Beitrag «Frauenstreik: ‘Wir wollen eine Million sein!’» von «Einfach Politik» beanstandet
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Mit Ihrem Brief vom 21. März 2019 beanstandeten Sie den Podcast «Einfach Politik» (Radio SRF 4 News) vom 15. März 2019 und dort den Beitrag «Frauenstreik: ‘Wir wollen eine Million sein!’».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Mit diesem Brief möchte ich eine Programmbeschwerde gemäss Art. 4 und 5 RTVG einreichen. In meinen Augen verstösst die Sendung gegen folgende Drei Grundsätze: <das Vielfaltsgebot, das Sachgerechtigkeitsgebot und den Schutz der öffentlichen Sicherheit> Im nachfolgenden Text werde ich die verschiedenen Punkte ausführen.
1. Das Vielfaltsgebot:
- In der Sendung wurden hauptsätzlich nur Organisatoren des Frauenstreiks beachtet. Diese können weitestgehend unreflektiert ihre Meinungen äussern und teilweise extreme Meinungen vertreten. Nur an einer Stelle kann eine Frau, die sich nicht für den Streik ausspricht, kurz in zwei bis drei Sätzen äussern, worauf sie jedoch unterbrochen wird und teilweise auch einfach übertönt wird.
- Die besagten Personen, die sich für den Streik aussprechen, werden zeitweise für ihr Schaffen glorifiziert.
- Simona Isler nennt viele Probleme, denen Frauen gegenüberstehen. Diese werden jedoch nicht kritisch hinterfragt. Für den Zuhörer ergibt sich ein Bild, in dem all diese Probleme einfach auf das Patriarchat geschoben werden, was jedoch zum Beispiel bei Sicherheitsproblemen nicht zutrifft.
- Am Schluss der Sendung werden über die Teilnehmerzahlen gemutmasst. Eine kritische Betrachtung fehlt auch hier. Eine tiefe Teilnehmerzahl wird nur kurz damit gerechtfertigt, dass die Diskriminierung heute nicht offensichtlich sei. Dies impliziert bereits, dass Probleme bestehen, ob man es nun merkt oder nicht.
- Am Ende der Sendung wird in einem Nebensatz auf den volkswirtschaftlichen Schaden, den der Streik haben könnte, eingegangen. Dies jedoch ohne Fakten oder Zahlen.
2. Das Sachgerechtigkeitsgebot:
- Simona Isler spricht am Anfang davon, dass Frauen in unserer Gesellschaft 108 Milliarden weniger verdienen als Männer. Diese Zahl wird nicht hinterfragt, auch werden keine anderen Meinungen in Betracht gezogen. Am Ende der Sendung wird wenigsten noch eine Quelle nachgeschoben, welche es dem Zuhörer zum Teil möglich macht diese Meinung einzuordnen. Am Anfang wird sie jedoch als gegeben stehengelassen.
- Bei der Frage nach den Lohnunterschieden wird der Prozentsatz 20% genannt, er wird zwar mit dem unerklärbaren Teil von 7% teilweise revidiert, jedoch wird er meiner Meinung nach nicht genügend abgegrenzt. Auch werden hier weder Informationen zur Berechnung dieser Prozentsätze gegeben, noch werden andere Werte, die in anderen Studien berechnet wurden, genannt (z. Bsp. Studie der HSG).
3. Schutz der öffentlichen Sicherheit
- Die verfassungsmässige Ordnung wird mit diesem Beitrag gefährdet. Mit diesem Beitrag werden Frauen motiviert gegen Gesamtarbeitsverträge zu verstossen. Auch werden Frauen motiviert ihre Arbeitsverträge zu verletzten.
- Die innere und äussere Sicherheit kann ebenfalls gefährdet sein, da viele Positionen von Frauen besetzt werden, die diese Sicherheit gewährleisten.
Zusammengefasst wiederspiegelt dieser Beitrag eher einer Werbesendung als einer Sendung, in der Politik einfach und sachgerecht dargestellt wird. Die eigene Meinung der Redaktion wird beinahe konterlos in 20 Minuten dargelegt. Kritiker fehlen. Dies zeigt bereits der Titel, in dem das Zitat von Simona Isler: <Wir werden eine Million sein (lacht) (...).> einfach zu einem Schlachtruf umgeformt wurde.
Vielen Dank für eine faire Prüfung meiner Beanstandung bereits im Voraus.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «Einfach Politik» antwortete Herr Michael Bolliger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:
«Gerne nehme ich Stellung zur Beanstandung 5837 gegen den Podcast <Einfach Politik> vom 15. März zum Frauenstreik.
