SRF «DOK»-Sendung «Der Klimawandel. Die Fakten» beanstandet II

6199
Mit Ihrer E-Mail vom 15. November 2019 beanstandeten sie die DOK-Sendung (Fernsehen SRF) vom 14. November 2019 zum Thema «Der Klimawandel. Die Fakten». Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Fakten, so absolut und unbescheiden. Reisserischer Stuss wars für mich, ein Bürger der sich breit informieren will und keiner ‘Sekte’ nachrennen mag. 3 Beispiele: 1. Meeresspiegel steigt, Hunderttausende betroffen. Aja, nur, sind doch zighundert Millionen die auf Meereshöhe leben. Wasser steigt doch gleichmässig. Warum sollen dann immer nur die gleichen wenigen betroffen sein?? Wenn gewisse Inseln absaufen, wird zwar vage die Erdplattenverschiebung erwähnt, aber sogar das kurzerhand auch dem Klimawandel zugeschrieben. Und der ist sowieso vom Menschen verursacht Punkt. Jeder der auch nur daran zweifelt, wird harsch als Klimaleugner (wie Holocaust-??) diffamiert. 2. schmelzendes Eis. Warum heisst Grönland Grönland?? Na also. Weil die alten Vikinger alle SUV‘s fuhren? usw. 3. Gelobt wird Forscher, der 1988 als erster vor Klimaerwärmung warnte. Dass die Klimaintelligenz aber 1974/75 unisono vor einer neuen Eiszeit mit noch viel dramatischeren Folgen (Abermillionen würden verhungern etc) warnte, wird heute stets verschwiegen. Sektenhaft für mich. SRF Klima Hysterie nervt. Erinnern Sie sich, wie wir in den letzten Jahren jeden Sommer mit ach so hohen Ozonwerten zugemüllt wurden? Sommer 2019 nix mehr. Ozonproblem gelöst? Kaum. Aber jetzt wird halt pausenlos ne neue Sau durchs Dorf gejagt und die heisst CO2. Warum ist es dem Staatssender SRF unmöglich etwas differenzierter und objektiver zu berichten? Vielen Dank für Ihre Bemühungen in welcher Form auch immer.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die DOK äußerte sich Frau Nathalie Rufer, Executive Producer DOK und Reportage:

«Gerne nehmen wir Stellung zur Beanstandung von Herrn X zur DOK-Sendung ‘Der Klimawandel – die Fakten’ vom 14.11.2019.

Herr X moniert, der Film sei ‘reisserischer Stuss’ und verbreite die Meinung einer ‘Sekte’. Als Beispiele dafür nennt er unter anderem den im Film erwähnten Anstieg des Meeresspiegels und das schmelzende Grönland-Eis. Ausserdem stört er sich daran, dass nicht erwähnt wurde, wie Forscher schon früher auf Bedrohungen aufmerksam gemacht haben, die sich dann als haltlos erwiesen hätten (bevorstehende Eiszeiten, Ozonproblematik). Insgesamt fühlt sich der Beanstander durch den Film nicht ausgewogen informiert.

Beim Film ‘Der Klimawandel – die Fakten’ handelt es sich um eine Produktion der BBC aus der Reihe des preisgekrönten Natur- und Tierforschers Sir David Attenborough, die neben SRF bereits von verschiedenen anderen Sendern ausgestrahlt wurde (z.B. ZDF, ORF). Thematisiert werden weltweite Folgen des Klimawandels, z.B. dass sich der Meeresspiegel erhöht und die Eisdecke in Grönland abnimmt. Gezeigt werden aber auch verheerende Waldbrände oder heftige Unwetter. Als Experten kommen renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern zu Wort.

Den Vorwurf des Beanstanders, der Film informiere nicht ausgewogen, weisen wir zurück.

