Fernsehen SRF, Spielfilm «Underdog» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 12. November 2019 beanstandeten Sie den Film «Underdog», der auf Fernsehen SRF am 11. November 2019 ausgestrahlt worden war. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Dieser Film zeigt Szenen, die an Tierquälerei erinnern. Auch wenn man das nicht beweisen kann, dann steht für viele Leute fest, dass Tiere höchstwahrscheinlich kein Bewusstsein haben: die erleben die Gegenwart(durchaus auf vielfältige Art), aber sie können sich nicht vorstellen, dass etwa eine Kampfszene mit einem anderen Hund (wie im Film dargestellt) nur Schein sein soll. Dass überdies dieser Film fuer 12 jährige zumutbar sei, das ist in gleicher Weise nicht tolerierbar wie beispielsweise irgendwelche Gewaltszenen oder ähnliches. Ich hab gegoogelt und gelesen, dass dieser Film positives Aufsehen in der Filmwelt erzeugt hat. Das mag wohl sein für irgendwelche elitäre Kritiker. Mich persoölich hat aber dieser Film Agressionen entwickeln lassen gegen die dargestellten Leute dort, Ungaren. Was für gestörte Typen werden da gezeigt. Klar, das alles soll das Orban Ungarn zeigen. Aber die Stilmittel des Films sind definitiv zu verwerfen, und schon gar nicht 12 jährigen Kindern zuzumuten (und erst noch um 01:00 Uhr in der Nacht).»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Die Antwort kam von Herrn Heinz Schweizer, Redaktionsleiter Einkauf, Fiction, Factual und Einsatzprogramme in der Abteilung Programme bei Fernsehen SRF:

«Mit Schreiben vom 15. November 2019 haben Sie uns die Beanstandung von Herrn X aus Y zum Spielfilmdrama ‘Underdog’, Ausstrahlung vom Montag, 11.11.2019 um 01.00 Uhr auf SRF 1, zugestellt und uns für eine Reaktion eine Frist bis zum 6. Dezember 2019 eingeräumt. Gerne nehmen wir als verantwortliche Redaktion Einkauf Fiktion, Factual Entertainment und Einsatzprogramme termingerecht dazu Stellung.

Bei der Sendung vom 11. November 2019 handelte es sich um eine Zweitausstrahlung. Der Film war bereits am 13. Juli 2017 als Erstausstrahlung um 00.05 Uhr auf SRF 1 zu sehen gewesen. Der Beanstandende selber weist darauf hin, dass SRF diesen Film nach Mitternacht gezeigt hat. Es handelt sich um eine Uhrzeit, zu welcher sich Filme an ein mündiges, erwachsenes Publikum richten und SRF gemäss den Kinder- und Jugendmedienschutzrichtlinien [1] bei einer Freigabe unter 16 Jahren keine besonderen Massnahmen ergreifen muss.

Es handelt sich bei ‘Underdog’ um ein u.a. am Filmfestival von Cannes ausgezeichnetes Werk von künstlerischem Wert, das innenpolitische Vorgänge in Ungarn in verfremdeter, allegorischer Form darstellt. Darin richtet sich die Staatsgewalt gegen unliebsame, schwache Figuren der Gesellschaft, hier in Gestalt von Hunden und für das Publikum quasi personifiziert im Mischlingsrüden ‘Hagen’, den die kindliche Hauptfigur Lili vor der Zerstörung durch den Staat zu retten versucht.

Dazu der ‘Filmdienst’ der katholischen Filmkommission für Deutschland:

<(Kornél) Mundrúczos Dystopie jongliert mit Elementen des Melodrams und des Horrorfilms, setzt dabei allerdings weniger Wert auf psychologische Glaubwürdigkeit als auf den zornigen Effekt. Dass mit den Ausgegrenzten und an den Rand der Gesellschaft Gedrängten nicht unbedingt (nur) Hunde gemeint sind, sondern alle, die von der aktuellen Politik um ihre Würde gebracht werden – angefangen von Obdachlosen und Asylanten bis zu den in Ungarn nicht eben freundlich behandelten Sinti und Roma –, versteht sich von selbst.>

