«Kassensturz»-Beitrag «Verhändler kassieren Sofarenten in Millionenhöhe» beanstandet
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Mit Ihrem Brief vom 5. Juni 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Kassensturz» (Fernsehen SRF) vom 28. Mai 2019 und dort den Beitrag «Viehhändler kassieren Sofarenten in Millionenhöhe».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Basierend auf Artikel 4, Abs. 2 und 24 des Bundesgesetzes Ober Radio- und Fernsehen (RTVG, SR 784.40) reichen wir fristgerecht eine Programmbeschwerde
ein.
Das Sachgerechtigkeitsgebots wurde massiv verletzt und die Berichterstattung entsprach nicht dem Journalistencodex des Schweizer Presserats: Redaktionelle Sendungen mit Informationsgehalt müssen Tatsachen und Ereignisse sachgerecht darstellen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Es gehört zu den Pflichten der Journalistinnen und Journalisten sich vom Prinzip der Fairness leiten zu lassen, keine wichtigen Elemente von Informationen zu unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne zu entstellen.
Der Sendung ist es nicht gelungen, den überwachten öffentlichen Schlachtviehmarkt und seine Abläufe dem Konsumenten neutral und sachlich aufzuzeigen. Sie hinterliess den Eindruck, wie von der Moderatorin anmoderiert: <öpper wos nid kennt, chunnt nid drus< .. und <es wird trickset> ...
Begründungen / materielle Erwägungen:
Der oben erwähnte Beitrag war nicht sachgerecht und ausgewogen und enthielt zahlreiche Falschaussagen, die es dem Publikum nicht ermöglichten. sich eine eigene, fundierte Meinung zu bilden. Dass es sich beim dokumentierten Viehmarkt um einen überwachten öffentlichen Schlachtviehmarkt mit Absatz- und Preisgarantie für den Produzenten handelt, wurde mit keinem Wort erwähnt. Produzenten haben auf diesen Märkten Gewähr, dass sie ihre Tiere auch bei grossem Angebot und schwacher Nachfrage zum festgesetzten Mindestpreis verkaufen können. Solche Schlachtviehmarkte - und nur solche - werden gemäss Schlachtviehverordnung (SV, SR 916.341) vom Bund mit den erwähnten 1,5 Mio CHF unterstützt. An überwachten öffentlichen Schlachtviehmärkten werden Rindvieh und Schafe öffentlich versteigert. Wenn Viehhändler an solchen Schlachtviehmärkten Tiere ersteigern, erhalten sie gemäss der Schlachtviehverordnung Artikel 11, Absatz 1 den in der Sendung beschriebenen ‘Bon’, einen Kontingentsanteil von 10%, welcher sie berechtigt, Fleisch innerhalb des Zollkontingentes zu importieren.
Falschaussage 1: Die lmportrente (Sofarente) des Viehhandels betragt CHF 200.pro
Tier
Die lmportrente berechnet sich wie folgt (Zahlen 2018)
Produkt | Import-menge (Tonnen) | Durchschnittl. Versteigerungs- Preis (CHF/kg) | Erlös aus der Versteigerung* (CHF) | Wert des Kontingentanteils Viehhandels (CHF) |
Nierstück | 5‘300 | 12.34 | 65‘402‘000 | 6‘540‘200 |
Wurstfleisch | 850 | 1.62 | 1‘377‘000 | 137‘700 |
Kühe in Hälften | 7‘900 | 1.80 | 14‘220‘000 | 1‘422‘000 |
Total | 80‘999‘000 | 8‘099‘900 |
*Der Erlös fliesst in die allgemeine Bundeskasse
Gemäss Proviande ersteigerte der Viehhandel im Jahre 2018 auf den öffentlichen Schlachtviehmärkten total 62'341 Tiere der Rindviehgattung. Somit ergibt sich ein Wert für das Importkontingent von CHF 129. 93 pro ersteigertes Tier.
