«Echo der Zeit»-Beitrag «Wie den Rechtsextremismus bekämpfen?» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 26. Oktober 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Echo der Zeit» (Radio SRF) vom 10. Oktober 2019 und dort den Beitrag «Wie den Rechtsextremismus bekämpfen?» [1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Im Beitrag ‘Wie den Rechtsextemismus bekämpfen?’ vom 10. Oktober 2019 hat der Deutschlandkorrespondent Peter Voegeli den antisemitisch motivierten, rechtsextremen Angriff auf Jüdinnen und Juden in Halle kontextualisiert. Seine Einschätzung, ebenso wie die kommentarlose Annahme des Interviews durch die Redaktion hat mich nachhaltig schockiert. Auf die abschliessende Frage, wie der Deutschlandkorrespondent Peter Voegeli den Anschlag in Halle grundsätzlich einschätze, antwortete dieser, er würde einen <Aspekt herausnehmen, der tiefer geht. Es gibt die sogenannte Broken-Window-Theory. Das heisst, wenn in einem Stadtteil Fensterscheiben zu Bruch gehen, dann zieht das weitere Straftaten an, Vandalismus und schliesslich Verbrechen. Und das kann man auf Deutschland übertragen. Deutschland hat ein Problem, dass der Rechtsstaat und seine Regeln durchgesetzt werden. Manche beginnen daran zu zweifeln. Das fängt im Berliner Verkehr an. Da herrscht Krieg auf der Strasse. Jeder macht, was er will. Das geht bis zu den arabischen Clans, die eine gewalttätige Parallelwelt aufgebaut haben. Die Menschen beginnen zu zweifeln, ob dieser Staat seine Regeln wirklich durchsetzt und das hat nun die Politik möglicherweise so langsam verstanden. Das ist auch ein bisschen der Hintergrund für all das, was in Deutschland in diesen Jahren passiert. Wir haben so eine Art Broken-Window-Situation in Deutschland. Das heisst es funktioniert noch alles, aber die ersten Scheiben gehen kaputt.> Den tief verwurzelten, rechtsextremen Antisemitismus, der bis weit in die deutsche Gegenwartsgesellschaft hineinreicht, auf einer Ebene mit dem angeblich ‘tiefer gehenden’ Verkehrschaos, der vermeintlichen Tatsache, dass ‘jeder mache, was er wolle’ und arabischen Clans zu diskutieren sowie ihn durch die mehr als unangebrachte Metapher einer ‘zerbrochenen Scheibe’ zu interpretieren, ist eine wirklich schwerwiegende Relativierung und Bagatellisierung der zunehmenden antisemitischen Gewalt in Deutschland. Peter Vögeli trägt mit dieser massiven journalistischen Fehlleistung direkt zur Unterschätzung des Problems des Rechtsextremismus bei, auf das er im Beitrag selbst noch mit Verweis auf Horst Seehofer hingewiesen hatte. Es ist nicht nur deshalb absolut unangebracht, den deutschen Antisemitismus und die rechtsextreme Gewalt als scheinbar zufälliges Beispiel einer völlig oberflächlich ansetzenden Broken-Windows-Theorie erklären zu wollen, weil dazu seit Jahrzehnten wissenschaftlich geforscht wird.[2] Es ist auch deshalb fahrläßig, weil Deutschland darin als Bananenrepublik dargestellt wird, die keine Regeln durchsetzen kann, während die staatlichen Institutionen und Instanzen in Wirklichkeit von zahlreichen Skandalen durchrüttelt werden, die aufzeigen wie weit die rechtsradikale Szene tatsächlich in den deutschen Staat hineinreicht. Statt darüber zu lamentieren, dass der allgemeine Glaube an die Rechtsstaatlichkeit angeblich erodieren würde, wäre eine differenzierte Staatskritik angesichts konkreter, besorgniserregender Fälle, wie den fehlerhaften Ermittlungen zu den Mordfällen des NSU oder den Drohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basal-Yildiz, gegenwärtig nicht nur angebracht, sondern absolut erforderlich. Es wäre zu wünschen - von einem normalerweise gut recherchierten journalistischen Format wie dem Echo der Zeit zweifelsohne zu erwarten -, dass die Anschläge in Halle mit Verweis auf das absolut fundamentale Problem des historischen sowie des aktuellen Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft und auf die weitreichenden Verästelungen einer gewaltbereiten rechtsextremen Szene eingeordnet werden. Ich bitte Sie deshalb hiermit, diese massive journalistische Fehlleistung durch Peter Voegeli vom 10. Oktober mit einer ausführlichen Hintergrundrecherche über diese tatsächlich hochaktuellen Probleme zu korrigieren. Statt den unmittelbaren Eindrücken seiner Augen und Ohren fraglos zu trauen, sollte Peter Voegeli sich nicht vor der aufwändigen und komplexen Recherchearbeit scheuen, die mit einer seriösen Kontextualisierung von Antisemitismus und rechtsextremer Gewalt in Deutschland einhergeht.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für das «Echo der Zeit» äußerte sich Herr Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF:
«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Frau X. Frau X wirft uns im Kern eine ‘schwerwiegende Relativierung und Bagatellisierung der zunehmenden antisemitischen Gewalt in Deutschland’ sowie die ‘Unterschätzung des Problems des Rechtsextremismus’ vor. Dabei stützt sich ihre Kritik hauptsächlich auf ein Gespräch im ‘Echo der Zeit’ mit unserem Deutschlandkorrespondenten Peter Voegeli.