<Mundrúczo verzichtet weitgehend auf digitale Tricks, sondern ließ seine tierische Hauptfigur – gespielt von zwei verschiedenen Hunden – durch Tiertrainer ausrichten. Das verschafft dem Film eine durchaus sympathische Note von analoger Klassizität.>

Mit den Hunden wird dabei innerhalb der Filmhandlung unzimperlich umgesprungen, und dass diese Szenen ans Gemüt gehen, spricht für die inszenatorische Absicht und Kompetenz des ungarischen Regisseurs. Dabei setzt der Filmemacher die Gewalt nicht als Selbstzweck ein, sondern als wohldosiertes Instrument, und zwar in einer Weise, welche die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft in Deutschland zur FSK-Wertung ‘ab 12 Jahren’ bewegte, darüber hinaus versehen mit dem Zusatz ‘PG: mit Eltern ab 6 erlaubt’. (<Filme, die von der FSK ab 12 Jahren freigegeben wurden, können auch von Kindern ab 6 Jahren in Begleitung eines Elternteils (bzw. Personensorgeberechtigtem) im Kino besucht werden.>).[2] Die Redaktion trägt diese Einschätzung vollumfänglich mit.

Die Freigabebegründung der FSK in ihrer Gänze:

<Drama über die Freundschaft zwischen einem 13-jährigen Mädchen und ihrem Hund, der von ihrem Vater ausgesetzt wird. Nach brutaler Gefangenschaft startet der Hund mit Artgenossen einen Rachefeldzug - und nur die Liebe des Mädchens kann dem Einhalt gebieten. Einfühlsam beleuchtet der Film die menschliche wie die tierische Perspektive und bietet jungen Zuschauern in dem Mädchen eine positive und starke Identifikationsfigur. Einige Szenen von Tierquälereien und von der Rache der Hunde können Kinder unter 12 Jahren überfordern, doch bereits 12-Jährige sind in der Lage, diese nie selbstzweckhaft inszenierten Passagen im Kontext zu verstehen, zumal immer wieder ruhige Szenen für emotionale Entlastung sorgen. Die Betonung der innigen Freundschaft zwischen Mädchen und Hund und das deutliche Plädoyer für einen respektvollen Umgang mit Tieren geben emotionalen Halt, sodass Kinder ab 12 Jahren den Film ohne Überforderung verarbeiten können. FSK ab 12 freigegeben.>

SRF hat den Film in der Medienarbeit mit einer Altersempfehlung ab 12 publiziert, da der Film auch in Schweizer Kinos für Zuschauerinnen und Zuschauer dieser Alterskategorie freigegeben war. Der Film ‘Underdog’ war im Anschluss an die neuerliche TV-Ausstrahlung am 11. November 2019 während sieben Tagen auf www.srf.ch/play zeitlich uneingeschränkt, wie üblich bei Produktionen dieser Altersfreigabe, online abrufbar.

Die Redaktion Einkauf Fiktion, Factual und Einsatzprogramme ist verantwortlich für eine grosse Zahl von Sendeplätzen auf SRF 1 und SRF zwei, verteilt über den ganzen Tag. Als öffentlich finanzierter Sen­der ist es unser Anliegen und unsere Aufgabe, ein sehr breites Angebot an Filmen und Serien für ein ebenso breit interessiertes Publikum einzukaufen und zu programmieren. Etwa auf dem Sende­platz von ‘Delikatessen’ am Donnerstag um Mitternacht werden seit über 20 Jahren anspruchsvolle Produktionen aus dem internationalen Filmschaffen gezeigt, das von einem Arthouse-affinen Publi­kum beachtet und geschätzt wird. ‘Underdog’, obwohl gemäss FSK-Einschätzung explizit sogar für den Hauptabend geeignet, haben wir bei der Erstausstrahlung im Juli 2017 auf diesem späten Sendeplatz gezeigt. Die Wiederholung am 11.11.2019 lief ebenfalls weit nach Mitternacht.