Die <EP>-Ausgabe beleuchtet die Motive hinter dem für den 14. Juni angekündigten <Frauenstreik>. Der Anlass bildet seit Monaten medialen Gesprächsstoff, erwartet wird allgemein eine aussergewöhnlich grosse Demonstration. Der letzte Frauenstreik 1991 wurde zahlenmässig zur grössten Manifestation seit dem Landesstreik 1918 und hatte insofern historische Dimension. Die Relevanz des Themas, respektive des Anlasses ist offensichtlich gegeben.
Der Beanstander kritisiert, die Episode entspräche weder dem Vielfalts- noch dem Sachgerechtigkeitsgebot, er befürchtet gar eine Bedrohung der <inneren und äusseren Sicherheit> durch die Ausgabe.
Ich nehme im Folgenden zu den einzelnen Punkten Stellung, mache aber zuerst einige Ausführungen zum publizistischen Konzept von ‘Einfach Politik’.
Der Podcast wird zwar im Radiostudio Bern produziert, richtet sich aber an ein Publikum, das sich zu politischen Themen nicht in erster Linie am Radio informiert. Zielpublikum (mit 35-45 Jahren jünger als das Stammpublikum der Radiosendungen) und Medium Podcast erfordern eine andere, direktere (An-)Sprache, als wir sie im Radio pflegen. Die Themen werden als Geschichte und aus der Perspektive eines Protagonisten/einer Protagonistin erzählt. Das schränkt die Stimmenvielfalt teilweise ein, gibt der Darstellung dafür eine persönlichere Note, eben aus der subjektiven Sicht einer Protagonistin. Eine Fachjournalistin im Studio stellt die Sicht der Betroffenen in einen politischen Rahmen, die Moderation (Host) ist Gastgeberin und spricht ihr Publikum direkt an.
1. Vielfaltsgebot
Die Fragen, die die Episode beantworten will, werden einleitend formuliert: <Die Frauen formieren sich. Wie genau? Was fordern sie? Und: Ein zweiter Frauenstreik, bringts das überhaupt?> Damit ist klar gemacht, worum es in dieser Episode geht. Sie will einerseits darlegen, welche Motive hinter dem Frauenstreik stehen und andererseits die mögliche Wirkung eines solchen Aktionstages skizzieren.
Wie oben ausgeführt, werden diese Fragen aus der Perspektive einer Protagonistin, die stellvertretend für andere steht, beantwortet. Die Historikerin Simona Isler ist die Protagonistin. Sie schildert ihre Motive, Beweggründe hinter ihrem Engagement für den Frauenstreik und sie erklärt, wie der Frauenstreik organisiert wird. Die journalistische Einordnung leistet die Fachredaktorin im Studio, indem sie die Ausführungen ergänzt. Bei diesen Ergänzungen wird zum Beispiel die Vielfalt der Organisationen erwähnt, die sich am 14. Juni beteiligen, oder auch die Vielfalt der Aktionsformen, (neben der Idee des ‘Streiks’ z.B. ‘längere Mittagspause’ oder ‘Flugblätter im Betrieb’). Damit kommt auch deutlich zum Ausdruck, dass es sich bei dem Anlass höchstens teilweise um einen ‘Streik’ im klassischen und arbeitsrechtlich relevanten Sinn handelt. (Entsprechend ist auch die am Schluss geäusserte Vermutung zulässig, dass die Schweizer Volkswirtschaft einen solchen Aktionstag alle 28 Jahre verkraften kann. Auch wenn die Aussage nicht mit Zahlen belegt ist.)
Der Beanstander stellt fest, die genannten Probleme würden ‘nicht kritisch hinterfragt’ respektive ‘dem Patriarchat zugeschoben’. Das Patriarchat ist in diesem Podcast kein Thema, es wird auch nicht erwähnt. Es werden generell keine ‘Schuldigen’ benannt, es werden Punkte der Un-Gleichberechtigung genannt und diese werden belegt (s. auch ‘Sachgerechtigkeitsgebot’). Ebensowenig werden Personen ‘glorifiziert’ in dieser Episode. Die einzige Zuschreibung zu einer einzelnen Person, die man als Glorifizierung empfinden könnte, ist der Ausdruck ‘Ikone’ zu Christiane Brunner. Im Rückblick scheint mir dieser Ausdruck allerdings vertretbar, immerhin wurde der sogenannte ‘Brunner-Effekt’ bei den eidgenössischen Wahlen 1995, vier Jahre nach dem ersten Frauenstreik, als prägender Faktor genannt. Christiane Brunner galt Anfang der 1990er Jahre für unzählige Frauen und ihre Anliegen auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung als Vorbild oder eben ‘Ikone’.