Demgegenüber stehen die Kosten des Viehhandels. Jedes Tier auf einem öffentlichen Markt wird offiziell versteigert. Basis ist der Mindestpreis (offizieller QMWochenpreis von Proviande), den ein Bauer bekommt. lm Jahre 2018 lagen die Preise pro gesteigertes Tier mit rund 170.- Fr. deutlich über dem Mindestpreis, weil die Nachfrage gut und das Angebot kleiner war. Diese Mehrkosten wie auch
Transportkosten zum Schlachtbetrieb und allfällige Abzüge finanziert der Viehhändler. 2018 standen somit dem Wert des Importkontingents von 130 CHF Mehrkosten bei der Versteigerung von 170 CHF gegenüber. Ist das Angebot grösser als die Nachfrage, kommt die Absatz- und Preisgarantie für den Bauern zum Tragen. Die Tiere, die keinen Käufer finden, werden einem Viehhändler zugeteilt, er muss sie zum Mindestpreis kaufen (Bsp. Sommer 2018). Das Vermarktungsrisiko hat vollumfänglich der Viehhandel zu tragen.
Dem Redaktor des Berichtes, Daniel Mennig, wurde im Rahmen seiner Recherchen mehrmals, während des Interview und in den Stellungnahmen des Viehhandels die Zusammenhänge zwischen der Inlandleistung und den Rechten und Pflichten des Viehhandels erläutert. Er wurde darauf hingewiesen, dass die CHF 200.- ‚Rente pro Tier‘ viel zu hoch bemessen sind und nicht vollumfänglich als ‚Rente‘ verbucht werden können.
Falschaussage 2: Der Viehhandel macht Preisabsprachen
In der nun schon länger anhaltenden Marktlage bei kleinem Angebot und guter Nachfrage herrscht Wettbewerb auf den öffentlichen Schlachtviehmarkten. Der Steigerungspreis kommt vollumfänglich aufgrund von Angebot und Nachfrage zustande. Preisabsprachen sind kein Thema.
Falschaussage 3: Bundesrat hat bei der ‚AP22‘ die Abschaffung der lnlandleistung Vorgeschlagen
lm Kassensturz Bericht hat der Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW), Adrian Aebi, erwähnt. dass der Bundesrat im Rahmen der Agrarpolitik 22+ die Abschaffung der Inlandleistung vorgeschlagen hat. Diese Aussage ist so falsch. Der Bundesrat hat im Rahmen der Anhörunq der Agrarpolitik 22+ keine Vorschläqe und Anträge zur Inlandleistung gemacht. Er hat der Vernehmlassung lediglich einen Fragebogen beigelegt, um bei den Teilnehmern der Vernehmlassung die Meinungen einzuholen.
Hätte Daniel Mennig seriös und umfassend recherchiert, hätte er bemerken sollen, dass es sich hier um eine Falschaussage handelt. Er hätte auch herausgefunden, dass das eidqenössische Parlament im Rahmen der Agrarpolitik 2014-2017 dieses Instrument der Inlandleistung entgegen dem Willen des Bundesrates teilweise wieder eingeführt hat, nachdem sie 2004 aufgehoben worden war.
Die Berichterstattung entsprach insgesamt nicht dem Journalistenkodex des Schweizer Presserats. Sie war auffällig einseitig und inkompetent. Einzelne Bildausschnitte hatten nichts mit dem Sprechtext zu tun und suggerieren eine Falschinformation. Z. B. zeigten die farblich verschleierten und versteckten
Filmaufnahmen auf einem öffentlichen Schlachtviehmarkt nicht das, was im Bericht kommentiert wurde. So hat z. B. das Markieren eines gekauften Tieres nach dem Ersteigern nichts mit der immer wieder erwähnten Preisabsprache zu tun. Mit dieser Markierung kennzeichnet der Viehhändler nach der Ersteigerung lediglich sein Tier. Eine Markierung ohne Versteigerung findet nur dann statt, wenn nicht verkaufte Tiere zugeteilt werden müssen.
Der Redaktor Daniel Mennig hatte sich aufgrund einer einzelnen Information von einem für uns anonymen Produzenten eine Meinung gebildet. Bei den Recherchen und der Auswahl der Interviews und Filmausschnitte ging es offenbar weitgehend darum, eine vorgefasste Meinung zu bestätigen und nicht darum, einen ausgewogenen Bericht aufgrund einer breiten Meinungsbildung zu verfassen.
