«Tagesschau»-Beitrag «FDP-Basis auf Wahlkampf eingestimmt» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 5. Mai 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» vom 4. Mai 2019 und dort den Beitrag «FDP-Basis auf Wahlkampf eingestimmt».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Tagesschau von SRF1 ist die wohl meist beachtete regelmässige Sendung des Schweizer Fernsehens. Umso wichtiger scheint mir deshalb auch eine korrekte Berichterstattung in dieser Sendung.

In der gestrigen Tagesschau wurde u.a. über ein Treffen der Spitze der FDP in Flawil berichtet. Ein Themenschwerpunkt an dieser Veranstaltung war die Klimaveränderung und die diesbezügliche Politik der FDP. Im Kommentar dazu sagte die TV Sprecherin wörtlich:

<Eine grünere Politik, das wünschen sich laut einer Umfrage knapp 80 Prozent der Parteimitglieder>. Diese Feststellung ist irreführend und erweckt den Eindruck, dass 80 Prozent aller FDP Mitglieder dieser Meinung sind. Korrekterweise hätte es aber heissen müssen, dass nur rund 10% der angeschriebenen Parteimitglieder den Umfragebogen retourniert haben und von diesen rund 80 Prozent (d.h. effektiv rund 8 Prozent der angeschriebenen Parteimitglieder!) die Meinung vertreten, dass eher mehr oder viel mehr für den Klima- und Umweltschutz getan werden müsse. Ausserdem hätte man im Sinne einer ausgewogenen Berichterstattung auch noch erwähnen dürfen, dass bei der gleichen Befragung 56 Prozent der eingegangenen Antworten eher oder sehr damit einverstanden sind, neue Atomkraftwerke zu bauen.

Ich bin Ihnen dankbar, wenn Sie die Redaktion der Tagesschau wieder einmal daran erinnern, wie wichtig eine saubere und korrekte Information wäre.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter:

«Mit Brief vom 5. Mai 2019 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 4. Mai eingereicht. Es geht um den Bericht zur Mitglieder-Befragung der FDP zum Thema Umweltpolitik und zur Delegiertenversammlung vom gleichen Tag in Flawil.

Der Beanstander kritisiert zwei Punkte aus dem Beitrag: Erstens sei es nicht korrekt, von 80 Prozent der Parteimitglieder zu sprechen, da nur 10 Prozent der Parteimitglieder an der Umfrage teilgenommen hätten. Es geht also letztlich um die Repräsentativität der Umfrage. Zweitens kritisiert er, dass das Umfrageergebnis zum Bau neuer Atomkraftwerke nicht erwähnt wurde.

Die Tagesschau nimmt zu beiden Punkten Stellung:

Umfrage

Die FDP hat eine parteiinterne Umfrage zur Umwelt- und Klimapolitik durchgeführt; diese neue thematische Fokussierung war Gegenstand der Berichterstattung der DV in Flawil. Gleich zu Beginn des Beitrages kommen deshalb fünf Delegierte zu diesem Thema zu Wort. Die Tagesschau macht also auch eine Umfrage bei den anwesenden Delegierten; alle sprechen sich direkt oder indirekt für eine Hinwendung zu mehr Klima- und Umweltpolitik aus. Im Überleitungssatz zur DV ist klar von einer Umfrage die Rede.[2]

Das Forschungsinstitut GFS Bern hatte im Auftrag der FDP bei den Partei-Mitgliedern eine Vollerhebung zum Thema Klima und Umwelt gemacht. Alle rund 120’000 FDP-Mitglieder wurden angeschrieben. Geantwortet haben rund 14'000 Mitglieder. Der Co-Leiter der Umfrage, Urs Bieri, erklärte gegenüber der zuständigen SRF-Bundeshausredaktion: <Die Art und Weise, wie die Umfrage gemacht wurde, entspricht der normalen Vorgehensweise bei einer Umfrage. Die Aussagen sind als Abbild der FDP-Mitglieder relevant. Die Umfrage ist also repräsentativ. Das ist sie deshalb, weil alle FDP-Mitglieder eingeladen wurden, an der Umfrage teilzunehmen. Aus der Forschung wissen wir, dass jeweils jene Personen mitmachen, die gegenüber dem Umfrage-Thema besonders kritisch oder enthusiastisch eingestellt sind.>

Im Bericht selbst wird dargelegt, dass bei einer Stichprobengrösse von 14'198 Teilnehmenden die Fehlerquote zwischen +/- 0,8 Prozent (bei 50 – 50 Prozent-Verteilung) und +/- 0,7 Prozent (bei 80 – 20 Prozent-Verteilung) liegt.

31 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, die FDP solle sich generell <viel mehr für Klima- und Umweltschutz engagieren>. Weitere 47 Prozent stimmen der Aussage zu, die FDP solle sich <eher mehr für Klima- und Umweltschutz engagieren> (Seite 9 der GFS-Dokumentation). Die Umfrage ist wie dargelegt repräsentativ, eine grosse Mehrheit spricht sich für mehr Engagement im Klima- und Umweltschutz aus. Die Formulierung ‘knapp 80 Prozent der Parteimitglieder’ wünschten sich eine grünere Politik ist also sachgerecht.