Dass sicher damals und auch heute nicht alle Frauen mit dieser Form des Protestes einverstanden sind, wurde am Beispiel einer Passantin an der Berner Fasnacht klar. Sie machte deutlich, dass sie weder vom ‘Streik’, noch den Motiven dahinter etwas halte, ebensowenig davon, dass die Frauen an der Kinderfasnacht Mobilisierung für den 14. Juni suchten (‘Der Zweck heiligt die Mittel’.) Auch in der Moderation des Podcast wurde kritische Distanz deutlich. (‘Mich holen sie damit nicht ab’)
Die Ausführungen, die der Beanstander zum letzten Abschnitt mit der ‘Teilnehmerzahl’ macht, nämlich dass gegen Schluss die Ausprägung der fehlenden Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen als ‘subtiler’ beschrieben werde, sind korrekt, aber ebenfalls nicht Ausdruck fehlender Vielfalt oder Sachgerechtigkeit. Es ist die (meinetwegen etwas unpräzise) Darstellung der Unterschiede zwischen der Situation vor 1991 und heute.
2. Sachgerechtigkeitsgebot
Der Beanstander kritisiert, dass die Zahl der 108 Milliarden, die Frauen weniger verdienen als Männer, ‘nicht hinterfragt’ und zuwenig, respektive zu spät, eingeordnet werde. Es stimmt, zu Beginn – quasi als Schlagzeile – wird die Zahl ohne Einordnung verwendet, sie wird hier als Synonym für das ökonomische Motiv hinter dem geplanten Frauenstreik verwendet. Dort – bei Minute 12 – wo dieser ökonomische Aspekt als zentrales Motiv nochmal aufgegriffen wird, wird die Zahl verständlich erklärt und mit einer Quelle versehen (Berechnung der Ökonomin Mascha Madörin). Welche ‘andere Meinung’ der Beanstander in diesem Zusammenhang erwartet hätte, wird mir aufgrund der Beanstandung unklar.
Beim zweiten Argument in diesem Punkt, der Frage des ‘unerklärten Lohnunterschieds’, weist der Beanstander auf eine Studie der Universität St. Gallen hin, die die dargestellte Zahl von sieben Prozent infrage stelle. Gemeint ist die ‘Studie zu den statistischen Analysen der Eidgenossenschaft betreffend Lohngleichheit von Frau und Mann’ (Felfe et al. 2015). Diese wurde nach ihrer Publikation in den Medien unterschiedlich dargestellt. Teilweise war zu lesen, die Studie verdeutliche, dass die angegebenen sieben Prozent ‘unerklärter’ Lohnunterschiede zu hoch berechnet seien. Entsprechend konnte der Eindruck entstehen, der Bund rechne ‘falsch’, die Frauen seien im Vergleich zu den Männern lohnmässig gar nicht so schlecht gestellt. In der Studie lese ich, dass die Erhebungsmethoden des Bundes dem Stand der Wissenschaft entsprächen (also grundsätzlich den Anforderungen genügen). Es werden zwar einzelne Erhebungs- und Darstellungsalternativen aufgezeigt (Kapitel 10). Zusammenfassend wird aber erklärt, dass <unabhängig von der Methode und des Jahres (2012, 2010, 2008) (...) ein statistisch signifikanter unerklärter Anteil der Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern von minimal 7.6% (...)> festzustellen sei (Kapitel 4, ‘Die wichtigsten Ergebnisse’).
Das zeigt, dass die Darstellung der sieben Prozent unerklärter Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen im beanstandeten Podcast grundsätzlich korrekt ist. Weitere Zahlen und Fakten in der Podcast-Episode werden in der Mehrzahl ihren Quellen zugeordnet (Bundesamt für Statistik, OECD etc.), zudem wird zu Beginn gesagt, dass die Protagonistin nicht nur Mutter, sondern auch Gleichstellungsbeauftragte beim Schweizerischen Nationalfonds ist. Sie ist damit glaubwürdig in ihren Aussagen zur privaten, wie auch allgemein gesellschaftlichen Situation der Benachteiligung von Frauen (z.B. in der Forschung).