Unsere Argumente wurden bei der Berichtserstattung weitgehend ignoriert. Dass ein ganzer Berufsstand durch eine solche tendenziöse, unausgewogene und mit Falschaussagen versehene Berichterstattung im Kassensturz verunglimpft wird, können wir nicht akzeptieren. Wir erwarten eine unabhängige Beurteilung unseres Programmbeschwerde und stehen für ergänzende Auskünfte jederzeit zur Verfügung.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für den «Kassensturz» antwortete Frau Ursula Gabathuler, Redaktionsleiterin von «Kassensturz/Espresso»:
«Mit Schreiben vom 5. Juni 2019 hat der Schweizerische Viehhändler-Verband SVV, vertreten durch X (Präsident) und X (Geschäftsführer), eine Beanstandung eingereicht gegen den ‘Kassensturz’-Beitrag ‘Viehhändler kassieren Sofarenten in Millionenhöhe’ vom 28. Mai 2019. Gerne nimmt die Redaktion die Gelegenheit wahr, zu den beanstandeten Punkten Stellung zu nehmen.
Allgemein:
Der SVV moniert in der Begründung seiner Beanstandung, der Beitrag sei nicht sachgerecht und ausgewogen, der SVV listet drei Aussagen auf, die falsch gewesen seien. Gerne nehmen wir später zu den Aussagen einzeln Stellung.
Laut dem SVV hätte die Redaktion mit keinem Wort erwähnt, dass es sich beim Viehmarkt um einen ‘überwachten öffentlichen Schlachtviehmarkt mit Absatz- und Preisgarantie’ handle.
Dem widersprechen wir: Auch wenn wir diese nach der Schlachtviehverordnung (SV, SR 916.341) korrekte Bezeichnung im Beitrag nicht wortgetreu erwähnt haben, haben wir die entscheidende Funktion dieser Märkte, nämlich dass Bauern eine garantierte Abnahme ihrer Tiere zu einem an Ort festgelegten Mindestpreis haben, an zwei Stellen erwähnt:
2’17 <Viehhändler haben die Pflicht, alle Tiere auf dem Markt zu kaufen.>
Und:
2’56 <Das Bundesamt für Landwirtschaft schätzt, dass Viehhändler 10 bis 12 Millionen Franken Rente jährlich kassieren. Als Entschädigung, weil sie auf dem Viehmarkt alle Tiere zu einem Mindestpreis kaufen müssen. Auch bei schlechter Marktlage.>
‘Kassensturz’ versuchte mittels einer Grafik, möglichst einfach und anschaulich darzulegen, wie solche Schlachtviehmärkte funktionieren und wie die ‘Sofarenten’ der Viehhändler zustande kommen.
Zur ‘Falschaussage’ 1: Die Importrente des Viehhandels beträgt 200 Franken
Die Berechnung der Viehhändler, wie sie der SVV jetzt in der Beanstandung aufführt, lag dem ‘Kassensturz’ nicht vor. Dies, obwohl der SVV im Vorfeld von der Redaktion mit den recherchierten Zahlen konfrontiert wurde. Die nun vorliegende SVV-Berechnung ist für uns nicht nachvollziehbar, zudem erschliesst sich uns die Quelle der Daten nicht.
Laut Berechnungen des SVV betrage die Rente lediglich 129 Franken pro Tier, und nicht 200 Franken, wie im Beitrag erwähnt. Der ‘Kassensturz’-Redaktor sei mehrmals während des Interviews und in den Stellungnahmen des Viehhandels darauf hingewiesen worden, sagen die Beanstander. Dem widersprechen wir.
Wie kommt ‘Kassensturz’ auf 200 Franken pro Tier Importrente?