Auch die FDP stellt die Repräsentativität der Umfrage nicht in Frage. Sie schreibt: <Aus früheren nicht thematisch gebundenen Umfragen bei unseren Mitgliedern sind wir in der Lage, die Teilnehmer der Umweltumfrage auf die Repräsentativität zu überprüfen. Der Vergleich dieser Daten zeigt kaum wesentliche Unterschiede. Wir stellen beim Geschlecht (leicht weiblicher), Einkommen (leicht höheres Einkommen) und der Schulbildung (leicht schlechter gebildet) zwar leichte Unterschiede fest, diese sind jedoch zu gering, um die Umfrageresultate wesentlich zu verzerren. Grössere Unterschiede, die auch effektiven Einfluss auf die Resultate gehabt haben könnten, ergeben sich beim Alter (älter) sowie der Sprache (mehr Deutschschweizer). Diese beiden Ausprägungen wirken jedoch grundsätzlich in Richtung weniger Interventionen. Also bspw. je älter ein Mitglied ist, desto weniger Engagement verlangt er in der Umweltpolitik. Eine überdurchschnittliche Mobilisierung in den Städten hätte ebenfalls das Potential gehabt, die Umfrage wesentlich in Richtung mehr Engagement zu verändern. Das ist aber ebenfalls nicht passiert. Das Verhältnis zwischen Stadt, Land und Agglo ist bei der Klimaumfrage im Vergleich zu früheren Umfragen etwa gleich, tendenziell haben sogar weniger Städter mitgemacht.>[3]

In einem Interview mit der NZZ am 6. Mai äussert sich auch Parteipräsidentin Petra Gössi zur Repräsentativität der Umfrage: <Mit 12 Prozent hatten wir einen guten Rücklauf. 14'000 Menschen aus allen Landesgegenden und Bevölkerungsschichten haben sich Zeit genommen, 15 bis 30 Minuten lang Fragen zu beantworten. Man muss die Umfrageergebnisse nun bitte als das nehmen, was sie sind: ein repräsentatives Abbild der Parteimeinung.>[4]

Bau neuer Atomkraftwerke

Mit der Forderung nach dem Bau neuer Atomkraftwerke unter dem Punkt 4.5 ‘Bereich Strom/Energie’ sind laut Umfrage 33 Prozent sehr und 23 Prozent eher einverstanden. Die Forderung nach dem Bau neuer Atomkraftwerke ist aber in der derzeitigen politischen Diskussion um Klima- und Umweltpolitik weder aktuell noch relevant. Die Tagesschau muss sich in einem kurzen Bericht zu den wesentlichen Teilen einer Umfrage und zur Politik einer Bundesratspartei auf die beiden Kriterien Aktualität und Relevanz konzentrieren.

Das Schweizer Volk hat mit dem Ja vom 20. Mai 2017 zur Energiestrategie 2050 den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Neue Atomkraftwerke dürfen nicht mehr gebaut werden. Es gibt derzeit keinen ernsthaften politischen Vorstoss, diesen Volksentscheid bezüglich Atomenergie wieder zu ändern. Es gibt derzeit keine Pläne von Energieunternehmen, ein neues Atomkraftwerk zu planen oder zu realisieren. Die Frage nach dem Bau eines neuen Atomkraftwerkes in der Schweiz ist deshalb aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Ausgangslage weder relevant noch aktuell. Sie ist auch mit Blick auf den kommenden Wahlherbst kein relevantes Thema.

Im Übrigen verweist die Tagesschau-Redaktion auf die in Verfassung (Art. 93, Abs. 3 BV) und Gesetz (Art. 6, Abs. 2 RTVG) festgeschriebene Autonomie in der Programmgestaltung und bei der Wahl der Themen.

Fazit

Die Tagesschau hat sachgerecht über die klima- und umweltpolitische Diskussion in der FDP berichtet. Sie hat auf die Voll-Umfrage verwiesen, die sowohl aus Sicht der Wissenschaft wie der FDP repräsentativ für die Parteimitglieder ist. Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Nach wissenschaftlichen Kriterien war die Umfrage unter den FDP-Parteimitgliedern repräsentativ. Sie bildete die soziologische Struktur der Partei ganz gut ab. Aber die Formulierung «80 Prozent der Parteimitglieder» war nicht ganz glücklich. Der Präzisionsjournalismus verlangt, dass statistische und demografische Daten präzise wiedergegeben werden. Da die Umfrage repräsentativ war, trifft zwar die Aussage zu, dass 80 Prozent so denken, denn eine repräsentative Umfrage lässt sich immer auf 100 Prozent hochrechnen und steht für das Gesamte. Dennoch wäre eine Formulierung wie «in einer repräsentativen Umfrage haben 80 Prozent der Teilnehmenden...» besser gewesen. Es handelt sich jedoch um einen Fehler in einem Nebenpunkt, der nicht geeignet war, die freie Meinungsbildung des Publikums zu beeinträchtigen. Die Hauptaussage des Beitrags war ja: Die FDP will ökologischer werden.

Die Frage mit den Atomkraftwerken sehe ich genau gleich wie Herr Lustenberger: Erstens ist sie nicht aktuell. Zweitens hat sie keinen realen Bezug, sondern diente wohl als Beruhigungspille für jene Freisinnige, die Mühe haben, das Steuer ganz herumzuwerfen. Und drittens entscheidet die Redaktion im Rahmen ihrer Programmautonomie, welche Schwerpunkte sie setzen will. Niemand kann von ihr verlangen, dass sie die Umfrage von A-Z ausbeinelt. Dies alles in Betracht gezogen, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/fdp-basis-auf-wahlkampf-eingestimmt?id=a523d3e1-23a8-45c4-9465-5abc19e281f3

[2] https://www.fdp.ch/fileadmin/documents/fdp.ch/pdf/FDP_Klima-_und_Umweltbefragung_Bericht.pdf

[3] https://www.fdp.ch/aktuell/newsroom/?_nsid=36596

[4] https://www.nzz.ch/schweiz/interview-mit-fdp-praesidentin-petra-goessi-ueber-klimapolitik-ld.1479564

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