Wir nehmen einen solchen Vorwurf äusserst ernst. Selbstverständlich sind wir als Service-Public-Medium ganz generell der Sachgerechtigkeit verpflichtet. Uns ist aber bewusst, dass im Zusammenhang mit der gravierenden Realität des Antisemitismus sogar eine besondere Sorgfaltspflicht im journalistischen Umgang mit diesem Thema gelten muss. Diese Anforderung stellen wir auch an uns selber.
Entsprechend erlaube ich mir in diesem Fall eine ausführliche Stellungnahme, ergänzt um Tondokumente, um an konkreten Beispielen aufzuzeigen, wie wir in jüngster Zeit in unseren Sendungen mit den Themen Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland umgegangen sind.
Zum konkret beanstandeten Beitrag selber: Peter Voegeli, selber Historiker, betonte im Gespräch mit dem ‘Echo der Zeit’, dass es sich beim Anschlag auf Juden in Halle um eine rechtsextremistische und antisemitische Tat handelte, der bis zu neunzig Menschen hätten zum Opfer fallen können. Von Verharmlosung oder Bagatellisierung kann also keine Rede sein. In der Antwort auf die letzte Frage greift Peter Voegeli zusätzlich einen einzelnen Aspekt heraus, der tiefer, struktureller ansetzt und sich nicht auf Erklärungen im Zusammenhang mit Antisemitismus und Rechtsextremismus beschränkt. Voegeli versucht darzulegen, was – unter anderem – einen Nährboden für eine zunehmende Verrohung bilden könnte. Und was in der Konsequenz auch rechtsextreme und antisemitische Gewalttaten in Deutschland ‘gesellschaftsfähig’ machen kann.
Der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke wurde im Internet bejubelt. Voegeli wies im beanstandeten ‘Echo’-Gespräch kritisch darauf hin, dass Innenminister Seehofer erst dadurch offenbar wahrgenommen hat, dass Hass im Netz und dessen Folgen gesetzlich zu wenig streng geahndet werden. (Diese Thematik hat Voegeli mehrfach in Radiobeiträgen aufgenommen, unter anderem im Zusammenhang mit dem Facebook-Gesetz.) Die zunehmende Verrohung ist in deutschen Medien fast täglich ein Thema – diese Woche beispielsweise mit einem Fokus auf die Gewalt gegen Schiedsrichter im Amateurfussball. In den vergangenen Monaten stand das Thema der kriminellen arabischen Clans im Vordergrund – das Peter Voegeli in der Sendung ‘International’ aufgegriffen hat.[3]
Auch hier geht es um die Erosion des Rechtsstaates. Die grosse Koalition in Berlin widmet in ihrem Koalitionsvertrag der Problematik sogar ein eigenes Kapitel. Darin steht: <Wir werden den Rechtsstaat handlungsfähig erhalten. Dies stärkt auch das Vertrauen in die rechtsstaatliche Demokratie. Wir werden einen Pakt für den Rechtsstaat auf Ebene der Regierungschefinnen und -chefs von Bund und Ländern schließen. Bestandteil dieses Paktes sind 2000 neue Richterstellen bei den Gerichten der Länder und des Bundes sowie entsprechendes Folgepersonal. ... Wir wollen das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht schärfen, um aus den dunklen Kapiteln unserer Vergangenheit lernen zu können. Wir sind uns einig, dass die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Justizunrecht auch Teil der Juristenausbildung ist.>
Das zeigt: Auch die deutsche Regierung stellt – wie Deutschlandkorrespondent Peter Voegeli in dem ‘Echo’-Gespräch – einen Zusammenhang her zwischen der Verrohung des Alltags, der (mangelnden) Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates und nationalsozialistischem Unrecht. Einen Zusammenhang herzustellen, bedeutet jedoch nicht, gleichzusetzen. Selbstverständlich hat ein Schaufensterbruch bei einem Diebstahl nicht annähernd dieselbe Tragweite wie die Gewalt arabischer Clans. Und diese wiederum ist gewiss nicht gleichzusetzen mit antisemitischer Gewalt. Es gibt aber plausible Gründe für Politik, Polizei, Strafjustiz, Soziologie, Psychologie und eben auch für den Journalismus, in einer gesellschaftlichen Verrohung eine (nicht die einzige) Ursache dafür zu sehen, dass nicht nur Vandalismus, sondern auch gewalttätiger Rechtsextremismus und Antisemitismus zurzeit verstärkt auftreten. Dabei ist ebenfalls klar – was wir in einem Interview mit dem deutsch-jüdischen Historiker Michael Wolffsohn aufgezeigt haben: Rechtsextremismus und Antisemitismus sind in Deutschland nicht ‘plötzlich wieder da’. Sie waren es immer. Bloss führen die jüngsten Entwicklungen – Stichwort: Verrohung – dazu, dass Vorurteile und Hass sich in wachsendem Mass in abscheulichen Gewalttaten Bahn brechen.