«Echo der Zeit» Berichterstattung über Russland und Europarat beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 30. Juni 2019 beanstandeten Sie im Rahmen einer Zeitraumbeanstandung die Berichterstattung der Sendung «Echo der Zeit» vom 24.-29. Juni 2019 über die Wiederaufnahme von Russland in den Europarat.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Wie soll der Europarat mit Russland umgehen? Die Berichterstattung vor und nach der Wiederaufnahme Russlands in den Europarat war einseitig und wiederspricht damit dem Sachgerechtigkeitsgebot und insbesondere dem Vielfaltsgebot, da nur die Ansichten gegen eine Wiederaufnahme Russlands in den Vordergrund gerückt wurden. Die Ansicht Russlands oder Personen, welche bereits 2014 gegen den Ausschluss Russlands waren, wird in keiner Weise vertreten. Betroffene Sendungen, Echo der Zeit 24.06.2019, News in Echo der Zeit 25.06., Wochenrückblick Samstag 29.06.2019.

Echo der Zeit 24.06. Susan Stewart, eine amerikanische Politologin, kommt lange und alleinig zu Wort bei der Frage um Russland. Auch in den Tagen davor oder danach kam kein russischer Politologe zu Wort, auch kein Politologe welcher tendenziell ‘russlandfreundliche Ansichten’ vertritt. Wer die von der Redaktion als Politologin, Osteuropa- und Eurasien-Expertin vorgestellte Person ist wird nicht erörtert, was sie allgemein für Ansichten vertritt und wem diese nützen, cui bono? Ergo, Vielfalt der Ansichten verletzt. Zudem kommt zum Ausdruck, dass die Reporterin die Ansichten der Expertin in vielen Belangen teilt, kein kritischer Journalismus: <Würde der Europarat seine demokratischen Prinzipien verraten?> Suggestivfrage mit klarer Werthaltung. Keine kritischen Fragen, wie etwa ob es damals nicht einfach ein Fehler war, Russland aus dem Europarat auszuschliessen, welcher nun durch eine demokratisch legitimierte, westlich dominierte Institution korrigiert wurde. Sondern lediglich die Argumente, Geld und Austausch mit Russland seien doch auch wichtig, nicht, ob der Ausschluss damals nicht grundsätzlich übereilt war und unverhältnismässig nach dem Anschluss der Krim an Russland. Im Gegenteil, auch die ‘Kritischen Fragen’ wegen Geld und Kommunikation mit Russland sugestieren klar die Haltung, Russland grundsätzlich vom Europarat auszuschliessen sei richtig, aber moralisch fragwürdige Argumente wie Geld halt auch wichtig.

Echo der Zeit 25.06. News, ab 03:40-04:20 Den ganzen Tag durch wird die Russland Europarat Frage kaum erörtert, obschon Tags zuvor ein grosses Echo der Zeit Interview mit einer amerikanischen Russland-Kritikerin dazu ausgestrahlt wurde. Die demokratisch legitimierte Entscheidung des Europarats, Russland wieder aufzunehmen und dadurch den Entscheid von vor 5 Jahren zu korrigieren, da Russland sich in der Frage ja nicht bewegt hat und entsprechend die Situation noch die gleiche ist, daher Korrektur, wird den ganzen Tag nicht erwähnt. Nur als Nebensatz wird der Entscheid erwähnt, im Nebensatz der Zitate der Ukraine und der baltischen Staaten. Ukraine kommt indirekt zu Wort, resp. wird zitiert. Auch werden weitere Kritiker Russlands, namentlich die baltischen Staaten zitiert. Die demokratische Mehrheit des Europarats kommt nicht zu Wort, auch nicht werden die Argumente der demokratischen Mehrheit wiedergegeben, nur die Gegenargumente. Auch das Subjekt der Debatte, Russland, kommt erneut nicht zu Wort noch wird eine Reaktion Russlands auf den Entscheid, welcher zu aller erst Russland betrifft, wiedergegeben. Dies wiederspricht klar einer Vielfalt der Ansichten.

Wochenrückblickt am Samstag 29.06. DIe Entscheidung der demokratischen Institution Europarat wird als Verrat der Seele bezeichnet. Damit wird erneut klar Stellung bezogen, was vom Entscheid des Europarats zu halten ist. Auch das Sachgerechtigkeitsgebot wird somit verletzt, da eine eigene Meinungsbildung kaum möglich ist, wenn der Redaktor den Entscheid als Verrat der Seele, mit zutiefst negativer Konnotation, bezeichnet. In keiner Sendung kommt das Subjekt Russland zu Wort, noch werden deren Befürworter, welche in dieser Woche in Westeuropa, im Europarat, die Mehrheit inne hatten, zitiert. Es kommen zu Wort eine Amerikanerin, die Ukraine und die baltischen Staaten, sowie ein Journalist, dessen Meinung durch den Satz Verrat der Seele ebenfalls deutlich ist. Ich würde erwarten, dass zum einen Russland (Z.b. russischer Politologe, Politiker etc) in einem langen Interview seine Sicht darlegen kann, dass die Argumente der Mehrheit im Europarat, Russland wieder aufzunehmen, Platz bekommen und die offensichtliche Frage gestellt würde: <War es ein Fehler, Russland 2014 nach dem Anschluss der Krim an Russland aus dem Europarat zu werfen?> Diese Frage wurde schliesslich durch den Europarat, wie erwähnt westlich demokratisch, mit JA beantwortet.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für das «Echo der Zeit» antwortete Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:

