«Tagesschau»-Beitrag «Baghdadis Tod im Höhlensystem» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 29. Oktober 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «Baghdadis Tod im Höhlensystem».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Der Auslandsjournalist hat mehrfach Assad als Diktator bezeichnet. Wann wurde er vom Präsidenten zum Diktator?»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» äußerten sich Frau Regula Messerli, Redaktionsleiterin, und Frau Corinne Stöckli, Fachspezialistin SRF:
«Herr X beanstandet den Beitrag «Baghdadis Tod im Höhlensystem» in der Hauptausgabe der Tagesschau am 29. Oktober 2019. Im ersten Teil des rund vierminütigen Beitrages ging es um die Umstände des Todes von Baghdadi in Idlibs Höhlensystem. Im zweiten Teil des Beitrags besuchte unser Korrespondent ein solches Höhlensystem und erklärte dem Publikum dessen Bedeutung für die radikalen Islamisten.
Der Beanstander stört sich nun offenbar an der von unserem Korrespondenten gewählten Bezeichnung ‘Diktator’ für Baschar al-Assad. Er schreibt: <Der Auslandsjournalist hat mehrfach Assad als Diktator bezeichnet. Wann wurde er vom Präsidenten zum Diktator?>
Die Bezeichnung ‘Diktator’ für Baschar al-Assad kommt in der Berichterstattung an zwei Stellen vor. Wörtlich lautete die erste Passage:
Diese Tunnelanlage bei Chan Schaichun in der syrischen Rebellenhochburg Idlib ist seit kurzem unter Kontrolle der Regierungstruppen. Diktator Assad und seine Verbündeten, die russischen Militärs haben die Höhlenbauer, radikale Islamisten nach massiven Kämpfen vertrieben.
Und die zweite Stelle im Wortlaut:
Neue Kämpfe können eine weitere grosse Fluchtwelle nach Europa auslösen. Denn in Idlib leben mehr als zwei Millionen Zivilisten. Die meisten sind durch den bereits acht Jahre andauernden Krieg ausgelaugt, haben teilweise alles verloren. Weder Diktator Assad noch seine Gegner schonen die Zivilbevölkerung.
Mit dem Begriff ‘Diktator’ gehen wir grundsätzlich zurückhaltend um, impliziert er doch die Anwendung von willkürlicher Gewalt und die Verletzung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien. Gleichzeitig ist es als Journalisten auch unsere Aufgabe, die Dinge beim Namen zu nennen – und jemanden, der diesen Kriterien entspricht, tatsächlich auch als ‘Diktator’ zu bezeichnen. In Bezug auf Baschar al-Assad sind wir der Meinung, dass der Begriff ‘Diktator’ zutreffend ist.
Im Jahr 2000 folgte Baschar al-Assad auf seinen Vater als offizieller Staatspräsident von Syrien. Nach anfänglichen Reformbestrebungen zeigte sich Baschar al-Assad bald wieder autoritär und ging mit Gewalt gegen jegliche Opposition vor. Im Zuge des Arabischen Frühlings gab es 2011 auch in Syrien friedliche Demonstrationen gegen die Regierung. Assad reagierte auch darauf mit brutaler Gewalt und Unterdrückung.
Seit nunmehr acht Jahren befindet sich Syrien in einem blutigen Bürgerkrieg. Seither sind mehrere hunderttausend Menschen in Syrien getötet worden und Millionen von Menschen geflohen. Als Diktator hält sich Assad auch im Bürgerkrieg nicht an das Recht: So hat die UN seitens des Assad-Regimes ‘systematische Menschenrechtsverletzungen’ festgestellt. In der Zwischenzeit ist der Krieg in Syrien längst mehr als ein Kampf zwischen Assad und seinen Gegnern – involviert sind unzählige regionale Kriegsparteien mit unterschiedlichen Zielen, aber auch ausländische Mächte wie die Türkei oder Russland. Seit dem Herbst 2019 wird auf der Grundlage einer UN-Resolution intensiv über einen Frieden in Syrien verhandelt.
Es gibt unzählige übereinstimmende Berichte und Dokumente von der UN und von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen über Kriegsverbrechen, die Assad und sein Regime begangen haben. Als Beispiele sei der von der UN in dutzenden Fällen nachgewiesene Gebrauch von Chemiewaffen, der breite Einsatz von Fassbomben und die gezielte Gewalt gegen Zivilisten. Fakt ist also, Syriens Machthaber Baschar al-Assad ging während des Bürgerkries mit äusserster Brutalität gegen sein eigenes Volk vor. Baschar al-Assad darf also als ‘Diktator’ bezeichnet werden.
Eine Auflistung von Assads Kriegsverbrechen findet sich z.B. im Spiegel-Artikel «Assads Register der Grausamkeiten’.[2] Auch folgende, ausführliche Dokumentationen der UN und von Menschenrechtsorganisationen enthalten unzählige Belege für die von Assads Regime begangenen Kriegsverbrechen:
- United Nations Human Rights Council, Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [3];
- Human Rigths Watch (HRW), Syria Events of 2017 [4] ;
- Amnesty International: Syria Report 2017/2018 [5] ;
- Syrian Observatory for Human Rights (SHOR) [6] ;
- Correctiv. Recherchen für die Gesellschaft. Cécile Débarge: ‘Beweise sichern für einen Prozess, den es vielleicht nie gibt’ [7].
