Anmoderation von «Echo der Zeit»-Beitrag «Täter von Frankfurt wurde polizeilich gesucht» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 30. Juni 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Echo der Zeit» (Radio SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Täter von Frankfurt wurde polizeilich gesucht» (Anmoderation).[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Bei der Ankündigung des Beitrages zum Mord am 8-jährigen Knaben im Bahnhof wurde von einem christlichen Eritreer gesprochen. Die religiöse Zugehörigkeit spielt hier keine Rolle, da es nicht um eine religiöse motivierte Tat handelte bzw. keine entsprechenden Anschlussäusserung dahingehend folgten. Die Information, dass der Täter christlich war ist so relevant für die Tat, wie wenn Rechtshänder oder Brillenträger wäre. Radio SRF diskreditiert dadurch die Christen, verletzt ihre religiösen Gefühle und suggeriert eine Vergleichbarkeit/Ähnlichkeit mit effektiv religiösen begründeten Attentaten anderer Religionsgemeinschaften.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für das «Echo der Zeit» äusserte sich Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:
«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X kritisiert, dass wir in der Anmoderation zum Bericht über den Mörder vom Frankfurter Hauptbahnhof erwähnt haben, dass es sich bei ihm um einen christlichen Eritreer handelt. Damit würden wir Christen generell diskreditieren.
Herr X greift mit seiner Beanstandung einen heiklen Punkt auf. Ein Problem, das bei uns intern, aber auch in Presseräten und bei Ombudsstellen in zahlreichen Ländern seit Jahren für Debatten sorgt. Ebenso bei Polizeikorps und Nachrichten-diensten: Wann darf, soll oder muss man bei Attentätern (und anderen Kriminellen) den Namen nennen, die Nationalität bekanntgeben oder den ethnischen oder religiösen Hintergrund thematisieren? Die Diskussion ist längst nicht abgeschlossen. Die Meinungen sind nicht gemacht. Es gibt weiterhin unterschiedliche Festlegungen und Praktiken und entsprechend keine allseits akzeptierten richtigen oder falschen Antworten.
Die Diskussion muss in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung zahlreicher Elemente neu geführt werden. Das wird sie auch bei uns, jeweils mit unterschiedlichen Ergebnissen. Und vor dem Hintergrund, dass wir uns in unseren publizistischen Leitlinien einen – im Vergleich zur Mehrheit der übrigen Medien – eher restriktiven Kurs vorgegeben haben. Ganz besonders was die Namensnennung betrifft.
In dieser Diskussion prallen in der Regel zwei grundsätzlich unterschiedliche Haltungen aufeinander. Auf der einen Seite befinden sich jene, die verlangen, über einen Täter oder mutmasslichen Täter seien möglichst wenig Informationen, die Rückschlüsse auf ihn erlauben, zu publizieren. Auf der anderen Seite wird den Medien Verheimlichung vorgeworfen, wenn sie nicht thematisieren, welcher Nationalität, welcher Glaubensrichtung und welcher Ethnie jemand angehört. Aufgrund dieser Debatte verändern auch die Informationsdienste von Polizeikorps, Gerichte und andere amtliche Stellen fortwährend ihre Praxis. In der Schweiz wird das sogar von Kanton zu Kanton, mitunter von Stadt zu Stadt unterschiedlich gehandhabt. Was es natürlich für die Medien nicht einfacher macht, eine klare Position zu definieren und einzuhalten.
Im konkreten Fall haben wir den Namen des Attentäters nicht genannt. Wir haben jedoch erwähnt, dass es sich um einen Eritreer christlichen Glaubens handelt. Dies aufgrund von zwei Überlegungen: Wir können solche Informationen nicht zurückhalten, wenn sie auf Pressekonferenzen der Polizei, die zum Teil direkt übertragen wurden, aber auch von führenden Politikern öffentlich verbreitet werden. Sonst trüge uns das den Vorwurf ein, aufgrund ‘politischer Korrektheit’ Fakten zu unterschlagen. Dazu kommt: Aufgrund zahlreicher terroristischer Attentate in den vergangenen Jahren auch in Europa ging die Diskussion zumindest in den sozialen Medien und darüber hinaus sehr rasch in eine Richtung, wonach es sich in Frankfurt um einen dschihadistischen Anschlag gehandelt haben könnte. Auch um dieser in solchen Fällen oft wohlfeilen Spekulation den Boden zu entziehen, entschieden wir uns, die Religion des Täters von Frankfurt zu erwähnen. Selbstverständlich keineswegs im Sinne eines Generalangriffs auf Christen. Die Tatsache, dass die allermeisten Medien, die über den Fall berichteten, erwähnten, dass es sich um einen Christen handelte, führte denn auch nicht zu Kampagnen oder verbalen Attacken auf Christen und christliche Gemeinschaften generell.