«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X kritisiert, unsere Berichterstattung in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit Russlands Rolle im Europarat sei einseitig gewesen. Er begründet das unter anderem damit, wir hätten die Ansichten jener ausgeblendet, die für die Wiedererteilung des Stimmrechts an die russischen Abgeordneten in der Parlamentarischen Versammlung eingetreten seien. Und wir hätten ausschliesslich einer Expertin, die Russlands Präsenz im Europarat kritisch sieht, das Wort gegeben.

Russlands Rolle im Europarat und die Entscheidung über Russlands Zukunft im Europarat war in der Tat Gegenstand zahlreicher Nachrichtenmeldungen und Berichte bei uns. Zum einen rund um die Entscheidung im Ministerrat des Europarats im Mai, zum anderen erneut im Juni im Umfeld der Entscheidung in der Parlamentarischen Versammlung.

Unbestritten ist, dass der Auslöser der Russland-Krise im Europarat die Annexion der Krim war. Anders als die EU, die primär eine (Wirtschafts-) Interessengemeinschaft ist, oder die Nato, die eine Sicherheitspartnerschaft darstellt, ist der Europarat eine Wertegemeinschaft. Hier stehen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit im Vordergrund. Es ist deshalb wenig erstaunlich, dass der Europarat nach der Krim-Annexion reagierte, und zwar mit einer Sanktion, nämlich dem Entzug des Stimmrechtes für die russischen Abgeordneten. Moskau wiederum antwortete mit Gegenmassnahmen, erstens mit dem Auszug der russischen Delegation und später mit der Verweigerung seiner Mitgliederbeiträge.

Die Krise im Europarat blieb bestehen, wie auch die Annexion der Krim nicht rückgängig gemacht wurde. Weil nun wegen der zweijährigen Nichtzahlung der russischen Mitgliedschaftsbeiträge ein Hinauswurf drohte und Russland gleichzeitig ankündigte, einem solchen mit einem Auszug zuvorzukommen, spitzte sich der Konflikt zu. Zugleich wuchs der Wille eine Lösung zu finden.

In diesem Konflikt gab es im Ministerrat und in der Parlamentarischen Versammlung grundsätzlich zwei Lager: Die einen – darunter Deutschland, Frankreich, ein Grossteil der Schweizer Abgeordneten und der Generalsekretär des Europarates – plädierten für ein Zugeständnis an Russland (Wiedererteilung des Stimmrechts an dessen Parlamentarier), und zwar unter Inkaufnahme eines Glaubwürdigkeitsverlustes der Organisation, die damit ihren rechtsstaatlichen Prinzipien untreu wurde. Das wichtigste und von uns mehrfach zitierte Argument des Pro-Russland-Lagers war, dass man der russischen Bevölkerung nicht das Recht entziehen wolle, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg EGMR zu gelangen. Das andere Lager – darunter die Ukraine, die Briten, andere osteuropäischen Länder – beharrten auf den Sanktionen und damit auf den Prinzipien, nahmen jedoch ihrerseits einen Rauswurf oder einen Austritt Russlands aus der Organisation in Kauf.

Die Konfliktlinie haben wir in unserer Berichterstattung mehrfach dargestellt und auch erklärt, welche Staaten mit welchen Argumenten für die eine oder die andere Variante plädierten. Von Einseitigkeit kann also keine Rede sein.

Herr X erwähnt in seiner Beanstandung ausserdem explizit ein «Echo»-Gespräch mit Susan Stewart, Osteuropa- und Eurasien-Spezialistin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP in Berlin. Beides, ihr akademischer Hintergrund, und ihre Tätigkeit für das renommierte SWP, legitimieren Frau Stewart, sich zu diesem Thema zu äussern. Und machen sie für uns zu einer valablen Gesprächspartnerin. Wir haben Susan Stewart in der Einführung zu dem Gespräch ausserdem, wie wir das stets tun, situiert, damit für unser Publikum plausibel wird, weshalb wir mit ihr sprechen.

