«Tagesschau»-Beitrag «USA töten iranischen General Ghassem Soleimani» beanstandet I

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Mit Ihrer E-Mail vom 3. Januar 2020 beanstandeten Sie die «Tagesschau» (Fernsehen SRF) vom gleichen Tag und dort den Beitrag «USA töten iranischen General Ghassem Soleimani».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Die Tagesschausprecherin bezeichnet Ghassem Soleimani als ‘gefährlicher als Bin Laden’. Ich finde diese Bezeichnung reisserisch und unsachlich und sie erweckt den Eindruck von Parteilichkeit. Mit diesem Vergleich wird Soleimani auf die gleiche Stufe wie ein Terrorist gestellt - oder sogar darüber. Zudem trennen den Iraner von Bin Laden ideologisch Welten. Natürlich haben Ghassem Soleimani und die ihm unterstellten Verbände rücksichtslos die Interessen Irans vertreten und sind wohl verantwortlich für Anschläge mit zahlreichen Todesopfern. Eine solche Aussage suggeriert aber dem Publikum, dass hier ein gefährlicher Terrorist ausgeschaltet wurde und nicht ein iranischer General. Weiter frage ich mich, wer denn die Gefährlichkeit beurteilen soll? Aus Sicht der Iraner ist Donald Trump möglicherweise gefährlicher als Ghassem Soleimani.

Aus meiner Sicht wird durch eine solche Einschätzung das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt, falls sie nicht als Zitat eines Befragten gekennzeichnet ist. Einen solchen Vergleich erwarte ich von Donald Trump oder einer Boulevardzeitung, aber nicht von der Tagesschau.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für die «Tagesschau» antwortete Herr Franz Lustenberger, ehemaliger stellvertretender Redaktionsleiter:

«Mit Mail vom 3. Januar 2020 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Tagesschau-Hauptausgabe vom gleichen Tag eingereicht. Es geht um die Berichterstattung zur Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch einen gezielten Raketenangriff der US-amerikanischen Streitkräfte in der Nähe des Flughafens von Bagdad.

Die Beanstandung richtet sich konkret gegen eine Formulierung in der Anmoderation – ‘gefährlicher als Osama bin Laden’ - zum ersten Beitrag der ganzen Berichterstattung. Die Tagesschau nimmt dazu wie folgt Stellung.

Begriff des Terrors

Mit dem Hinweis auf Osama bin Laden stellt sich unweigerlich zuerst die Frage nach der Begrifflichkeit des Wortes Terrors im Generellen sowie im Umfeld des geografischen und politischen Mittleren Ostens. Wie es die unterschiedlichsten Ausprägungen von Terrorismus im Laufe der Geschichte gegeben hat, so gibt es die unterschiedlichsten Definitionen von Terrorismus. Von Interesse ist ein Überblick über den ‘Terrorismus in neuen Dimensionen’, verfasst von Dr. Kai Hirschmann, Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. In seinem Artikel zeigt er Entwicklungen im internationalen Terrorismus auf. Auch wenn der Text unmittelbar nach den Anschlägen von New York im Herbst 2001 in der Zeitschrift Politik und Zeitgeschichte erschienen ist, hat er in Bezug auf die Grundüberlegungen nicht an Bedeutung eingebüsst. <Terrorismus ist eine besondere Form der Gewalt mit im weitesten Sinne politischer Zielsetzung. Er beabsichtigt u.a. emotionale Reaktionen hervorzurufen – zumeist extreme Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung, verbunden mit Sympathie bei den eigenen Anhängern.>[2]

Kai Hirschmann stellt den Terrorismus auch in den Zusammenhang mit der Globalisierung, die nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 und im 21. Jahrhundert die Welt verändert hat wie kaum eine andere Entwicklung in der heutigen Zeit: <Mit der Globalisierung verbunden ist die noch intensivere Ausbreitung westlicher Wertvorstellungen, Leitbilder, Lebens- und Konsumstile.... Einer solchen Homogenisierungstendenz steht das in allen Weltreligionen beobachtbare Bestreben entgegen, kulturelle Identitäten zu bewahren.... Viele Muslime interpretieren die jüngere Geschichte als fortgesetzte Erniedrigung ihrer Kultur durch den Westen.> Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die arabischen und persischen Hochkulturen der Vergangenheit.