Es ist uns bewusst, dass solche Entscheidungen schwierig sind und es sich um heikle Abwägungen handelt. Uns ist ebenfalls klar, dass diese Überlegungen sorgfältig und verantwortungsbewusst vorgenommen werden müssen. Im Endergebnis sprach in diesem konkreten Fall einiges dafür, die Nationalität und Religionszugehörigkeit des Attentäters zu benennen.
Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Herrn X abzulehnen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die identifizierende Berichterstattung im Bereich von Unglücksfällen, Verbrechen und Gerichtsverhandlungen ist tatsächlich seit langem umstritten. Aus ethischen Gründen gilt größtmögliche Zurückhaltung. Journalistinnen und Journalisten sollten in der Regel Namen, Adressen, Alter, Nationalität sowie Ethnie- und Religionszugehörigkeiten nicht nennen. Der Schweizer Presserat hat immer wieder dazu Stellung genommen [2] und sich dabei auf die Richtlinie 7.2 gestützt, die lautet:[3]
<Richtlinie 7.2 – Identifizierung
Journalistinnen und Journalisten wägen die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig ab. Namensnennung und/oder identifizierende Berichterstattung ist zulässig:
- sofern die betroffene Person im Zusammenhang mit dem Gegenstand des Medienberichts öffentlich auftritt oder auf andere Weise in die Veröffentlichung einwilligt;
- sofern eine Person in der Öffentlichkeit allgemein bekannt ist und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht;
- sofern die betroffene Person ein politisches Amt beziehungsweise eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht;
- sofern die Namensnennung notwendig ist, um eine für Dritte nachteilige Verwechslung zu vermeiden;
- sofern die Namensnennung oder identifizierende Berichterstattung anderweitig durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist.
Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.>
In letzter Zeit hat sich, worauf auch Herr Gsteiger hinweist, vermehrt der Trend durchgesetzt, Nationalitäten und Ethnien, eventuell auch Religionen, zu nennen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man wolle aus politischen Gründen die Urheberschaft bestimmter Vergehen und Verbrechen vertuschen, also beispielsweise aus einer bestimmten asylpolitischen Grundhaltung heraus Flüchtlinge «schonen».
Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen dem Schutz der Betroffenen und dem Schutz des Publikums. Die Medienethik nimmt vor allem den Schutz der Betroffenen in den Fokus: Die Medien sollen die Bevölkerung nicht unnötig gegen Kriminelle aufstacheln, indem sie sie und ihr Umfeld identifizierbar machen. Das Rundfunkrecht hingegen stellt den Schutz des Publikums in den Vordergrund: Radio und Fernsehen sollen dem Publikum nichts zumuten, was nicht von der Sache her gerechtfertigt ist und die freie Meinungsbildung ermöglicht.
Im vorliegenden Fall sehe ich durch die Nennung von Nationalität, Religion, «Herkunft», Geschlecht und Alter die freie Meinungsbildung eher gefördert. Denn hätte die Information gelautet: muslimischer Eritreer, der seit längerem in Frankfurt lebt, dann könnte sich das Schweizer Publikum distanzieren und sagen: geht mich nichts an. Lautet die Information aber: Christlicher Eritreer, der in der Schweiz lebte, dann ist das Schweizer Publikum zweifach betroffen – nämlich geographisch und religiös, und muss sich damit auseinandersetzen. Gleichzeitig macht die Information auch deutlich, dass nichts Islamistisches hinter der schrecklichen Tat steckte. Deswegen halte ich es für zulässig, Nationalität, Religion, Geschlecht, Alter und geografische «Herkunft» zu nennen, wie es das «Echo der Zeit» getan hat. Dass die Christen dadurch diskreditiert und verletzt sein sollen, sehe ich überhaupt nicht, und deshalb kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/keine-sponsoring-gelder-von-philip-morris
[2] Pars pro toto: https://presserat.ch/complaints/rassismus-in-der-kriminalberichterstattung-stellungnahme-des-schweizer-presserates-vom-19-januar-200/ ; https://presserat.ch/complaints/namensnennung-und-identifizierbare-abbildung-stellungnahme-vom-31-januar-2003/ ; https://presserat.ch/complaints/30_2019/
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