Frau Stewart vertritt, was durchaus legitim ist, eine russlandkritische Haltung. Die Haltung unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner muss sich nicht mit unserer eigenen decken und sie darf durchaus persönliche Positionen und Werthaltungen beinhalten.

Wichtig ist jedoch, dass Frau Stewart keineswegs die einzige Expertin war, die wir zu dem Themenkomplex Russland und Europarat zu Wort kommen liessen. In einem Beitrag im ‘Echo der Zeit’ vom 16. Mai traten nämlich zwei andere Experten auf, beides Experten für Völker- und Menschenrechte, die eine Gegenposition vertraten: der österreichische Professor Wolfgang Benedek und der estnische Professor Lauri Mälksoo.[2] Die beiden sind die Herausgeber eines Grundlagenwerkes über Russland und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte («Russia and the European Court of Human Rights»). Beide Professoren äusserten sich in unserem Beitrag dahingehend, dass Russland – entgegen einem verbreiteten Vorurteil – in der grossen Mehrzahl der Fälle die Urteile des EGMR respektiere und umsetze, etwa indem es die festgelegten Entschädigungszahlungen entrichtet. Beide neigten deshalb zur Ansicht, es wäre klüger, man könnte dafür sorgen, dass Russland im Europarat bleibe. Sie argumentierten also gleich, wie das letztlich im Ministerrat obsiegende Lager – und anders als Susan Stewart oder (in der NZZ im Interview, bei uns zitiert) der renommierte Schweizer Völkerrechtler und ehemalige Präsident des EGMR, Professor Luzius Wildhaber, die es für falsch halten, dass Russland überhaupt Mitglied des Europarates geworden ist.

Selber Position bezogen haben wir nur zurückhaltend. Und zwar in der Richtung, dass der Europarat letztlich wählen mussten zwischen zwei unbefriedigenden Alternativen und sich am Ende für die weniger schlechte entschied. Wir schlossen uns also der Mehrheitsmeinung in den drei Hauptgremien im Europarat (Generalsekretariat, Ministerrat und Parlamentarische Versammlung) an, betonten aber – genauso wie in diesen Gremien betont wurde -, dass der Europarat nicht unbeschädigt aus der Krise hervorgehen würde, weil seine Glaubwürdigkeit und Prinzipientreue nun erschüttert seien.

Wir sind überzeugt, dass unsere Berichterstattung zu diesem Thema sachgerecht war, indem sie die beiden zentralen Sichtweisen in der Auseinandersetzung im Europarat dargelegt hat. Sie war ausserdem vielfältig, indem Vertreter verschiedener Ansichten zu Wort kamen.

Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Herrn X abzulehnen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Sie hätten eine Zeitraumbeanstandung einreichen sollen, die auch den Mai einschließt: Damals fiel die Entscheidung über die Rückgabe des Stimmrechts an die russische Delegation im Europarat im Ministerrat, im Juni folgte dann die Entscheidung in der parlamentarischen Versammlung. Im Mai kamen im «Echo der Zeit» zwei Experten zu Wort, die für die vollständige Wiederaufnahme Russlands plädierten; Herr Gsteiger hat darauf verwiesen. Es ist nachvollziehbar, dass die Redaktion im Juni nicht nochmals die gleichen oder gleichartige Experten auftreten lassen wollte. Andere Stimmen, beispielsweise aus der Mitte der ukrainischen, britischen oder schweizerischen Delegation oder aus baltischen Ländern, kamen auch im Juni nicht zu Wort. Aufs Ganze gesehen war also die Berichterstattung ausgewogen. Es stimmt übrigens nicht, dass Radio SRF am 25. Juni 2019 den ganzen Tag über nicht über die Entscheidung in Straßburg berichtet habe: Der Bericht von Fredy Gsteiger erfolgte in der Sendung «Heute Morgen».

Radio SRF hat meines Erachtens korrekt berichtet: Die Argumente beider Seiten wurden wiedergegeben, im Mai kamen Experten zum Zug, die für Milde Russland gegenüber plädierten (und stark mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte argumentierten), im Juni kam eine Expertin zum Zug, die für Härte Russlands gegenüber eintrat (und stark mit den Werten des Europarates argumentierte). Das war übers Ganze gesehen sachgerecht. Ein Verstoß gegen das Radio- und Fernsehgesetz ist nicht zu erkennen. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/neue-hoffnungen-bei-erdogan-kritikern-in-der-tuerkei (24. Juni 2019: Wie soll der Europarat mit Russland umgehen?); https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/svp-nimmt-umweltpolitik-ins-visier (25. Juni 2019: Nachrichtenblock); https://www.srf.ch/play/radio/popupaudioplayer?id=55692360-738d-4c8f-a19d-c98b6b851ba5

[2] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/amherds-neue-beschaffungstaktik («Europarat bald ohne Russland?», 16. Mai 2019)

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