Offiziell berechnete Zahlen, die auf nachvollziehbaren Daten und Grundlagen basieren, gibt es nicht. ‘Kassensturz’ stützte sich deshalb auf die Schätzung des Bundes ab. Der Bundesrat erwähnt in seinem erläuternden Bericht zur AP22+ auf Seite 51, dass durch das System der Inlandleistung Renten bei den Importeuren (Viehhändler, Metzger und andere Importeure wie Gemüseimporteure) im Umfang von heute rund 65 Millionen Franken pro Jahr anfallen. Adrian Aebi, Vizedirektor im Bundesamt für Landwirtschaft, beziffert die Höhe der Importrenten der Viehhändler im ‘Kassensturz’-Interview auf 10 bis 12 Millionen Franken pro Jahr. Dies eine Schätzung, die im Beitrag auch als solche benannt wurde.
2’56 <Das Bundesamt für Landwirtschaft schätzt, dass Viehhändler 10 bis 12 Millionen Franken Rente jährlich kassieren.>
Laut Email-Verkehr mit dem BLW (siehe Anhang 1) werden jährlich rund 60'000 Tiere der Rindergattung ersteigert. 12 Millionen Rente verteilt auf 60'000 Tiere ergibt 200 Fr. pro Tier. Soviel zur Rentenberechnung.
Wie aus dem Mailverkehr mit dem grössten Viehhändler in der Schweiz, der Firma Imbeca hervorgeht, haben wir diese Firma schriftlich mit ihrer Rente von geschätzt 1,5 Millionen Franken konfrontiert. Diese Zahl ergibt sich aus der Importrente mal dem zugeteilten Kontingentsanteil der Firma (siehe Anhang 2). In der Antwort der Firma (siehe Anhang 3) können wir keine Korrektur dieser Berechnung erkennen. Die Firma argumentiert indes, dass <die Importrente weitgehend der Landwirtschaft zugutekomme.> Diese Schlussfolgerung der Firma Imbeca, die sich mit derjenigen des gesamten Viehhandels deckt, haben wir mehrmals im Beitrag, sowie in der Abmoderation des Beitrages zitiert.
Wir haben auch den drittgrössten Viehhändler mit seiner Importrente konfrontiert. Dabei handelt es sich um die Firma Marmy. Diese Firma hat keine Stellungnahme zurückgeschickt.
Der zweitgrösste Viehhändler der Schweiz, Bernhard Lüscher, war bereit, direkt auf dem Markt in Weinfelden zu seiner Importrente Stellung zu nehmen. In seiner Antwort wehrte er sich nicht gegen die Höhe der berechneten Importrente, sondern lediglich dagegen, dass er diese Rente nicht in den eigenen Sack stecke, sondern an die Bauern weitergebe.
4‘08 Statement Bernhard Lüscher (Frage: <Wenn man das ausrechnet, kommt man in ihrem Fall auf über 1 Million Kontingentsrente?>) – <Nein, das ist eine falsche Rechnung. Das Importkontingent geht nach der Inlandleistung. Das ist richtig. Wir geben von der Inlandleistung viel weiter an die Bauern, an den Produzenten, indem wir mehr zahlen, als an der Annahme von den Preisen her, als der Tabellenpreis ist.>
Die Rente von 200 Franken pro Tier wurde zudem im Leitinterview mit dem Geschäftsführer des SVV und Unterzeichner der vorliegenden Beanstandung, X, nicht bestritten.
Transkript der Interview-Passage auf Band (nicht gesendet):
Frage: <Viehhändler haben eine Importrente von 200 Franken pro Tier.> – Antwort: <Ich weiss nicht, woher Sie diese Zahl haben. Ich kenne einfach die Gesamtrechnung. Es stimmt, jeder Kauf auf einem öffentlichen Markt löst ein Importkontingent aus. Aber wir haben auch Verpflichtungen gegenüber diesem Importkontingent. Das ist nicht einfach ein Nehmen. Wir haben auch Pflichten, die wir erfüllen müssen, wenn wir von diesen Importrechten profitieren wollen.>
Fazit: Es liegt keine Falschaussage vor. Da zum Zeitpunkt der Ausstrahlung keine anderen Berechnungen oder Aussagen vorlagen, stützte sich ‘Kassensturz’ bei der Höhe der Importrenten der Viehhändler auf die Schätzung des Bundes. Das Hauptargument der Viehhändler hingegen, dass ein Grossteil der Importrente an die Bauern weitergegeben werde, brachte ‘Kassensturz’ im Beitrag mehrmals klar zum Ausdruck:
Oton 4’08 Viehhändler Bernhard Lüscher <...Wir geben von der Inlandleistung viel weiter an die Bauern, an den Produzenten, in dem wir mehr zahlen bei der Annahme von den Preisen her als der Tabellenpreis ist.>
Und
Oton 4’30 X, Geschäftsführer Viehhändler-Verband (und Mitunterzeichner der Beanstandung): <Es kommt sehr viel beim Bauern an von der ganzen Importrente. Ich sage es noch einmal: Sie haben es heute gesehen auf dem Markt. Es sind gut sieben Viehhändler da, da wird gesteigert, da ist Markt. Man nimmt nicht einfach nur Tiere heim und hofft auf diese Importrente.>
In der Abmoderation kommt das Hauptargument der Viehhändler zusammenfassend ein drittes Mal zum Ausdruck.