Terror und seine Ausprägungen sind weit vielschichtiger als die Reduktion auf Al-Kaida und Osama Bin Laden. Kai Hirschmann schreibt in diesem Zusammenhang von ‘Multiple-Issue-Terrorism’. Unter dem Begriff ‘Politischer Terrorismus’ subsumiert Kai Hirschmann unter anderen Formen einen “Ethno-politischen Terrorismus” (das Bedürfnis ethnischer oder politischer Gruppen nach Unabhängigkeit bzw. einer gewissen politischen und kulturellen Mitbestimmung), und einen “Terrorismus mit staatlicher Beteiligung” (Staatsterrorismus, staatlich geförderter Terrorismus, staatlich geduldeter Terrorismus). Von Bedeutung im Zusammenhang mit der Beanstandung sind auch der ‘religiös motivierte Terrorismus’ und der ‘Weltanschauungsterrorismus’.

Aktivitäten von General Soleimani

Nach diesen grundsätzlichen Überlegungen stellt sich die Frage, in wieweit die politischen und militärischen Aktivitäten von General Qasem Soleimani als terroristisch bezeichnet werden können. Die Antwort – und da ist dem Beanstander zuzustimmen - kann je nach Standpunkt und je nach Blick auf das aktuelle Zeitgeschehen unterschiedlich ausfallen.

General Qasem Soleimani baute im Auftrag der iranischen Führung die Al-Kuds-Einheiten (Auslandseinheit der Revolutionswächter) auf und befehligte diese seit rund 20 Jahren. Diese Einheiten sind die Parallel-Armee zu den offiziellen Streitkräften des Irans. Zu dieser ‘Achse des schiitischen Widerstandes’ (NZZ am Sonntag, 16. Juni 2019) gehören die libanesische Hisbollah sowie pro-iranische Milizen in Syrien, im Irak und im Jemen. Das Eingreifen der schiitischen Milizen im syrischen Bürgerkrieg sichert zusammen mit der Unterstützung durch Russland dem syrischen Präsidenten Baschar-al-Assad das politische und militärische Überleben. Das Vorgehen der von General Soleimani kommandierten Milizen und der syrischen Armee gegen die protestierende Bevölkerung in Aleppo, Homs und anderen Städten kann in den Begriffen von Kai Hirschmann durchaus als ‘Terrorismus mit staatlicher Beteiligung’ gesehen werden. Als Förderung des Terrors können auch die jahrzehntelange Ausbildung und Unterstützung der Hisbollah-Milizen im Libanon gesehen werden. Die Kriegführung der Al-Kuds-Einheiten und der mit ihnen verbündeten Milizen hinterlässt bei den meist zivilen Opfern Angst und Schrecken. Neben den Aktivitäten im Irak und in Syrien sei auch an Raketenbeschüsse im Norden Israels durch die Hisbollah-Milizen erinnert.

General Soleimani und seine Al-Kuds stehen für die Ausweitung des iranischen Einflusses in der unmittelbaren Nachbarschaft mit militärischen Mitteln ausserhalb eines konventionellen Krieges, respektive einer offiziellen Kriegserklärung.

Der Beanstander schreibt selber: <Natürlich haben Quasem Soleimani und die ihm unterstellten Verbände rücksichtslos die Interessen Irans vertreten und sind wohl verantwortlich für Anschläge mit zahlreichen Todesopfern.> Und das über Jahre. Opfer von Anschlägen oder eines brutalen asymetrischen Krieges fühlen sich nicht nur terrorisiert; sie sind wirklich Opfer von Terror im Sinne der weiten Begrifflichkeit von Dr. Kai Hirschmann.

