«Rundschau»-Beitrag «Zitterpartie für Cassis» beanstandet (I)

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Mit Ihrer E-Mail vom 14. November 2019 beanstandeten Sie die Sendung «Rundschau» (Fernsehen SRF) vom 13. November 2019 und dort den Beitrag «Zitterpartie für Cassis».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Der Beitrag über Bundesrat Cassis, ‘Zitterpartie für Ignazio Cassis’ entbehrte der Sachgerechtigkeit. In der Sendung von Dominik Meier zeigt Georg Humbel ganz kurz, wo BR Cassis willkommen ist, nämlich beim Thinktank Voraus. Dieser wird abschätzig als ‘Europa-Turbo’ tituliert und somit die Befürworter der Cassis-Politik gleich diskriminiert. Es folgt dann immer wieder das rufschädigende Bild vom Stuhl, an dem gesägt wird. UNRWA-Thema: Dass diese Institution ein Teil des Problems sei, wird als ‘Tolggen im Reinheft’ von BR Cassis tituliert. Dabei wird unterschlagen, dass ihm der Rücktritt von UNRWA Generalkommissar Pierre Krähenbühl recht gibt. Solche schiefe Berichterstattung wird durch die Statements der NR Schneider-Schneiter, Portmann und Markwalder nicht kompensiert. Ich beantrage eine Richtigstellung.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Rundschau» antwortete Herr Mario Poletti, Redaktionsleiter der Sendung:

«Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Frau X.

Die Bezeichnung ‘junge Europaturbos’ ist weder abschätzig noch diskriminierend. Der ‘Think Tank Foraus’ besteht vor allem aus jungen Akademikerinnen und Akademikern, die von der Aussenpolitik fasziniert sind. <Viele haben im Ausland gelebt oder studiert. Europa ist für sie eine tägliche Lebensrealität>, sagte Präsident Nicola Forster gegenüber der NZZ am 12. August 2019 über die Mitglieder von Foraus und ihre politischen Werte. Der Think Tank ist klar pro-europäisch positioniert und begrüsst eine internationale Vernetzung der Schweiz. In der kritisierten Sequenz begrüsst Foraus-Präsident Nicolas Forster Bundesrat Cassis persönlich. Nicolas Forster ist nicht nur Gründer und Präsident von Foraus. Er ist auch Co-Präsident der GLP Zürich und hat für den Nationalrat kandidiert. Forster wurde dabei von der Operation Libero als Kandidat unter anderem mit dem Claim ‘für eine europäische Schweiz’ beworben. Zusammenfassend betrachtet ist der Begriff ‘junge Europaturbos’ in diesem Fall gut begründbar und inhaltlich zutreffend.

Mit der Inszenierung rund um den Sessel hat die Rundschau auf eine ungewöhnliche, aber sehr anschauliche Bildidee gesetzt. Das Bildmotiv ist in keiner Art und Weise rufschädigend. Das Bild macht keinerlei Aussage über die politische Leistung von Bundesrat Cassis. Die Säge und der Stuhl zeigen viel mehr einfach und allgemein verständlich, dass der Sitz von Bundesrat Cassis aus ganz verschiedenen Gründen und Richtungen angegriffen wird.

Die Beanstanderin moniert zudem, die Kritik von Bundesrat Cassis am Palästinenser-Hilfswerk der UNO (UNWRA) könne nicht als ‘Tolggen im Reinheft’ von Bundesrat Cassis bezeichnet werden. Gerade der Rücktritt von Generalkommissar Pierre Krähenbühl zeige heute, dass Bundesrat Cassis mit seiner Kritik richtig gelegen sei. Das ist aus Sicht der Redaktion nicht der entscheidende Punkt der ganzen Geschichte. Bundesrat Cassis formulierte seine Kritik im Frühling 2018 völlig überraschend in einem Zeitungsinterview. Es handelte sich nicht um die konsolidierte Meinung des Bundesrates. Es handelte sich um eine erstmals formulierte und nicht abgesprochene Abkehr von der bisherigen Nahost-Politik des Bundesrates. Deshalb haben die Äusserungen von Bundesrat Cassis national und international auch hohe Wellen geschlagen. So hat unter anderem Bundespräsident Alain Berset interveniert und Bundesrat Cassis ‘zurückgepfiffen’, wie das ‘St. Galler Tagblatt’ am 19. Mai 2018 schrieb. ‘Cassis irritiert UNO und eigene Beamte’ titelte die ‘Sonntagszeitung’ am 3. Juni 2018. Weiter heisst es im Artikel über die diplomatischen Querelen wegen Cassis’ Aussagen: <Nicht nur die UNO hat interveniert, auch mehrere Staaten haben Fragen zu Cassis’ Palästina-Politik und der Kandidatur für den Sicherheitsrat gestellt – allen voran Jordanien und Libanon, wo am meisten Palästina-Flüchtlinge leben.> Die internationale Reaktion zeigt, dass die überraschend formulierte Kritik von Bundesrat Cassis durchaus als grosser diplomatischer Eklat bezeichnet werden kann. Deshalb ist es aus Sicht der Rundschau auch legitim, von einem ‘Tolggen im Reinheft’ zu reden.

Der Beitrag war transparent und kontrovers erzählt, das Publikum konnte sich eine eigene Meinung bilden. Im Anschluss an den Beitrag hatte zudem FDP-Präsidentin Petra Gössi an der Rundschau-Theke ausführlich Gelegenheit, ihre besten Argumente zugunsten von Herrn Bundesrat Cassis zu platzieren.

