Umstrittener Michael Jackson-Dok-Film vor dem Ombudsmann
Fernsehen SRF zeigte am 6. April 2019 den umstrittenen Dok-Film «Leaving Neverland». Darin erheben zwei inzwischen erwachsene Männer schwere Missbrauchsvorwürfe gegenüber Michael Jackson. 50 Beanstanderinnen und Beanstander – mehrheitlich Michael Jackson-Fans – kritisierten den Film als unwahr und einseitig. Sie finden, SRF hätte dem Film und dessen Protagonisten keine Plattform bieten dürfen. Für Ombudsmann Roger Blum ist der Film für sich allein betrachtet ebenfalls nicht sachgerecht. Zusammen mit den von SRF angebotenen Begleitsendungen werde das Sachgerechtigkeitsgebot jedoch erfüllt.
Im Zentrum der Beanstandungen steht der Dok-Film «Leaving Neverland» des Britischen Regisseurs und Produzenten Dan Reed, der im Januar 2019 in den USA Premiere hatte. Die Vorwürfe sind zahlreich: Der Film sei manipulativ und verbreite Fake-News. Zudem sei er einseitig, er lasse nur die beiden Männer und niemanden von Michael Jacksons Familie oder Umfeld zu Wort kommen. Etliche Beanstanderinnen und Beanstander monieren Fehler und Falschaussagen im Film. Sie verweisen zudem darauf, dass Michael Jackson mehrmals juristisch von Pädophilie-Vorwürfen entlastet worden sei und dass die beiden Protagonisten des Films mit ihren Schadenersatzklagen vom Gericht abgewiesen worden seien.
Nebst dem Dok-Film wurden auch die den Film begleitenden Sendungen «Club» vom 9. April 2019 (SRF 1) sowie «Kontext» vom 9. April 2019 (Radio SRF 2 Kultur) beanstandet. Die Hauptkritik lautet hier, die Diskussionsteilnehmerinnen und -nehmer würden Michael Jackson vorverurteilen.
Film nicht sachgerecht
Seitens SRF nahm Daniel Pünter, Bereichsleiter DOK und Reportagen, Stellung zu den Beanstandungen. Er erwähnt, dass der monierte Dok-Film bereits bei seiner Premiere im Januar 2019 für Schlagzeilen sorgte und zum internationalen Medien-Ereignis wurde. Pünter ist ebenfalls der Ansicht, dass «Leaving Neverland» für sich allein nicht ausgewogen ist. Der Sachverhalt werde aus der Opferperspektive erzählt. SRF hat gemäss Pünter dennoch entschieden, den Film zu zeigen, da die laufende Diskussion zu Film und Rezeption auch in der Schweiz ermöglicht werden sollte. Aufgrund der einseitigen Perspektivenwahl des Films und dem heiklen Thema ‹Missbrauch› war es für SRF zwingend, den Film mit Diskussionssendungen und einer Debatte auf digitalen Kanälen und Plattformen zu kombinieren. SRF habe sein Publikum und seine User mehrfach auf die Begleitsendungen und -Webinhalte aufmerksam gemacht. Zudem habe SRF transparent gemacht, dass der Dok-Film umstritten sei.
Im beanstandeten «Club» seien vielfältige Meinungen und Haltungen zum Thema und zum Film vertreten gewesen. Mehrere Gäste hätten den Film kritisiert und die Glaubwürdigkeit der Protagonisten angezweifelt. Auch die Einseitigkeit des Films und das ungenügende kritische Nachfragen des Filmemachers sei thematisiert worden. Zudem habe man diskutiert, wie wertvoll das Werk eines musikalischen Genies sei, der möglicherweise Kinder missbraucht habe. Ebenso habe die Radiosendung «Kontext» den Film kritisch reflektiert. Breit diskutiert habe man weiter die Frage, wie sich der Film auf Michael Jackson als Pop-Ikone auswirke.
Pünter gibt zu bedenken, dass der Film keine neue gültige Wahrheit schaffe und dass die Anschuldigungen darin nicht bewiesen seien. Ebenso sei auch nicht bewiesen, dass die Geschichten der beiden Männer Fake-News seien. Durch das begleitende SRF-Programmangebot habe das Publikum jedoch den Film einordnen und sich eine eigene Meinung zu Film und Thema bilden können.
SRF und Pünter sind überzeugt, dass Handlungen und Verhalten von prominenten Menschen sowie von Personen der Zeitgeschichte und des öffentlichen Interesses auch nach deren Tod in der Öffentlichkeit kritisch reflektiert werden dürfen.
Wichtige Debatte
Ombudsmann Roger Blum weist darauf hin, dass es sich beim beanstandeten Film um ein «Docutainment», einer Mischform aus Unterhaltung und Dokumentation, handelt. Darin würde die Realität mit fiktionalen Elementen gemischt. Weiter werde mit Musik- und Stimmungsbildern gearbeitet. Das Format ähnle Journalismus, verstehe sich aber nicht als solcher. Der Regisseur wolle nur eine Sicht zeigen und tue dies anwaltschaftlich. Nach journalistischen Regeln müssten auch in einem anwaltschaftlichen Stück die Gegenpositionen vorkommen. Dies gelte ebenfalls für einen Dokumentarfilm. Blum fragt sich, ob es sich ein Docutainment leisten könne, die Aussagen nicht zu hinterfragen und die Fakten nicht zu überprüfen. Wie Daniel Pünter kommt der Ombudsmann zum Schluss, dass der Film für sich allein betrachtet nicht sachgerecht ist. Der Film sei denn auch in den Begleitdiskussionen auf SRF nicht besonders gut weggekommen.
Zahlreiche Beanstander monierten, SRF hätte vor der Ausstrahlung des Films einen Faktencheck machen sollen. Roger Blum gibt zu bedenken, dass dies nur Sinn mache, wenn man eine Sendung verändern könne. Das sei bei einem eingekauften Docutainment nicht der Fall. Deshalb begrüsst Blum die Einbettung des Films in Begleitsendungen und -diskussionen. Das Paket insgesamt sei sachgerecht gewesen.
Die Vorwürfe gegen Michael Jackson seien welt-öffentlich. Man könne dem Thema nicht ausweichen. SRF habe richtig daran getan, die Debatte zu führen. «Medien sind dazu da, Phänomene der Gesellschaft aufzugreifen, darüber aufzuklären und sie zu debattieren», so Blum weiter. Mit Hilfe der Begleitsendungen habe SRF die Debatte klug geführt. Der Ombudsmann kann die Beanstandungen nicht unterstützen.
Kommentar