«10 vor 10»-Beitrag «Pflegekosten – die Armutsfalle» beanstandet

6159
Mit Ihrer E-Mail vom 18. Oktober 2019 beanstandeten Sie die Sendung «10 vor 10» (Fernsehen SRF) vom 17. Oktober 2019 und dort den Beitrag «Pflegekosten – die Armutsfalle».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Das Sachgerechtigkeitsgebot (unfaire Darstellung) und das Transparenzgebot (vor Wahlen linke Parteien unterstützen) wurden verletzt. In der Sendung wurde mehrmals erwähnt, die Erben müssten die Ergänzungsleistungen bezahlen. Korrekt ist, dass die Erbschaft kleiner ist. (Immer noch 40000 Fr., auch wenn hundert tausende von Franken bezogen wurden). Nicht erwähnt wurden Gründe, weshalb das neue System gerechter ist oder sein könnte. Es wurde einseitig Stellung genommen durch mehrmaliges erwähnen, ‘Erben müssen zahlen’. Das ängstigt uninformierte Personen. Eine Person, welche das Pensionskassengeld auf ein Konto ausbezahlen lässt, muss das Geld bis auf einen Rest für seine Pflege aufbrauchen, bevor er Ergänzungsleistungen erhält. Setzt jemand das Geld für den Hauskauf ein, wurde dieses Geld bisher geschützt und die Erben konnten alles behalten. Diese und weitere ethische Gründe wurden nicht erwähnt. In Kommentaren wirkt sich dies auf die Wahlen aus. Es war im Aargauer Tagblatt und weiteren Kommentaren zu lesen, auch wegen einer früheren Darstellung in 10 vor 10, man solle sinngemäss nur noch linke Parteien wählen, die der neuen Regelung nicht zugestimmt hätten. Die Sendung war somit auch klare Propaganda für linke Parteien.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «10 vor 10» antworteten Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter, und Frau Corinne Stöckli, Fachspezialistin SRF:

«Herr X beanstandet unsere Berichterstattung zu den Ergänzungsleistungen in der Sendung 10vor10 vom 17. Oktober 2019. Sie setzte sich aus zwei Teilen zusammen: Im Beitrag ‘Pflegekosten – die Armutsfalle’ haben wir unter anderem aufgezeigt, wie Betroffene zu den Ergänzungsleistungen stehen und was diese für sie bedeuten. Ein Experte erklärte dabei das System der Ergänzungsleistungen und die Auswirkungen der aktuellen Revision. Im anschliessenden Studiogespräch mit Martin Eling, Professor für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen [2], ging es insbesondere darum, wie die Pflegekosten das gesamte System der Altersfürsorge belasten.

Wir haben über die neue Pflicht zur Rückzahlung der Ergänzungsleistung umfassend berichtet: Erstmals haben wir die Revision der Ergänzungsleistungen und deren Folgen in der Sendung 10 vor 10 vom Montag, 14. Oktober 2019 [3] thematisiert und mit einem online-Artikel [4] ergänzt. Unsere Berichterstattung stiess auf grosses Interesse und wurde in der Folge von verschiedenen anderen Medien aufgegriffen (Tagesanzeiger, Blick, Beobachter). Offensichtlich hat 10vor10 mit dieser Recherche einen Aspekt aufgegriffen, der in der Berichterstattung anlässlich der Parlamentsdebatte anfangs Jahr kaum beachtet worden ist. Eine öffentliche Debatte über diese Rückzahlungspflicht wurde bisher nicht wirklich geführt. Aufgrund der vielen Reaktionen haben wir am Donnerstag 17. Oktober unsere Berichterstattung zu dem Thema mit einem Beitrag und einem Studiogespräch weitergeführt, wiederum ergänzt durch einen zweiten online-Artikel [5]am Folgetag. Die beanstandete Berichterstattung war also Teil eines grösseren Pakets, welches verschiedene Aspekte des Themas beleuchtete.

Der Beanstander kritisiert nun verschiedene Punkte unserer Berichterstattung. Gerne nehmen wir dazu Stellung.

1. Vorwurf: Erbschaft ist kleiner (nicht: Erben müssen Ergänzungsleistungen zahlen)

Der Beanstander meint: <In der Sendung wurde mehr mehrmals erwähnt, die Erben müssen die Ergänzungsleistungen bezahlen. Korrekt ist, dass die Erbschaft kleiner. (Immer noch 40'000 Fr., auch wenn hundert tausende Franken bezogen wurden).>

Wir sprechen im beanstandeten Beitrag nicht davon, dass die Erben die Ergänzungsleistungen ‘bezahlen’ müssen, wie der Beanstander meint, sondern davon, dass die Erben diese ‘zurückbezahlen’ müssen – und zwar nur soweit etwas vom Nachlass übrigbleibt. Beispielsweise an folgender Stelle:

Er [Walter Ehn, pflegebedürftiger Rentner] spricht die Zurückzahlung an, die das Parlament beschlossen hat: Ab 2021 müssen Erben die Ergänzungsleistungen zurückbezahlen, sofern etwas vom Erbe übrigbleibt.