Aus diesen Gründen bitten sie Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Zwei Fakten sind nicht wegzudiskutieren: Faktum 1 ist die Bundesratskandidatur der Grünen, Faktum 2 sind die Schwächen von Bundesrat Ignazio Cassis. Die Grünen beanspruchen einen Sitz im Bundesrat, und werden dabei den Sitz von Ignazio Cassis angreifen. Und Bundesrat Cassis hat seit seinem Amtsantritt den einen oder anderen Fehler gemacht. Allerdings würde ich die fünf «Tolggen im Reinheft», die die «Rundschau» aufzählt, teilweise anders bewerten:

  1. Es war sicherlich ungeschickt, dass Ignazio Cassis kurz vor seiner Wahl der Waffenlobby «Pro Tell» beitrat, und diesen Beitritt unmittelbar nach seiner Wahl in die Landesregierung wieder annullierte. Bundesräte sollten sich von allen Lobbies fernhalten, und wenn man darauf hofft, in die nationale Regierung gewählt zu werden, dann sollte man einer Lobby schon mal gar nicht beitreten.
  2. Es war nochmals ungeschickt, dass der neue Außenminister auf seiner Afrika-Reise die Umwelt-Werte von Glencore in Sambia schöngeredet hat. Ein Außenminister ist glaubwürdiger, wenn er nicht nur die Leistungen einer Schweizer Firma im Ausland lobt, sondern auch ihre Sünden und Fehlleistungen kritisiert.
  3. Dass Bundesrat Cassis hingegen die UNRWA (United Nations relief and works agency for palestine refugees in the near east)[2] kritisierte und die Schweizer Beiträge bis zum Ende der UNO-internen Untersuchung blockierte, war mutig und richtig. Eine Organisation, die den Status quo zementiert, die in ihren Schulen antisemitische Lehrbücher verwendet, deren Mitarbeitende zu einem großen Teil mit der Hamas sympathisieren und gegen deren – jetzt zurücktretenden – Schweizer Direktor Vorwürfe vorliegen, kann nicht weiter blind unterstützt werden.[3]
  4. Dass das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gegen die Lieferung von Pilatus-Flugzeugen nach Saudi-Arabien Einspruch erhob, ist vor dem Hintergrund der humanitären Tradition der Schweiz und ihrer Verpflichtung auf die Menschenrechte nur konsequent. Denn wenn die Gefahr besteht, dass Saudi-Arabien Schweizer Flugzeuge für den illegalen Krieg in Jemen einsetzt, muss die Notbremse gezogen werden.
  5. Das Rahmenabkommen mit der EU kam nur dank Bundesrat Cassis überhaupt zum Abschluss. Zwar sind noch einige Fragen offen, und natürlich wird dem Außenminister sowohl von den Gewerkschaften als auch der SVP opponiert, aber man war noch nie so weit wie jetzt.

Es gibt also eigentlich nur zwei wirkliche «Tolggen im Reinheft». Allerdings ist die Redaktion der «Rundschau» nicht von eigenen Beurteilungen der Taten des Außenministers ausgegangen, sondern von der vorgetragenen Kritik, und Kritik gibt es natürlich aus je unterschiedlichen Lagern bei allen fünf Themen. So gab es beispielsweise bei den Themen Glencore und UNRWA linke Kritik, beim Thema Pilatus-Exporte bürgerliche Kritik und beim Rahmenabkommen Kritik von beiden Seiten. Es ist legitim, diese Kritik zu spiegeln. In der Sendung wird sie von den Nationalräten Irène Kälin (Grüne, Aargau), Fabian Molina (SP, Zürich), Balthasar Glättli (Grüne, Zürich), Peter Keller (SVP, Nidwalden) und Lukas Reimann (SVP, St. Gallen) sowie von Ständerat Hans Wicki (FDP, Nidwalden) geäußert. Die Politik von Bundesrat Cassis wird aber von den Nationalräten Hans-Peter Portmann (FDP, Zürich), Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP, Baselland), Christa Markwalder (FDP, Bern) und Tiana Angelina Moser (GLP, Zürich) unterstützt. So gibt es überhaupt keinen Anlass, irgendetwas zu berichtigen. Denn es stimmt eben, dass die Kritiker und vor allem jene, die gewillt sind, die grüne Bundesratskandidatur zu unterstützen, am Stuhl von Cassis sägen. Rufschädigend ist das nicht, denn wer ein politisches Amt übernimmt, muss immer mit Kritik aus Politik und Medien rechnen.

Kommt dazu, dass ich als Ombudsmann immer die ganze Sendung in den Blick nehmen muss. Und zur Gesamt-Sendung gehört auch das Interview an der Theke mit Nationalrätin Petra Gössi, der FDP-Präsidentin. Sie verteidigte Bundesrat Cassis gut.

Ob es im Übrigen begründet war, die Mitglieder des Thinktanks Foraus [4] als «junge Euroturbos» zu bezeichnen, ist Geschmacksache, und wenn es ein Fehler war, dann ein Fehler in einem Nebenpunkt, der nicht geeignet war, die freie Meinungsbildung des Publikums über Bundesrat Cassis zu beeinträchtigen. So ziehe ich das Fazit, dass ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen kann.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/zitterpartie-fuer-cassis-st--galler-kantonalbank-unter-druck-kampf-um-arktis?id=29e313f6-e16d-479c-be8c-d7c31827cdff

[2] https://www.unrwa.org/

[3] https://www.cicero.de/aussenpolitik/palaestinenser-hilfswerk-unrwa-schweiz-usa-deutschland

[4] https://www.foraus.ch/

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