Aus unserer Sicht erfüllt der Film das Gebot der Sachgerechtigkeit: Er zieht die verfügbaren Fakten in Betracht und zeigt, was <nach bestem Wissen und Gewissen für wahr gehalten wird>. Dass der Klimawandel ein ernstzunehmendes Problem darstellt, ist weltweit anerkannt und kann nicht als ‘Sektenmeinung’ bezeichnet werden. Der Einwand von Herrn X, schon früher hätten Wissenschaftler sich bezüglich Prognosen geirrt, ist nicht stichhaltig. Die Logik – weil man vor 50 Jahren falsche Schlüsse gezogen habe, sei das heutzutage ebenfalls der Fall – greift zu kurz.

Wie bei solchen Dokumentationen üblich wurde eine Auswahl getroffen: Jeden einzelnen Aspekt einer Thematik abzubilden ist unmöglich. Es ist journalistische Pflicht, eine sinn- und verantwortungsvolle Gewichtung vorzunehmen. Es liegt in der Programmautonomie von SRF zu entscheiden, wann, wie und mit welchen Protagonisten ein Thema behandelt wird.

Wir bitten Sie deshalb, die Beanstandung abzuweisen. Vielen Dank.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich mache zuerst einige grundsätzliche Bemerkungen und gehe danach auf Ihre spezifische Kritik an:

  1. Dass Fernsehen SRF im Jahr des Klimastreiks einen DOK-Film zum Klimawandel ausstrahlt, erklärt sich von selbst: Das Thema ist relevant und aktuell. Die Wahl erfolgte nicht willkürlich. Auch wenn die Programmautonomie den Redaktionen viel Freiheit lässt, hat SRF mit diesem Thema nicht danebengegriffen: Das Publikumsinteresse war da.
  2. Die im Film dargelegten Fakten wird wohl niemand bestreiten: Die Erde erwärmt sich, das Eis in der Antarktis schmilzt, der Meeresspiegel steigt, die Niederschläge nehmen zu, die Waldbrände werden zahlreicher und heftiger, Tierarten sind bedroht. Der Titel der DOK war darum nicht falsch gewählt: Es werden Fakten aufgezeigt.
  3. Projektionen und Prognosen können immer eine gewisse Ungenauigkeit aufweisen. Aber man verfügt heute über viel mehr Messungen und Zahlen als noch vor 30 Jahren. Der Klimawandel lässt sich daher exakter dokumentieren.
  4. Im Film wird klar gesagt: «Nicht alle Wetter-Ereignisse sind auf den Klimawandel zurückzuführen». Und es steht auch fest, dass nicht alles, was sich verändert, durch die Menschen verursacht ist. Klar ist aber, dass die Beschleunigung des Klimawandels mit der Treibhausgas-Emission und mit der Rodung der Regenwälder zu tun hat.
  5. Die seriösen Wissenschaftler kommen deshalb alle zum gleichen Schluss: Es muss gehandelt werden, und zwar rasch. Im Film kommen denn auch zahlreiche renommierte Forscher und Experten zu Wort, so Richard Black, Direktor der Energy and Climate Intelligence Unit in London[1], Mike Berners Lee, Professor am Environment Center der Lancaster University[2], Matthew Hansen, Professor für Geographie an der Unversity of Maryland[3], Richard Lazarus, Rechtsprofessor an der Harvard University[4], Timothy Lenton, Professor für Geographie und Direktor des Global Systems Institute an der University of Exeter[5], Michael E. Mann, Professor für Atmospheric Science, Direktor des Earth Systems Science Center an der Pennsylvania State Universtiy[6], Mark Maslin, Professor für Geographie am University College London[7], Catherine Mitchell, Professorin für Energiepolitik an der Unversity of Exeter[8], Sunita Narain, Generaldirektorin des Centre for Science and Environment in New Delhi[9], Naomi Oreskes, Professorin für Wissenschaftsgeschichte an der Harvard University[10], Andrew Shepherd, Professor an der School of Earth and Environment der University of Leeds[11], Peter Stott, Professor für Engeneering, Mathematics and Physical Sciences an der University of Exeter[12], sowie Katey Walter Anthony, assoziierte Professorin am Water and Environmental Research Center der University of Alaska Fairbanks[13].
  6. Im Film wird übrigens auch dargelegt, dass es die Gegenposition gibt, dass die Kritiker vorschlagen, sich an den Klimawandel anzupassen, und dass sowohl in der Industrie wie auch in der Politik manche den Klimawandel leugnen. Damit hat SRF der Forderung «audiatur et altera pars» Genüge getan. Das Bundesgericht verlangt nicht, dass in umstrittenen Fragen die jeweils konträren Positionen gleichgewichtig zum Zuge kommen. Es verlangt nur, dass die andere Position erwähnt wird.
  7. Medien haben zudem auch eine seismographische Funktion. Es obliegt ihnen, die Bevölkerung über drohende Entwicklungen zu informieren. SRF erfüllt daher eine wichtige Medienfunktion, wenn es die Bevölkerung darüber aufklärt, was in Bezug auf das Klima auf die Menschheit, die Tierwelt und die Pflanzenwelt zukommt.
  8. Und Medien haben schliesslich auch eine pädagogische Funktion. Deshalb war es wichtig, dass im Film aufgezeigt wurde, was die einzelnen Menschen tun können, um den Klimawandel zu entschleunigen. SRF hat mit Hilfe der BBC so klar die Betroffenheit von uns allen aufgezeigt.

