«Tagesschau»-Beitrag «Zu hoher Umwandlungssatz» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 17. Mai 2019 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom 14. Mai 2019 und dort [1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Seit Jahren ärgere ich mich über die Berichterstattung der Tagesschau zur AHV und Pensionskassen.
In etwas milderer Form, aber immer noch nicht ausgewogen, berichtete die Tagesschau am
14. Mai 2019 - 19.30 Uhr. Erneut wurde das ‘Gespenst an die Wand gemalt’, die Renten der Pensionierten wären in Gefahr, wenn nicht die Politik die notwendige Schritte unternehmen würde. Die beanstandete Umverteilung wurde mit einer Grafik untermauert. Nur zeigte diese Grafik das genaue Gegenteil. Gemäss dieser hat die Umverteilung 2016 einen Höhepunkt erreicht. 2017 und 2018 war sie markant kleiner. Wie hätte es aussehen, wenn die Tagesschau in einer weiteren Grafik gezeigt hätte, wie sich die Reserven der Pensionskassen entwickeln?
Ausnahmsweise in einem weiteren Beitrag, aber auch erst wieder nach einem Pensionskassenvertreter
kam als eine Gegenstimme eine Gewerkschafterin zu Wort. Sind die Penisonskassenrenten wirklich nicht gesichert? Saldo behauptet Jahr für Jahr das überhaupt keine Gefahr bestehe. Ich kann mich nicht erinnern, wann die Tagesschau je einen Vertreter von Saldo befragt hat. Weshalb nicht? Denn dort steht um Thema Umverteilung: <...Es wird zwar viel Geld umverteilt, aber nicht von
den Erwerbstätigen zu den Rentern - sondern zu den Pensionskassen. Grund: Die Pensionskassen verzinsen die Gelder der Versicherten viel zu tief - weit unter ihren tatsächlichen Erträgen. Die Differenz landet nicht bei den Rentnern. Sie fliesst in die Reserven der Kassen. Das ist der Grund dafür, dass die Vermögen der Kassen von Jahr zu Jahr steigen . 2018 betrugen die Reserven in der 2. Säule 134 Milliarden Franken (Saldo 9/2018)...>(Saldo 9/15. Mai 2019)
Ich bin in einem Jahr Rentner. Probleme sehe trotz dauernder Angstmache nicht bei der Umverteilung. ‘Angst’ habe ich davor, dass die Pensionskassen dank den Medien noch mehr Reserven anhäufen können, ohne kritisch hinterfragt zu werden und ich deshalb im Alter weniger zur Verfügung habe.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter der Sendung:
«Mit Mail vom 17. Mai 2019 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau vom 14. Mai eingereicht. Es geht um die Berichterstattung zur Lage der Pensionskassen in der Schweiz.
Grundsätzliches
Die Tagesschau ist sich bewusst, dass die Pensionskasse für viele Menschen in der Schweiz von sehr grosser Bedeutung ist. Die 2. Säule soll zusammen mit der AHV (1. Säule) und der privaten Vorsorge (3. Säule) allen Menschen ein sicheres Auskommen im Alter garantieren.
Im Wissen um diese Bedeutung berichten Tagesschau – und SRF ganz allgemein – in nüchternem und sachlichem Ton über das Thema. In beiden Tagesschau-Beiträgen vom 14. Mai achten die Autoren und die Moderatorin auf diesen Punkt. Es wird kein ‘Gespenst an die Wand gemalt’. Es wird den Versicherten keine Angst eingejagt. Es gehört aber zur Aufgabe einer Informationssendung, die Fakten darzulegen, Probleme aufzuzeigen und auch Lösungsansätze aus verschiedenen Blickwinkeln zu skizzieren.
In keinem der beiden Beträge wird davon gesprochen, die Renten der 2. Säule seien nicht gesichert oder sie seien gesichert. Beide Aussagen wären äusserst problematisch, da sie einen Zeitraum von Jahren und Jahrzehnten in die Zukunft betreffen und von vielen Faktoren – Lebenserwartung und Anlagerenditen als zwei Beispiele – beeinflusst werden. Aussagen zur Sicherheit der Renten in der 2. Säule wären reine Momentaufnahmen ohne Garantie. Die Tagesschau hütet sich daher davor, solche Aussagen zu machen.
Beitrag 1: Jahresbericht der Oberaufsicht des Bundes
Im ersten Beitrag wird über die Jahresmedienkonferenz der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK BV) vom gleichen Tag berichtet. Dieser Jahresbericht ist der Anlass für die Berichterstattung vom 14. Mai.[2]
Der Beitrag fasst die wesentlichen Punkte des Berichts der OAK BV zusammen. Ein Fokus wird auf die Negativ-Rendite der gesamten Anlagen gelegt, eine Folge des sehr tiefen Zinsniveaus und der rückläufigen Aktienkurse gegen Ende Jahr. Bereits in der Moderation wird aber auch schon gesagt, dass die Rendite im laufenden Jahr 2019 infolge steigender Aktienkurse deutlich besser war.