Oton Abmoderation <Wir haben bei diversen grossen Viehhändlern nachgefragt und Stellungnahmen eingeholt. Sie sagen alle mehr oder weniger das gleiche. Nämlich: Was der Bund sage, stimme nicht. Der grösste Teil dieser Importrente komme den Bauern zugute. Sie bestreiten also, dass sie da ein gutes Geschäft machen würden.>
Zur ‘Falschaussage’ 2: Der Viehhandel macht Preisabsprachen:
Kassensturz wurde von einem Informanten, einem Bauern in Kenntnis gesetzt, dass Versteigerungen auf öffentlichen Schlachtviehmärkten durch Absprachen unter Viehhändlern unterlaufen würden. Er berief sich dabei auf Aussagen eines befreundeten Viehhändlers, der ihm das System der Absprachen erklärte.
6’14 <Häufig läuft einer einem Tier hinterher. Das ist dann das Zeichen für seine Kollegen, für seine Mitbieter, dass sie bei diesem Tier nicht bieten sollen. Manchmal reicht auch nur schon eine Hand auflegen: Die ist mir, die kaufe ich. Und die anderen Kollegen schweigen.>
‘Kassensturz’ überprüfte diese Aussage mehrfach, da der Vorwurf schwer wiegt. Als Erstes besuchte ‘Kassensturz’ einen Viehmarkt unangemeldet, zusammen mit einem Experten, der seit über 20 Jahren die Viehmärkte aus dem Innersten kennt. Das Resultat des Viehmarkt-Besuches war eindeutig: Genau das, was unser Informant monierte, nämlich, dass Viehhändler sich untereinander absprechen würden, konnten wir selbst beobachten und dokumentieren: Viehhändler, die tatsächlich hinter denjenigen Tieren in den Versteigerungsring hergingen, für die sie danach einen Kaufpreis boten, und die anderen Viehhändler kein Angebot mehr machten. Unser Experte kam zum Schluss, was er gesehen habe, sei keine Versteigerung. Die Händler hätten sich abgesprochen und die Tiere untereinander aufgeteilt, bereits vor der Versteigerung. Das sei nicht korrekt. Auf die Frage, ob das ein Einzelfall sei, sagte er, es komme zwar nicht immer vor, aber immer wieder.
Weitere Hinweise auf Absprachen erhielt ‘Kassensturz’ auch beim offiziellen Besuch in Weinfelden im Gespräch mit anwesenden Bauern. Ohne ihn direkt auf die Absprachen angesprochen zu haben, bestätigte ein weiterer Bauer vor laufender Kamera, dass solche Absprachen nach dem genau gleichen Muster auch in Weinfelden immer wieder vorkämen.
5’33 <Ich habe schon x-mal erlebt, dass Händler nicht hier vorne sind, wenn versteigert wird, sondern Mann um Mann hinter der Kuh hergeht. Und dann quasi eine abgekartete Sache: Diese Kuh kaufe ich, die andere kauft der nächste. Es hat auch schon Diskussionen gegeben: Du musst nicht hinter meiner Kuh hergehen, die will ich. Diese Bilder habe ich nachher wieder x-mal gesehen und die Faust im Sack gemacht. Wenn sie einfach hinterherlaufen und quasi den Markt nicht walten lassen.>
Fazit: ‘Kassensturz’ stützte sich auf die Aussagen von drei unterschiedlichen Quellen. Und die verdeckte Recherche vor Ort bestätigte diese Aussagen.
