Die Ombudsstelle als «Mädchen für alles»

Wer ein Problem mit SRF hat, gelangt entweder an den Kundendienst oder an die Ombudsstelle. Die Ombudsstelle wird so zum «Mädchen für alles». Aber sie geht nicht auf alles ein, sondern leitet vieles an die geeignete Stelle weiter.

«Ich bin jetzt 55 Jahre alt und das Schweizer Fernsehen verweigert mir das Finale der Champions League. Ist das der Dank für meine Treue und mein Nein bei der Billag-Initiative? Ich verlange meine 365 Franken zurück, so eine Sauerei, man hat uns über den Tisch gezogen», schrieb ein Zuschauer, der beim Fussball nicht auf seine Rechnung kam. «Ich habe meine ehemaligen Billag-Gebühren auch bezahlen müssen und habe ein Recht auf ungetrübten Fernsehkonsum, ohne Lauftext-Terror die ganze Zeit und über Monate hinweg», begehrte einer auf, der in einem Ferienhaus Fernsehen mit einer Zimmerantenne sieht. «Wir werden vom Leutschenbach täglich einer Hirnwäsche unterzogen», klagte einer, der sich über die Serie zur Biodiversität aufregte.

Nicht alle Beanstandungen sind ein Fall für den Ombudsmann

Die Ombudsstelle ist dazu da, auf Beanstandung hin publizistische Inhalte zu überprüfen: Hat die Redaktion sachgerecht berichtet? Hat der Beitrag jemanden diskriminiert? Hat der Film Gewalt verherrlicht? Wurden religiöse Gefühle verletzt? Doch an die Adresse der Ombudsstelle gelangen auch Beanstanderinnen und Beanstander, die unzulässige Werbung feststellen, technische Probleme monieren, falsche Serafe-Rechnungen beklagen, das Outfit, die Sprechweise oder den Fragestil von Moderatorinnen und Moderatoren kritisieren oder die mangelnde Pünktlichkeit im Programm tadeln. «Die Sendung hat wieder zu spät begonnen.» «Der Abspann fiel aus.» «Die Untertitelung hat gefehlt.» «Die Sitzweise beim Interview war unpassend.» «Die Namen werden falsch betont.» «Die Radioleute sprechen viel zu schnell.» «Die Grammatik stimmt nicht.» «Der Moderator ist anmassend, übergriffig und unfähig.» «Die Sendung sollte abgesetzt werden.» «Die Moderatorin braucht eine Mode-Stil-Beratung.» «Die Wettervorhersagen sind tendenziös.» «‹Schauer› ist nicht Mundart.» «Das war verbotene Alkoholwerbung.» «Das Antennenproblem ist ungelöst.» «Die App ist nicht mehr benutzbar.»

Für die Ombudsstelle gibt es drei Gründe, eine Eingabe nicht selber zu behandeln: Erstens tritt sie auf Fälle, die die formalen Anforderungen nicht erfüllen, nicht ein (wenn sie beispielsweise Sendungen betreffen, die mehr als 20 Tage zurückliegen; wenn sie sich auf Publikums-Online-Kommentare beziehen und nicht auf redaktionelle Beiträge; wenn sie nur Beschimpfungen enthalten und keine konkrete Kritik). Zweitens leitet sie Fälle, die eindeutig nicht publizistische Inhalte betreffen, an die zuständige Stelle weiter (beispielsweise an das Bundesamt für Kommunikation Bakom, an die Gebühreneinzugsfirma Serafe, an die Werbefirma Admeira, an die Lauterkeitskommission, an die Direktion von SRF usw.). Drittens weist sie «leichte Fälle» an die zuständigen Radio-, Fernseh- oder Onlineredaktionen zur direkten Beantwortung.

Weitergeleitete Beanstandungen

Jahr Fälle total Weitergeleitet In Prozent
2016 334 32 9,5
2017 827 64 7,7
2018 419 72 17,2
2019 568 71 12,5

Was sind «leichte Fälle»? Es sind Fälle, bei denen es im weitesten Sinne durchaus um Publizistik geht, in denen aber eher Geschmacksfragen als Rechtsfragen zu beantworten sind. Natürlich kann das Arrangement eines Interviews, wenn beispielsweise der fragende Journalist und der befragte Gesprächspartner beide auf hohen Stühlen sitzen und die Beine baumeln lassen, einen gewissen Einfluss auf die Gesprächsatmosphäre und auf den Gesprächsverlauf haben. Der frühere «heisse Stuhl» der «Rundschau», auf dem der Gast sass und um den Hannes Britschgi forsch fragend herumschlich, hat manchem Gast Angst und Schrecken eingejagt. Dennoch sind Beanstandungen, die nur das Arrangement und nicht das Gespräch kritisieren, «leichte Fälle» und besser durch die Redaktion direkt zu beantworten. Damit aber niemand der Willkür der Ombudsstelle ausgeliefert ist, die vielleicht nicht immer gleichwertige Fälle als «leichte Fälle» taxiert, erhält die beanstandende Person neuerdings auf jeden Fall einen Schlussbericht der Ombudsstelle, der ihr den Rechtsweg zur Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) öffnet.

Von schnellen Entscheidungen und längeren Wartezeiten

Die Frage, ob eine Beanstandung durch die Ombudsstelle weiterbehandelt, abgewiesen oder weitergeleitet wird (weil die Ombudsstelle nicht zuständig ist oder weil es sich um einen «leichten Fall» handelt), entscheidet sich in der Regel ganz schnell. Kaum habe ich als Ombudsmann oder hat in meiner Abwesenheit mein Stellvertreter eine neue Beanstandung erhalten, fällt innert weniger Minuten die Entscheidung, wie zu verfahren ist. Beanstanderinnen und Beanstander, auf deren Eingaben wir nicht eintreten oder deren Kritik wir als «leichte Fälle» taxieren, erhalten ihren Schlussbericht am raschesten. Jene hingegen, deren Beanstandungen im normalen Ombudsverfahren behandelt werden, müssen sich gedulden. Sie erhalten den Schlussbericht allenfalls erst nach 40 Tagen (und im Sommer, über Weihnachten oder über Ostern, wenn die Fristen stillstehen, noch später). Dafür können sie aber darauf zählen, dass ihrer Kritik gründlich nachgegangen wird und dass sie am Schluss sowohl von der Redaktion als auch vom Ombudsmann eine substanzielle Stellungnahme bekommen.

Die Ombudsstelle kann nicht «Mädchen für alles» spielen, weil sie sich zu technischen, werblichen, finanziellen oder organisatorischen Fragen nicht fundiert äussern könnte. Ihr Feld ist der Journalismus, sind die publizistischen Spielräume und Grenzen. Da sie sich von fachfremden Fällen und von «leichten Fällen» entlastet, kann sie sich den anderen Fällen mit mehr Tiefgang widmen.

Text: Roger Blum, Ombudsmann

Bild: Stephan Lütolf (Illustration)

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