3. Schutz der öffentlichen Sicherheit
Der Beanstander befürchtet, dass der Beitrag die verfassungsmässige Ordnung gefährde. Für diesen Eindruck gibt es im Podcast keine Grundlage. Erstens wird ausdrücklich erwähnt, dass unter einem Gesamtarbeitsvertrag in der Schweiz ein Streikverbot gelte. Zweitens werden verschiedenste Protestformen beschrieben, von Streik über Mittagspausenverlängerung bis Flugblätter und drittens wird am Beispiel eines Spitals gezeigt wie 1991 die Sicherheit gewährleistet wurde: ‘Die Grundversorgung war sichergestellt’, auch mit Hilfe der Männer.
Fazit:
Der Podcast erfüllt aus meiner Sicht die Anforderungen an Vielfalt und Sachgerechtigkeit. Von einer Bedrohung für Ruhe und Ordnung kann keine Rede sein. Die Ausgabe widmet sich im Vorfeld eines Anlasses, dessen letzte Ausführung historische Grösse annahm, den Motiven und Forderungen der Frauen. Dass die Gleichberechtigung in der Verfassung und auf Gesetzesstufe festgelegt ist, kann nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass sie besonders im ökonomischen Bereich noch nicht vollständig erreicht ist, ebenfalls nicht. Die Fakten dazu sind in dieser ‘Einfach Politik’-Ausgabe belegt, die Quellen transparent.
Über die Form des Protestes kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber diese verschiedenen Ansichten werden im Podcast dargestellt, auch wenn die Perspektive der unzufriedenen Frauen im Vordergrund steht.
Aus diesem Grund bitte ich Sie, die eingereichte Beanstandung nicht zu unterstützen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich muss zuerst eine Bemerkung machen zu den Bestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes, namentlich zum Vielfaltsgebot sowie zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und der verfassungsmäßigen Ordnung.[2] Das Gesetz verlangt die Vielfalt nicht für die einzelne Sendung, sondern lediglich für das Programm im Längsschnitt. In Artikel 4, Abschnitt 4 steht:
«Konzessionierte Programme müssen in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen.»
Dies bedeutet, dass Sendungen eine Person, eine Position oder eine Problematik fokussieren dürfen, ohne die ganze Palette von Argumenten und Gegenargumenten auszubreiten. Natürlich kann das nie heißen, dass jemand eine Werbeplattform erhält. Markante Positionen sollen differenziert und kritisch hinterfragt werden, in Porträts sollen Licht und Schatten zum Zug kommen, und wenn jemand massiv angegriffen wird, muss diese Person sich dazu äußern können. Aber das Prinzip, dass einer Position sofort und gleichwertig eine Gegenposition gegenübergestellt werden muss, gilt nur für Wahl- und Abstimmungssendungen.
Das Gesetz will ferner keine aufrührerischen Medien. In Artikel 4, Absatz 3 steht:
«Die Sendungen dürfen die innere oder äussere Sicherheit des Bundes oder der Kantone, ihre verfassungsmässige Ordnung oder die Wahrnehmung völkerrechtlicher Verpflichtungen der Schweiz nicht gefährden.»
Damit ist gemeint, dass Medien nicht im lenin’schen Sinne zum «kollektiven Organisator» werden sollen, indem sie beispielsweise die Bevölkerung dazu aufrufen, keine Steuern mehr zu bezahlen, sich bewaffnet zusammenzurotten und in den Städten Barrikaden zu errichten. Medien sollen also keine Agitatoren der Revolte, der Anarchie und des Massenprotests sein. Wenn sich aber Bewegungen wie die Maidan-Proteste in der Ukraine, die Pegida in Ostdeutschland oder die «Gilets jaunes» in Frankreich manifestieren, dann sollen die Medien darüber auch berichten. Die Gesetzesbestimmung meint nicht, dass die Rundfunkmedien darauf verzichten sollen, öffentlichen Protest und zivilen Widerstand zu registrieren, zu rapportieren und zu interpretieren, im Gegenteil.