Der Vertreter des Viehhändler-Verbandes und Unterzeichner dieser Beanstandung hatte im Beitrag Gelegenheit, sich zum Vorwurf zu äussern. Er tat dies wie folgt:
7’44 X, Viehhändler-Verband <Also diese Absprachen, in der jetzigen Zeit, weise ich das ganz entschieden zurück, dass da Absprachen gemacht werden. Weil da wird gesteigert. Die Leute müssen ihre Nachfrage nach Kühen befriedigen. Da wird gesteigert. Das Argument der Absprachen, das stimmt so nicht.>
Zur ‘Falschaussage’ 3: Bundesrat hat bei der ‘AP22’ die Abschaffung der Inlandleistung vorgeschlagen:
Der Bundesrat will die Inlandleistung und die damit verbundenen Importkontingentsrenten abschaffen, weil Studien zeigen, dass nur ein kleiner Teil dieser Renten an die Produzenten weitergeht. Diese Massnahme sei deshalb ineffizient. Dieser Meinung ist der Bundesrat schon lange, weshalb er das System der Inlandleistung bereits im Jahr 2004 partiell abgeschafft hat. Das Parlament hat diesen Entscheid vor einigen Jahren teilweise wieder korrigiert. Im Rahmen der Agrarpolitik 2022+ stellt der Bundesrat sie wieder zur Diskussion. Am Willen, sie abzuschaffen, hat sich nichts geändert. Diese Haltung hat der Vizedirektor des Bundesamtes für Landwirtschaft, Andreas Aebi, im Beitrag mit folgendem Satz zusammengefasst:
Oton 8’14 Andreas Aebi <Diese Massnahme könnte man abschaffen. Das ist auch das, was der Bundesrat vorgeschlagen hat im Rahmen der Agrarpolitik 2022.>
Fazit: Tatsächlich hat der Bundesrat die Massnahme der Inlandleistung in der Vernehmlassung der AP2022+ nur zur Diskussion gestellt, doch an der Haltung, dass er sie seit langem abschaffen will, weil sie ineffizient ist, hat sich nichts geändert. Deshalb stellt er sie auch noch einmal zur Diskussion. Insofern war diese kleine sprachliche Unkorrektheit des Vizedirektors des Bundesamtes für Landwirtschaft nicht ausschlaggebend, oder gar eine Falschaussage, die die Zuschauer in eine falsche Richtung geführt hätte.
Schlusskommentar
Da sowohl unser Informant wie auch der Viehmarkt-Experte nicht öffentlich auftreten wollten, weil sie sich vor Vergeltungsmassnahmen fürchten, konnten wir den Bildbeweis der Absprachen unter den Viehhändlern nur mit anonymisierten Video-Sequenzen belegen. Wir konnten aber zeigen, dass Viehhändler Codes wie <hinter einem Tier hergehen> benützen. Im Sprechtext kommentieren wir die Bildausschnitte korrekt, sie suggerieren keine Falschinformation, wie die Beanstander behaupten, auch nicht bezüglich Markierung.
Dass Viehhändler sich auf dem besuchten Markt tatsächlich abgesprochen haben, hat der Experte als intimer Kenner der Branche beobachtet und bestätigt.
Zum Vorwurf, dass die Argumente der Viehhändler im Beitrag weitgehend ignoriert worden seien, gilt festzuhalten: Der ‘Kassensturz’-Redaktor Daniel Mennig machte den Geschäftsführer des Viehhändler-Verbandes, X, telefonisch vor der Ausstrahlung mit dem Ablauf des Beitrags vertraut, insbesondere noch einmal mit dessen beiden Kernaussagen ‘leicht verdiente Sofarente’ und ‘Preisabsprachen’. Bei dieser Gelegenheit teilte er ihm mit, mit welchen Argumenten er im Beitrag vorkommen wird. X erklärte sich damit einverstanden.