Die entsprechende Gesetzesreform (ELG-Reform) wurde von der Bundesversammlung am 22. März 2019 beschlossen. Die Referendumsfrist ist in der Zwischenzeit ungenutzt verstrichen, so dass dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung nichts mehr entgegensteht. Die einschlägige Norm (Art. 16a Ab.1 ELG-Reform) darin lautet wie folgt:

Es ist also eine vom Gesetzgeber geschaffene Regelung, dass die Erben künftig vom Erblasser bezogene Ergänzungsleistungen zurückerstatten müssen. Wir haben also korrekterweise von einer ‘Zurückzahlung’ der Ergänzungsleistung durch die Erben gesprochen.

Im beanstandeten Beitrag haben wir ebenfalls erwähnt, dass die Rückerstattung nur von demjenigen Teil des Nachlasses zu leisten ist, der den Betrag von 40'000 CHF übersteigt. So erklärte im Beitrag Ueli Kieser, Dozent für Sozialversicherungsrecht an der Universität St. Gallen wörtlich:

Ueli Kieser, Dozent für Sozialversicherungsrecht Universität St. Gallen
<Mit der Revision wird erstmals vorgesehen, dass man die Ergänzungsleistungen zurückbezahlen muss, wenn man erbt von jemanden, der vorher Ergänzungsleistungen gehabt hat. Das ist eigentlich sehr untypisch, weil eine Versicherung eigentlich nie zu einer Rückerstattung führt. Man hatte ja den Anspruch darauf. Neu hat jetzt aber das Parlament gesagt: Wenn jemand erbt – und mehr als 40.000 Franken erbt von jemandem, der Ergänzungsleistungen bezogen hat –, dann muss man das, was über 40.000 Franken liegt, zurückbezahlen. Eigentlich untypisch für eine Versicherung. Versicherung bedeutet: Man hat einen Anspruch und wenn das Risiko eintritt, bekommt man das Risiko. Und das war’s.>

Dem Publikum war also klar, dass die Pflicht zur Rückerstattung bezogener Ergänzungsleistungen nur denjenigen Teil des Nachlasses betrifft, der 40'000 CHF übersteigt.

Der Beanstander nimmt in seinem Schreiben Bezug auf ‘eine frühere Darstellung von 10vor10’. Wir dürfen also davon ausgehen, dass er auch den Beitrag vom 14. Oktober gesehen hat, mit welchem wir das Thema lanciert haben. Auch in diesem Beitrag haben wir das System der Rückerstattung und den geschützten Betrag von 40'000 CHF in einer Grafik verdeutlicht und zudem an verschiedenen Stellen im Text erklärt. So hiess es beispielsweise an einer Stelle wörtlich:

Sterben nun der Bezüger und danach der Ehepartner, müssen die Erben die Ergänzungsleistungen dem Staat zurückzahlen. Von dem Teil des Erbes, der 40'000 Franken übersteigt.

Screenshot Grafik aus dem Beitrag vom 14.10.2019

Auch im online-Artikel vom 16. Oktober 2019 haben wir das System erklärt. Wörtlich hiess es:

<Im neuen Ergänzungsleistungsgesetz, in Artikel 16 zur ‘Rückerstattung rechtmässig bezogener Leistungen’ steht, dass diese ‘nach dem Tod der Bezügerin oder des Bezügers aus dem Nachlass zurückzuerstatten’ sind. Und zwar von dem Teil des Erbes, der 40'000 Franken übersteigt. Bei Ehepaaren greift die Rückerstattungspflicht erst, wenn beide Ehepartner verstorben sind.>

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir im beanstandeten Beitrag das System der Rückzahlung der vom Erblasser bezogenen Ergänzungsleistungen durch die Erben korrekt wiedergegeben haben, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte.

2. Vorwurf: Einseitigkeit

Der Beanstander meint zudem, wir hätten nicht erwähnt, <warum das neue System gerechter ist oder sein könnte. Es wurde einseitig Stellung genommen durch mehrmaliges erwähnen, ‘Erben müssen zahlen’.> Damit sind wir nicht einverstanden.

Festzuhalten ist zuerst, dass wir das System der Rückerstattung korrekt erklärt haben (vgl. oben unter 1.) und es mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes schlicht eine Tatsache ist, dass die Erben die bezogenen Ergänzungsleistungen aus dem Erbe – abgesehen von den davor geschützten 40'000 CHF – zurückbezahlen müssen.

Zudem haben wir verschiedentlich die Meinung und die Argumente von Betroffenen wiedergegeben, welche das neue System begrüssen. Wörtlich hiess es im Beitrag:

Was halten sie [die Betroffenen] davon, dass Erben künftig belangt werden.