Berichterstattung als Gesamtheit und Fazit

Die Tagesschau hat sehr ausführlich über die ‘gezielte Tötung’ von General Soleimani durch die USA berichtet. Im ersten Bericht, der die wesentlichen Fakten zusammenfasst, kommen beide Seiten (US-Aussenminister Mike Pompeo, Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei) zu Wort, respektive werden zitiert. Dazu kommen schiitische Stimmen aus dem Irak. Im zweiten Teil ordnet der Politikwissenschafter Adnan Tabatabai die Rolle des getöteten Generals Soleimani im militärischen und politischen Umfeld des Irans und der umliegenden Staaten ein. Im Gespräch mit SRF-Korrepsondent Pascal Weber werden die Auswirkungen und die möglichen Reaktionen des Irans vertieft.

Zusammenfassend – die Berichterstattung ist ausgewogen, die möglichen Auswirkungen der Tötung werden eingehend erörtert und begründet. Das Publikum kann sich unvoreingenommen eine eigene Meinung zum Geschehen machen. Der Vergleich mit der Gefährlichkeit von Osama Bin Laden als Kopf des Terrors von 9/11 kann angesichts der Vielschichtigkeit terroristischer Aktivitäten und der Rolle von General Soleimani in den Kriegen und Bürgerkriegen des Nahen und Mittleren Ostens durchaus gezogen werden. Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Interessant ist, dass die Berichterstattung von SRF über die Tötung des iranischen Generals Soleimani im Publikum sehr unterschiedlich wahrgenommen wurde. Während Sie sich daran stießen, dass der General in der Anmoderation als «gefährlicher als Osama-bin-Laden» bezeichnet wurde, störte einen anderen Beanstander, dass im Radio der General, der ja ein Terrorist sei, als «eher mässigende Person» taxiert wurde. Ich habe den Eindruck, dass die Berichterstattung unterschiedlich beurteilt wird, je nachdem, wo man selber politisch steht. Es war vielleicht nicht so geschickt, Soleimani mit Osama bi-Laden zu vergleichen, da sie ganz unterschiedliche Rollen hatten und ganz verschiedene Methoden anwandten: Der eine war quasi offiziell unterwegs, als Kommandant der iranischen al-Kuds-Brigaden, die ein Teil der Revolutionswächter sind. Der andere war ein Abtrünniger, ein Rebell im Untergrund, der teils von Pakistan, teils von Afghanistan aus agierte und sich quer zu seiner saudischen Heimat stellte. Doch gibt es dennoch gewisse Gemeinsamkeiten, wie Sie auch Herr Lustenberger anführt: Beide wandten sich aus orientalisch-islamischer Perspektive gegen die westlich-christliche Unterdrückung; beide wandten Methoden an, die kriegerisch waren, ohne dass ein Krieg erklärt worden war. Terror bedeutet die Anwendung von Gewalt, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Es gibt den «Terror von oben», den Staatsterror, und den «Terror von unten», den anarchischen Terror. Was Stalin mit den Säuberungen und mit dem Gulag betrieb, das war Staatsterror. Was Hitler mit den Aktivitäten der Waffen-SS oder mit der «Endlösung der Judenfrage» betrieb, das war Staatsterror. Wenn Staaten heute ihren Armeen, Schattenarmeen und Geheimdiensten Aktivitäten erlauben, die weder vom Völkerrecht noch von der eigenen Rechtsordnung gedeckt sind, dann darf man ruhig von Terror reden. Iran geht in diese Richtung. Darum war der Vergleich mit Osama bin-Laden zwar nicht so geschickt, aber ein Fehler in einem Nebenpunkt, der nicht geeignet war, die freie Meinungsbildung des Publikums zu beeinträchtigen. Ich kann deshalb Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/usa-toeten-iranischen-general-ghassem-soleimani?id=f684b1f7-c0ae-4fe6-a9a7-22cc28f65a90

[2] https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&sxsrf=ACYBGNQF_PuLL3tVdK7oSCgbuN0zgkr-rA%3A1579613924973&ei=5P4mXqqRO4OXkwXZqLCIDA&q=terrorismus+in+neuen+dimensionen&oq=Terroismus+in+neuen&gs_l=psy-ab.1.0.0i22i30.2430.6295..8678...2.0..0.111.1810.16j4......0....1..gws-wiz.....10..35i39j35i362i39j0i67j0i131j0j0i20i263j35i305i39j0i10j35i304i39j0i13.LNkiujSISE8

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