Als Programmverantwortliche sind wir uns bewusst, dass Festivalpreise und Kritikerlob nicht die einzig relevanten Kriterien sind, die einen Einkauf für SRF rechtfertigen. Dass dargestellte Tierquä­lerei – ob real (dokumentarisch) oder inszeniert (fiktional) – immer auf einen Teil unseres Publikums irritierend wirkt, ist für uns nachvollziehbar. Dieses Wissen soll aber nicht dazu führen, dass wir aus Prinzip auf ‘schwierige’ Inhalte verzichten. Ausgewählte engagierte und mit einem hohen Anspruch inszenierte Filme sollen zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Darin sehen wir auch unseren programmlichen Auftrag.

Mit Blick auf die Sorgfaltspflicht und die einzuhaltenden Jugendschutzbestimmungen sind die Vertreterinnen und Vertreter der Redaktion Einkauf Fiktion, Factual und Einsatzprogramme der Auffassung, beim Film ‘Underdog’ umsichtig entschieden und gehandelt zu haben. Nach einer internen Diskussion kurz nach dem Eintreffen der Beanstandung hat die Redaktion trotzdem bei der online verfügbaren Version auf Play SRF einen zusätzlichen Hinweis ergänzt, um eine Verwechslung mit einem harmlosen Kinderfilm zu vermeiden.

Ergänzung auf Play SRF ab 15.11.2019, 12.00 Uhr:

Die Redaktion hat bei der Diskussion um die Altersfreigabe, mit der linearen TV-Ausstrahlung nach Mitternacht sowie dem erläuternden Hinweis auf Play SRF die redaktionelle und publizistische Verantwortung wahrgenommen. Gestützt auf unsere Argumente möchten wir Sie bitten, die Beanstandung abzuweisen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Films. Ich bin kein Filmtheoretiker und kein professioneller Filmkritiker. Ich kann den Film nur so aufnehmen wie das Durchschnittspublikum auch. Es ist ein Film, der anrührt, Emotionen weckt, Zorn auslöst. Man empört sich über die Tierquälerei und freut sich geradezu, dass sich die Hunde für die erlittene Unbill rächen. Und es tröstet, dass nur die Liebe zum Tier den Frieden wiederherstellt, nicht die Ballerei der Polizei. Ob das Publikum von sich aus die Parallele zu den Zuständen im heutigen Ungarn herstellt oder nur, wenn man es ihm vorsagt, kann ich nicht entscheiden; ich bezweifle eher, dass es allein darauf kommt. Jedenfalls zeigt der Film, dass sich Hunde jene Menschen, die gut zu ihnen waren, und jene, die sie gequält haben, genau merken können. Ein Spielfilm ist ein Kunstwerk; für ihn gilt die Kunstfreiheit. Es ist deshalb nicht meine Aufgabe, am Film herum zu kritteln. Ich kann den Film mögen oder nicht mögen. Mich hat er beeindruckt, auch wenn manche Szenen beklemmend, ja verstörend waren.

Es ist hingegen meine Aufgabe zu prüfen, ob Fernsehen SRF mit der Ausstrahlung des Films «Underdog» gegen Regeln verstoßen hat. In Frage steht vor allem der Jugendschutz. Artikel 5 des Radio- und Fernsehgesetzes lautet:

«Programmveranstalter haben durch die Wahl der Sendezeit oder sonstige Massnahmen dafür zu sorgen, dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, welche ihre körperliche, geistig-seelische, sittliche oder soziale Entwicklung gefährden.»[1]

Daraus leiten sich die Kinder- und Jugendschutz-Medienrichtlinien ab. Ich stelle fest, dass Fernsehen SRF sie in Bezug auf den Zeitpunkt der Ausstrahlung und in Bezug auf den gezeigten Inhalt voll eingehalten hat. Die Redaktion hat nichts falsch gemacht, und indem sie nachträglich in der Mediathek noch eine Warnung hinzugefügt hat, hat sie zusätzliche Vorsicht walten lassen. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen, auch wenn ich Ihre Irritation verstehe. Falsch wäre, wenn man die Empörung über gewalttätige Menschen auf eine bestimmte Nationalität, in diesem Fall auf Ungarn, bezieht. Gleichartige Schweinereien gibt es auch in der Schweiz, in Deutschland, in Frankreich, in Österreich oder wo auch immer.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

[1] https://www.srf.ch/hilfe/rechtliches/kinder-und-jugend-medienschutzrichtlinien

[2] https://www.spio-fsk.de/?seitid=2737&tid=469&Vers=1&FGID=1849

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