Martina Huber, Altersheimbewohnerin:
<Ich finde es auch fair gegenüber denen, die selbst alles finanziert haben, auch mit den Ersparnissen.>

Frage Reporter:
<Soll man da Ergänzungsleistungen zurückfordern können?>

Pia Oberholzer, Altersheimbewohnerin:
<Auf jeden Fall, also das sind die Ungerechtigkeiten, die vorher da waren, dass sie alles verschenkt haben oder irgendwie weitergegeben haben, damit ja nichts mehr übrigbleibt, und haben dann Ergänzungsleistungen bezogen. Und das ist nicht fair, wenn man es nachher nicht von den Erben zurückverlangt.>

Es ist also keinesfalls so, dass wir die Sichtweise der Befürworter der neuen Regelung ausser Acht gelassen hätten. Anders als der Beanstander meint, haben wir also auch Argumenten Raum gegeben, welche für das neue System sprechen. Von einer ‘einseitigen Stellungnahme’ kann also keine Rede sein.

3. Vorwurf: Propaganda für linke Parteien

Der Beanstander meint zudem, die Sendung mache ‘klare Propaganda für linke Parteien.’ Dieser Vorwurf ist für uns aus verschiedenen Gründen nicht nachvollziehbar.

Erstens zeigen wir im beanstandeten Beitrag verschiedene Sichtweisen auf die neue Regelung auf. Insbesondere greifen wir auch die Sicht von Altersheimbewohnern auf, welche die neue Regelung als ‘fair’ bezeichnen (vgl. oben unter 2.) Unsere Berichterstattung war also inhaltlich in keiner Weise einseitig.

Zweitens haben wir in der beanstandeten Berichterstattung weder im Beitrag noch im Studiogespräch irgendwo über linke oder rechte Parteien gesprochen. Im Studiogespräch kritisierte unser Studiogast nicht etwa einzelne Parteien, sondern die Politik insgesamt, welche es verpasst hat, eine Pflegeversicherung zu etablieren. Wörtlich sagte Martin Eling, Professor für Versicherungswirtschaft an der Universität St. Gallen, im Studiogespräch:

<(...) aber irgendwie haben wir es verpasst, dasselbe auch für die Pflegeversicherung zu implementieren.>

Frage Moderator:
<Also das wurde verschlafen?>

Prof. Martin Eling:
<Es wurde ein stückweit verschlafen, denke ich. Zum Beispiel in Deutschland gibt es...(...)>

Unser Studiogast hat die Politik also zwar insgesamt kritisiert, hat dabei aber auch darauf verzichtet, eine Partei oder eine politische Seite direkt oder indirekt zu nennen.

Drittens haben wir im Beitrag vom 14. Oktober klar aufgezeigt, dass ursprünglich alle Parteien – also auch die Linken – die neue Regelung unterstützt haben. Wir haben Vertreter verschiedener Parteien (SVP, CVP, SP) mit den schwerwiegenden Folgen der neuen Regelung konfrontiert und ihre Stellungnahme im Beitrag wiedergegeben. Aus diesen Gründen war unsere Berichterstattung weit davon entfernt, ‘klare Propaganda für linke Parteien’ zu sein.

Zusammenfassend sind wir der Ansicht, dass wir differenziert über das Thema berichtet haben, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden konnte. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung nicht zu unterstützen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich kann Ihnen leider nicht folgen. Die Sendung «10 vor 10» hat ein wichtiges Thema problematisiert, nämlich das Thema der hohen – und steigenden – Pflegekosten, steigend für die Einzelnen (wegen der Teuerung beispielsweise), steigend für die Allgemeinheit (wegen der Zunahme der Zahl alter und pflegebedürftiger Menschen). Und die Redaktion hat im Gespräch mit Professor Martin Eling der Politik eine Hausaufgabe zugespielt, nämlich dass die Schweiz die Einrichtung einer Pflegeversicherung überlegen sollte. Es gehört zu den Aufgaben der Medien, bei Problemen, die die Leute umtreiben und bedrücken, kritisch hinzugucken und die Hintergründe auszuleuchten, und es gehört auch zu ihren Aufgaben, neue Ideen in den öffentlichen Diskurs zu tragen. Beides hat «10 vor 10» getan. Dabei sehe ich keineswegs Propaganda für die linke oder für die rechte Seite im Spiel, sondern bloß Aufklärung, Problematisierung und Anregung. Das Publikum konnte sich mit Hilfe der redaktionellen Informationen, der Stimmen von Betroffenen sowie der Ausführungen von Wissenschaftlern frei eine eigene Meinung bilden. Eine Manipulation liegt folglich nicht vor, und ich kann deshalb Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-pflegekosten---die-altersarmutsfalle?id=9a7575af-da62-4fff-b653-299b4ef498ca

[2] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/fokus-im-studio-professor-martin-eling?id=3033dc47-cd54-4082-b458-0595a6aa9af6

[3] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/erben-muessen-ergaenzungsleistungen-teils-zurueckbezahlen?id=0fab28f5-cbff-4284-a10f-923147b06051

[4] https://www.srf.ch/news/schweiz/neue-regelung-ab-2021-erben-muessen-fuer-ergaenzungsleistungen-von-verstorbenen-aufkommen

[5] https://www.srf.ch/news/schweiz/strittige-gesetzesreform-wenn-wir-nichts-aendern-explodieren-die-ergaenzungsleistungen

Tags

Alle Schlussberichte der Ombudsstelle jetzt ansehen

Kommentar

Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar inkl. Name in unserem LINK-Magazin veröffentlicht werden kann

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht

Weitere Neuigkeiten