[4] Das ist zugleich eine Konsequenz der mangelnden Abgrenzung nach rechts in Teilen der deutschen Gesellschaft - von Peter Voegeli aufgegriffen am Fall eines ‘Bürgergesprächs’ des sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer nach den Ausschreitungen in Chemnitz.[5] Voegeli thematisierte ausserdem, ebenfalls im ‘Echo der Zeit’, detailliert die Vernetzung der sogenannten «Neuen Rechten» in Deutschland.[6]
Allein zum Anschlag in Halle publizierte Peter Voegeli acht Beiträge (sieben für das Radio, dazu eine Duplex-Einschaltung für das Fernsehen SRF). In keinem einzigen ist auch nur ansatzweise eine Bagatellisierung des konkreten Attentates oder von rechtsextremer oder antisemitischer Gewalt zu erkennen. Peter Voegeli hat sich mit der Problematik in seinen langen Jahren als Deutschlandkorrespondent ‘à fond’ auseinandergesetzt und kennt sich entsprechend in der Thematik aus wie nur wenige andere Berichterstatter aus Deutschland. Wir weisen entsprechend auch den Vorwurf entschieden zurück, es handle sich um eine journalistische Fehlleistung. Vielmehr entsprach die Darstellung und Einordnung der Ereignisse rund um das Attentat von Halle unseren gerade bei diesem Thema notwendigerweise strengen Vorgaben an unsere eigene Arbeit.
Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Frau X abzulehnen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich habe mir eine ganze Reihe von Sendungen von Peter Voegeli angehört, und ich habe überhaupt nicht den Eindruck, dass er den Antisemitismus bagatellisiert. Seine Beiträge sind alle profund und differenziert. Und wenn er das Problem des in Frage gestellten und nicht mehr vollends durchsetzungsfähigen Rechtsstaats anspricht, dann muss man sich bewusst sein, mit was dieser Rechtsstaat alles konfrontiert ist: mit arabischen, türkischen und kurdischen Clans, die eine Schattengesellschaft bilden und sich nur ihren Großfamilien, nicht wirklich dem Staat unterordnen; mit der albanischen, italienischen und russischen Mafia, die Drogenhandel, Müllhandel, Immobilienhandel und Geldwäsche betreiben; mit «Reichsbürgern», mit ehemaligen IS-Kämpfern; mit islamistischen Terroristen; mit linker und rechter Gewaltbereitschaft. Die demokratisch legimitierte Autorität droht zu zerbröseln; in Köln-Ehrenfeld beispielsweise hat die türkische Regierung mehr Einfluss als der Bezirksbürgermeister. Das Problem betrifft nicht nur Deutschland, sondern wohl alle pluralistischen post-industrialisierten Demokratien, also beispielsweise auch Frankreich, Großbritannien, die Schweiz. Da der Deutschland-Korrespondent von Radio SRF durch seine Beiträge die Augen öffnet und das Problembewusstsein schärft, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen, so sehr ich Ihre Sorge verstehe.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/wie-den-rechtsextremismus-bekaempfen
[2] z.B. https://www.tu-berlin.de/fakultaet_i/zentrum_fuer_antisemitismusforschung // https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat-integration/expertenkreis-antisemitismus/expertenbericht-antisemitismus-in-deutschland.pdf?__blob=publicationFile&v=4
[3] https://www.srf.ch/play/radio/international/audio/meine-pistole-ist-immer-durchgeladen---immer?id=3e2fb848-b9f9-4e4a-b305-40b3450aa3e8
[4] https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/deutschland-hat-ein-sicherheitsproblem?id=0f838ac8-617d-456e-839b-63baf145e21d
[5] https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/buergergespraech-in-chemnitz?id=f58e968a-0f13-462d-aa9f-a6e7ff0b536c
[6] https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/es-gaebe-die-neue-rechte-ohne-fluechtlingskrise-nicht?id=f15781fd-3bb2-426c-861e-98177365d38
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