszeichnet. «The Social» könnte eine Steilvorlage sein.
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