Zusammenfassend möchten wir festhalten: Der ‘Kassensturz’-Bericht enthielt keine Falschaussagen, der Bericht war sachgerecht, das Publikum konnte sich eine eigene Meinung bilden. Aufgrund unserer Ausführungen bitte ich Sie, Herr Blum, die Beanstandung als unbegründet zurückzuweisen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich verstehe, dass Sie über die Sendung nicht erfreut waren, denn der Beitrag wirft letztlich den Viehhändlern vor, auf Kosten der Bauern und auf Kosten des Staates finanziell massiv von den Viehkäufen zu profitieren. Da sind Sie als Interessenvertretung der Viehhändler natürlich herausgefordert. Es gelingt Ihnen aber nicht, diesen Hauptvorwurf zu entkräften. Sie dementieren nicht, dass die Viehhändler auf Kosten der Bauern und des Staates von den Viehkäufen profitieren. Sie sagen bloß, der Profit sei etwas geringer als in der Sendung dargestellt, und ein Teil des Profits werde den Bauern weitergeben. Sie sagen aber nicht, wieviel die Bauern profitieren und auf welche Weise.
Es ist die Aufgabe der Medien, Missständen nachzugehen. Dies ergibt sich aus ihrer Kritik- und Kontrollfunktion, die sich aus der Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit der Bundesverfassung und verschiedenen Grundsatzentscheiden wichtiger Gerichte (wie des Schweizerischen Bundesgerichts, des deutschen Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) ableitet. Eine Sendung wie der «Kassensturz», die sich immer auf die Seite der Schwächeren stellt, ist geradezu verpflichtet, Missstände aufzudecken. Wenn von den Zuschüssen des Bundes und der Kantone an den Viehhandel letztlich vor allem die Viehhändler profitieren und wenn auch noch die Behauptung im Raum steht, dass es Absprachen unter Viehhändlern gibt mit dem Ziel, möglichst tiefe Preise bezahlen zu müssen, dann liegt ein Missstand vor, und dann sind Medien wie «Kassensturz» gefragt.
Die Redaktion des «Kassensturz» hat dabei das getan, was den journalistischen Regeln entspricht: Sie hat die Vorwürfe von Informanten an Ort und Stelle überprüft, auch unter Beizug eines anonym gebliebenen Experten, auch mit Hilfe der versteckten Kamera, und sie hat herausgefunden: Die Vorwürfe stimmen. Und sie hat die Kritisierten mit den Vorwürfen konfrontiert.
Was war das Ergebnis? Der Vorwurf der Absprachen wurde dementiert mit dem Argument, an den Viehmärkten werde hörbar geboten und gemarktet. Es stimmt: Es wird immer wieder auch gemarktet, aber die Absprachen konnten durch investigative Recherchen belegt werden.
Sie beanstanden im Übrigen vor allem den geschätzten Importgewinn von 200 Franken pro gekauftes Tier und versuchen nachzuweisen, dass er 130 Franken beträgt. Ich kann weder die Schätzung des «Kassensturz» noch Ihre Berechnungen überprüfen. «Kassensturz» stützte sich auf die Schätzung des Bundes, die von einer Rente der Schweizer Viehhändler von 10-12 Millionen Franken jährlich ausgeht. «Kassensturz» legte den oberen Bereich der Schätzung zugrunde und kam auf 200 Franken pro Tier. Nimmt man den unteren Bereich, kommt man auf 167 Franken pro Tier. Sie errechnen 130 Franken. Egal, welche Berechnung stimmt: Es ist ein Faktum, dass die Viehhändler im Umfang von 8-12 Millionen Franken profitieren.
Die Sendung hat gezeigt, dass ein gewisser Handlungsbedarf besteht und dass Bund und Kantone ihre Subventionspolitik überprüfen müssten. Es wäre sicherlich Aufgabe des Schweizerischen Viehhändler-Verbandes, konstruktive Vorschläge auszuarbeiten, wie das «System» so verbessert werden könnte, dass der Eindruck, die Viehhändler profitierten einseitig, wegfällt. Da die Redaktion des «Kassensturz» schlicht ihre Hausaufgaben gemacht hat, kann ich ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/news/schweiz/viehmarkt-tricks-viehhaendler-kassieren-sofarenten-in-millionenhoeh
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