Die Umverteilung von der aktiven Generation hin zur heutigen Rentnergeneration wird grafisch gezeigt; die Zahlen stützen sich auf den umfassenden Bericht der OAK BV (Punkt 5.3, Seite 30), mit einer kleinen Rundungsdifferenz im Jahre 2016. Es sind approximative Zahlen. Entscheidend ist, dass auch im Jahre 2018 rund 5,1 Milliarden Franken umverteilt wurden. Dies entspricht zwar einer Abnahme gegenüber den ‘Spitzenjahren 2015/2016/2017’, wie der Beanstander richtigerweise festhält. Es ist aber nach wie vor eine Umverteilung in der 2. Säule im Gang.[3]
Der Präsident der OAK BV, Pierre Triponez, dramatisiert diese Umverteilung in Milliardenhöhe nicht. Er mahnt aber die Politik, dieses Problem im Auge zu behalten und entsprechende Massnahmen zu ergreifen.
In der Tat verfügen die Schweizer Pensionskassen über riesige Vermögen (Kennzahlen im Bericht der OAK BV, Punkt 2.2). Die damit zu erzielenden Renditen sind aber vorsichtig einzuschätzen; eine Zinswende nach oben ist nicht in Sicht; der Aktienmarkt befindet sich derzeit in einem Hoch und ist entsprechend anfällig für Korrekturen, die Wachstums- und Konjunkturaussichten sind angesichts von Handelsstreitigkeiten mit Unsicherheiten belastet, Immobilienerträge stossen an ihre Grenzen (steigender Leerwohnungsbestand und leerstehende Büroflächen sind Stichworte dazu). Die OAK BV weist in ihrem Bericht zudem auf einen sinkenden Deckungsgrad hin; dieser ist innert Jahresfrist von 112,2 Prozent auf 106,4 Prozent gesunken; die Reserven haben also abgenommen. Die Zahl von Vorsorgeeinrichtungen mit einer Unterdeckung ist gleichzeitig angestiegen.
Am Schluss des Beitrages wird auf die Abstimmung Reform Altersvorsorge 2020 hingewiesen, welche vom Volk abgelehnt wurde.
Andere Medien haben ähnlich über den Jahresbericht der OAK BV berichtet.[4]
Beitrag 2: Stimmen aus verschiedenen Bereichen
Im zweiten Beitrag in der Tagesschau werden Lösungsansätze für die Reformen in der 2. Säule aufgezeigt. Dabei gehen die Meinungen natürlich – je nach politischer Herkunft – deutlich auseinander. Während sich der Direktor des Pensionskassenverbandes Asip für ‘mehr Sparen’ (früherer Beginn des Einzahlens oder länger arbeiten) ausspricht, richtet die Vertreterin der Gewerkschaften ihren Fokus auf die Verwaltungskosten der Pensionskassen. Explizit erwähnt sie die Kosten für die Vermittlung und die Vermögensverwaltung.
Am Schluss des Beitrages wird auf die politische Diskussion verwiesen; der Bundesrat wird nach der Ablehnung der letzten Reform seine Vorschläge präsentieren. Es ist klar, dass dann die Tagesschau und auch weitere Informationssendungen die Vorschläge vertieft behandeln werden und auch verschiedenste Stimmen zu Wort kommen lassen.
Fazit
Die Tagesschau kann auch in einem kleinen Schwerpunkt mit zwei Beiträgen das Thema der 2. Säule nicht umfassend beleuchten. Die Tagesschau kann – und das hat sie mit den beiden Beiträgen gemacht – einerseits die wichtigen Ergebnisse aus dem Jahresbericht der Oberaufsicht Berufliche Vorsorge darstellen und andererseits kontroverse Vorschläge für eine Reform der 2. Säule aufzeigen.
Die Tagesschau hat dies in einem sachlichen Ton gemacht und keine Ängste geschürt.
Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann mich Herrn Lustenberger voll anschließen. Die «Tagesschau» hat korrekt berichtet; sie hat nichts dazu erfunden, aber auch nichts Wesentliches weggelassen. Im ersten Teil ging es um den Jahresbericht der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge. Die «Tagesschau» hat nur referiert, wie diese Kommission die Lage einschätzt und was die Statistik sagt. Im zweiten Teil ging es um die Vorstellungen der Pensionskassen und der Gewerkschaften, wie die 2. Säule reformiert werden könnte. Es gab überhaupt keinen Anlass, einen Vertreter der Zeitschrift «saldo» zu befragen. Unbestritten ist, dass Reformen nötig sind. Welcher Art sie sein werden, wird das Ergebnis politischer Auseinandersetzungen zu sein. SRF hat diese weder vorwegzunehmen noch zu beeinflussen. Es ist hingegen Aufgabe der Medien, die Akteure kenntlich zu machen, ihre Interessen aufzudecken, ihre Strategien und ihre Taktik zu dokumentieren und die Lösungen vorzustellen, zu erläutern und zu kommentieren. Da in den Beiträgen entgegen Ihrer Behauptung keine Gespenster an die Wand gemalt wurden, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-14-05-2019-1930?id=73df5575-9acb-4701-8b21-ea7c00afd958
[2] https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/publikationen-und-service/medieninformationen/nsb-anzeigeseite.msg-id-75011.html
[3] https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/56918.pdf
[4] Vgl. Beilage 5993 Presseberichte
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