Unsere Einschätzung, dass es legitim ist, Baschar al-Assad als ‘Diktator’ zu bezeichnen, teilen verschiedene Qualitätsmedien im In- und Ausland:
Der Diktator in Damaskus ist der größte Gewinner
Süddeutsche Zeitung, 17. Oktober 2019 [8]
Die Kurden und das Assad-Regime: Pakt mit dem Diktator
Spiegel, 14. Oktober 2019 [9]
Für Syriens Diktator darf sich der Krief nicht auszahlen
NZZ, 25. August 2018 [10]
Diktator Assad: Gewaltherrscher in bester Laune
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Oktober 2015 [11]
Aus den oben genannten Gründen sind wir der Meinung, dass die Verwendung der Bezeichnung ‘Diktator’ für Baschar al-Assad sachgerecht war. Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung zurückzuweisen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Was ist ein Diktator? Ursprünglich war der Diktator ein vom Senat der Römischen Republik eingesetzter Machthaber, der in Notzeiten für befristete Zeit und mit Sondervollmachten die Konsuln ersetzte. Heute spricht man von Diktatoren, wenn sich Herrscher über jegliche Kontrolle hinwegsetzen können. Hitler hatte mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes die Gesetzgebung in die Exekutive verlagert, und da sich im nationalsozialistischen System Ministerien, Parteistellen, SS, Gestapo und Wehrmacht gegenseitig in Schach hielten, entschied letztlich alles Wichtige der «Führer». Stalin, der als Generalsekretär der Kommunistischen Partei dem Politbüro, dem Zentralkomitee und dem Parteitag Rechenschaft schuldig war, konnte mit Hilfe des Geheimdienstes immer wieder die Parteikader «säubern» und so alle Überlebenden zwingen, ihm zu huldigen. Auch Mao spielte stets die verschiedenen Tendenzen gegeneinander aus. Diktatoren schrecken nicht davor zurück, Kritiker und Gegner zu eliminieren, und das verschafft ihnen Macht und Gefolgschaft. Solche Stellungen hatten Pol Pot, Idi Amin, Kim il-Sung, Saddam Hussein oder Robert Mugabe inne.
Wie aber verhält es sich mit Baschar al-Assad? Assad ist gewählter Staatspräsident und Generalsekretär der syrischen Baath-Partei. Als solcher sitzt er dem Regionalkommando der Partei vor. 2013, als in der Parteispitze Kritik an Assads Methode, den Bürgerkrieg zu führen, aufkam, tauschte er das ganze Spitzenkader aus. Er besitzt folglich die Macht, Gegner kaltzustellen. Man weiß auch, dass alle Todesurteile über seinen Schreibtisch laufen. Staatsrechtlich wäre es falsch, ihn Diktator zu nennen, denn er ist ein auf Amtszeit gewählter Präsident. Journalistisch aber ist es möglich, ihn als Diktator zu bezeichnen, da alle Organe, die ihn kontrollieren müssten, ihm bloß akklamieren. Er ist daher faktisch «Alleinherrscher». Und er ist letztlich ein Despot, weil er das eigene Volk hinmetzelt, um seine Gegner zu bekämpfen, in denen er vom Ausland eingeschleuste und finanzierte Terroristen sieht. Er verantwortet damit zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Dies ist allerdings umstritten. Erst vor kurzem hat der Journalist Helmut Scheben in der «Weltwoche» eine Eloge auf Assad publiziert unter dem Titel «Assad, Retter Syriens».[12] Ihm widersprach indes der langjährige Nahost-Korrespondent Pierre Heumann in der folgenden Nummer der «Weltwoche», wo er unter anderem schrieb: «Baschar al-Assad hat seinen Vater an Brutalität übertroffen».[13] Die Kontroverse hält an.
Ich würde daher eigentlich Assad korrekt mit dem Amt, das er innehat, bezeichnen, also von Präsident Assad reden oder schreiben. Aber ich würde die von ihm veranlassten und verleugneten Gräueltaten deutlich beim Namen nennen. Wenn aber Journalistinnen und Journalisten in Print-, Online- oder Rundfunkmedien ihn Diktator heißen wollen, so ist dagegen wenig einzuwenden, da er die Funktion ja erfüllt. Daher kann ich letztlich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/baghdadis-tod-im-hoehlensystem?id=9b908233-2145-4125-953f-ed42ee8151d5
[2]https://www.spiegel.de/politik/ausland/verbrechen-in-syrien-assads-suendenregister-a-944733.html Seit Publikation des Spiegel-Artikels hat die UN die Giftgas-Angriffe des Assad-Regimes definitiv nachgewiesen.
[3] https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/IICISyria/Pages/Documentation.aspx, siehe auch https://www.reuters.com/article/mideast-crisis-syria-warcrimes-idUSL5N1VY233
[4] https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/syria
[5] https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/syria/report-syria/
[7] https://correctiv.org/aktuelles/flucht-und-migration/2018/01/29/beweise-sichern-fuer-einen-prozess-den-es-vielleicht-nie-gibt
[8] https://www.sueddeutsche.de/politik/nordsyrien-und-dafuer-ein-krieg-1.4644404
[9] https://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-kurden-schliessen-einen-pakt-mit-baschar-al-assad-a-1291443.html
[10] https://www.nzz.ch/meinung/fuer-syriens-diktator-darf-sich-der-krieg-nicht-auszahlen-ld.1413090
[11] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/diktator-assad-gewaltherrscher-in-bester-laune-13840340.html
[12] „Weltwoche“ 46/2019, 14.11.2019, S. 44-47
[13] „Weltwoche“ 47/2019, 21.11.2019, S. 46
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