Meine zweite Vorbemerkung betrifft den historischen Hintergrund des Frauenstreiks. Der Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter dauert in der Schweiz bereits mehr als hundert Jahre. Ein Tiefpunkt war die Volksabstimmung von 1959, als die Männer die Einführung des Frauenstimmrechtes trotz positivem Antrag von Bundesrat und Parlament mit 66,9 Prozent der Stimmen und 19 von 22 Ständen wuchtig verwarfen.[3] Dieser Entscheid des damaligen Souveräns löste erste heftige Reaktionen aus: In Basel streikten am Montag danach aus Protest die Lehrerinnen des Mädchengymnasiums, unter ihnen Gertrud Spiess von der CVP, die spätere Großratspräsidentin und Nationalrätin.[4] In Wettingen weigerte sich meine Gotte, am Tag danach ihrem Mann und ihren beiden Söhnen ein Mittagessen zu kochen. Nach und nach bröckelte die Abwehrfront: Immer mehr Kantone, zuerst in der Westschweiz, dann in der Region Basel, führten das Frauenstimmrecht für ihren Bereich ein, und am 7. Februar 1971 folgte der Bund, indem der männliche Souverän mit 65,7 Prozent der Stimmen und 16,5 der 22 Stände dem Frauenstimmrecht zustimmte.[5] Damit war die politische Gleichstellung erreicht, nicht aber die innerfamiliäre, die gesellschaftliche und die wirtschaftliche. Dem sollte der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung[6] abhelfen, den Volk und Stände am 14. Juni 1981 mit 60,3 Prozent Ja-Stimmen und 16,5 von 23 Ständen guthießen.[7] Bundesrat Kurt Furgler betonte stets, der Gleichstellungsartikel sei direkt anwendbar, aber die Realität war eine andere. Vergeblich forderte Anita Fetz (POCH, Basel-Stadt) im Nationalrat ein Gleichstellungsgesetz. Erst 1991 sah die Mehrheit des Parlamentes die Notwendigkeit dafür ein, zeitgleich mit dem ersten Frauenstreik vom 14. Juni.[8] 1971 – 1981 – 1991: Das waren drei Meilensteine des Prozesses.[9] Seither ist gesetzgeberisch viel in Gang gekommen, und dennoch sind die Frauen den Männern noch immer nicht überall gleichgestellt. Der größte Stein des Anstosses ist nach wie vor die Entlohnung. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass die Frauen 38 Jahre nach der verfassungsmäßigen (theoretischen) Gleichstellung wieder mal ein Zeichen setzen wollen.
Wenn wir nun den Beitrag von Radio SRF 4 News betrachten, so handelt es sich keineswegs um die Wiedergabe der Meinung der Redaktion, wie Sie behaupten. Auch der Titel «Wir wollen eine Million sein!» ist kein Slogan der Redaktion, sondern ein Zitat der Protagonistin. Der Beitrag ist eine Reportage über die Vorbereitung des Frauenstreiks aus der Sicht einer engagierten Feministin, die gleichzeitig berufstätig und Mutter ist. Diese Reportage wird kenntnisreich eingebettet. Und wenn Christiane Brunner als Ikone der Frauenbewegung bezeichnet wird, dann ist das begründet, denn 1993, 22 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechtes und zwei Jahre nach dem ersten Frauenstreik, wurde nicht die offizielle SP-Kandidatin Christiane Brunner in den Bundesrat gewählt, sondern Francis Matthey. Das empfanden damals viele – nicht nur Frauen! – als Skandal. Nur nach dem Verzicht von Matthey und der Präsentation einer SP-Doppelkandidatur mit Christiane Brunner und Ruth Dreifuss war die bürgerliche Mehrheit bereit, eine Frau zu wählen. Die Wahl war begleitet von großen Demonstrationen auf dem Bundesplatz. Seither war der Bundesrat nie mehr frauenlos. Vor 1993 war er es 18 von 22 Jahren gewesen.
Der Beitrag ist im Lichte dieser Historie zu sehen. Und er ist gänzlich sachgerecht. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/sendungen/einfachpolitik/frauenstreik-wir-wollen-eine-million-sein
[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
[3] https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/19590201/index.html
[4] http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D6578.php
[5] https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/19710207/index.html
[6] Im Ständerat war Arthur Hänsenberger (FDP, Bern), später der erste Ombudsmann der SRG.D und damit mein Vor-Vor-Vorgänger, Kommissionssprecher und ein wichtiger Promotor der Vorlage.
[7] https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/19810614/index.html
[8] Vgl. Hemmer, Katrin (1993): Mediale Rezeption weiblicher Provokation. Die Behandlung des Frauenstreiks vom 14. Juni 1991 in der Berner Presse. Bern: Institut für Medienwissenschaft.
[9] Jost Aregger (1998): Presse, Geschlecht, Politik. Gleichstellungsdiskurs in der Schweizer Presse (= Berner Texte zur Medienwissenschaft). Bern: Institut für Medienwissenschaft.
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