Und nun komme ich zu den Punkten, die Sie zusätzlich aufgeworfen haben. Sie bezeichnen den Film als «reisserischen Stuss», und Sie erklären, dass Sie «keiner Sekte nachrennen» möchten. Ich glaube nicht, dass Sie damit Recht haben: Die im Film vertretene Sicht ist nicht sektiererisch, sondern basiert auf der breiten wissenschaftlichen Erkenntnis, die auch Eingang in die Studien des Weltklimarates gefunden hat. Recht haben Sie hingegen, dass es neben dem Klimawandel weitere Themen gäbe, die in Radio- und Fernsehsendungen weiter vertieft werden sollten: Beispielsweise, warum sich Erdplatten verschieben und warum in Graubünden Dörfer (wie Brinzauls oder Peiden) nach und nach abrutschen. Oder: Warum das Ozonloch lange ein dominierendes Thema war und warum man seit 2016 feststellt, dass sich die Ozonschicht wieder erholt. Das sind aber Themen, die neben dem Mega-Thema Klimawandel interessant sind.

Alles in allem kann Ihre Beanstandung nicht unterstützen. Und ich möchte Sie noch darauf hinweisen, dass Radio und Fernsehen SRF kein «Staatssender» sind, wie Sie glauben: Radio und Fernsehen sind laut Bundesverfassung und laut Radio- und Fernsehgesetz vom Staat unabhängig, auch die SRG. Die Redaktionen entscheiden autonom über ihre Inhalte; der Bundesrat, das Parlament und die Bundesverwaltung können ihnen nicht dreinreden.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://eciu.net/about/the-team

[2] https://www.lancaster.ac.uk/lec/about-us/people/mike-berners-lee

[3] https://geog.umd.edu/facultyprofile/hansen/matthew-c.

[4] https://hls.harvard.edu/faculty/directory/10509/Lazarus

[5] http://geography.exeter.ac.uk/staff/?web_id=Timothy_Lenton

[6] http://www.met.psu.edu/people/mem45

[7] https://www.geog.ucl.ac.uk/people/academic-staff/mark-maslin

[8] https://geography.exeter.ac.uk/staff/index.php?web_id=Catherine_Mitchell

[9] https://www.cseindia.org/page/sunita-narain

[10] https://histsci.fas.harvard.edu/people/naomi-oreskes

[11] https://environment.leeds.ac.uk/see/staff/1536/professor-andrew-shepherd

[12] https://emps.exeter.ac.uk/mathematics/staff/pas217

[13] http://ine.uaf.edu/werc/people/faculty/katey-walter-anthony/

Tags

Alle Schlussberichte der Ombudsstelle jetzt ansehen

Kommentar

Bitte beachten Sie, dass Ihr Kommentar inkl. Name in unserem LINK-Magazin veröffentlicht werden kann

Leider konnte dein Kommentar nicht verarbeitet werden. Bitte versuche es später nochmals.

Ihr Kommentar wurde erfolgreich gespeichert und wird nach der Freigabe durch SRG Deutschschweiz hier veröffentlicht

Weitere Neuigkeiten