SRF-Sendung «SRF bi de Lüt – Familiensache 1/5» beanstandet I

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Mit Ihrer E-Mail vom 5. Januar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «SRF bi de Lüt – Familiensache 1/5» (Fernsehen SRF) vom 3. Januar 2020.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Ich empfinde es als sehr schlimm, wenn diese beiden ‘egoistischen Selbstdarsteller’ eine Plattform im SRF bekommen. Da in der Schweiz eine Leihmutterschaft verboten ist, ist es eine Frechheit vom Schweizer Fernsehen, diese Situation zu verherrlichen. Diese beiden Männer nehmen einem Kind ganz bewusst die Mutter weg. In meinen Augen ist das moderner Menschenhandel und ein Hohn gegenüber den anderen Familien.»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «SRF bi de Lüt» antwortete Herr Hansjörg Niklaus, Senior Producer, Bereich Factual Entertainment:

„Frau X beanstandet, dass das Schweizer Fernsehen die Leihmutterschaft ‚verherrlicht‘, dem portraitierten Paar eine Plattform biete und dass das Paar ‚modernen Menschenhandel‘ betreibe. Gerne nehmen wir dazu Stellung.

Im Sendeformat ‚SRF bi de Lüt – Familiensache‘ gewähren jeweils drei unterschiedliche Familien einen intimen Einblick in ihr Privat- und Berufsleben. ‘SRF bi de Lüt – Familiensache’ hat zu den Protagonisten eine grosse Empathie, ohne jedoch die nötige Distanz zu verlieren. Die Authentizität der Protagonisten ist oberstes Gebot. Dabei sein ist das Wichtigste, beobachtend und begleitend und nie inszeniert. Die Auswahl der Protagonisten für das Format erfolgt anhand der publizistischen Leitlinien des Schweizer Radio und Fernsehens SRF. Gemäss den Leitlinien sind für die Auswahl die Kriterien Relevanz und Publikumsinteresse wegleitend.[2]

Die Leihmutterschaft ist in der Schweiz ein umstrittenes und gesellschaftlich relevantes Thema. Immer mehr hetero- wie auch homosexuelle Paare erfüllen sich mit einer Leihmutterschaft ihren Kinderwunsch. Wie viele Schweizer Paare eine Leihmutterschaft im Ausland in Anspruch nehmen ist nicht erfasst. Der Bundesrat hält aber fest, dass es eine zunehmende gesellschaftliche Realität in der Schweiz ist.[3] Die gesellschaftliche Relevanz und das Publikumsinteresse sind damit gegeben. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass auch die Programmautonomie den Redaktionen die freie Wahl von Thema und Fokus einer Sendung erlaubt.

In der Schweiz ist die Leihmutterschaft verboten. Strafbar ist aber nur, wer bei einer Leihmutter ein Fortpflanzungsverfahren anwendet oder Leihmutterschaften vermittelt (Art. 31 des Bundesgesetzes über die medizinische Fortpflanzung). Weder die Leihmutter noch die Wunscheltern unterliegen der Strafandrohung. Insofern ist das Vorgehen des portraitierten gleichgeschlechtlichen Paares in der Schweiz strafrechtlich nicht relevant.

In anderen Ländern ist die Rechtslage jedoch anders. In verschiedenen Gliedstaaten der USA ist die Leihmutterschaft erlaubt und gesetzlich klar geregelt. Weder die Leihmutter noch die Wunscheltern unterliegen der Strafandrohung. Beim porträtierten Paar fand die Leihmutterschaft im US-Bundesstaat Connecticut statt, wo die Leihmutterschaft erlaubt und rechtlich klar geregelt ist.

Das portraitierte Paar hat aus diesen Gründen weder aus Schweizer noch aus amerikanischer Sicht eine rechtswidrige Handlung vorgenommen und es wurde in der Sendung auch keine rechtswidrige Handlung dargestellt.

Im Vorfeld der Sendung hat sich die Redaktion neben den rechtlichen Abklärungen auch mit den ethischen Fragen rund um die Leihmutterschaft befasst. Wegleitend dabei waren die ausführlichen Stellungnahmen der nationalen Ethikkommission (NEK). Die nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin hält fest, dass die Leihmutterschaft weder dem Kindswohl entgegenstehe noch der Leihmutter einen Schaden zufüge: <Während der Schwangerschaft entwickeln sich zwischen der Leihmutter und dem Fötus psychische und biologische Bindungen. Nach der Geburt werden diese Bindungen abgebrochen, da nun die Wunschmutter für die Weiterführung der Mutter-Kind-Beziehung sorgt. Die NEK anerkennt die Bedeutung dieser Bindungen als erhebliche epigenetische Komponente. Aus Sicht des Kindeswohls ist sie der Auffassung, dass die Leihmutter ein Interesse an der Pflege dieser Bindungen hätte, obwohl sie weiss, dass sie das Kind, das sie austrägt, nach der Geburt der Wunschmutter übergeben muss. Für die Leihmutter ist diese Trennung wahrscheinlich eine schmerzliche Erfahrung. Nach Meinung der NEK wird das Kind aber nicht wirklich seinem Schicksal überlassen, da es von den Wunscheltern übernommen wird, die dem Kind die Fürsorge und Aufmerksamkeit gewährleisten, die es benötigt.> [4] Aus Gründen der Nichtdiskriminierung sollte die Fortpflanzungsmedizin gemäss NEK nicht nur heterosexuellen, sondern auch homosexuellen Paaren zustehen.[5]

Die Globalisierung, die zunehmende ungewollte Kinderlosigkeit in den Industrieländern und neue technische Möglichkeiten haben zu einer Kommerzialisierung der menschlichen Fortpflanzung geführt und es besteht die Gefahr der Ausbeutung der Leihmütter, insbesondere in der dritten Welt. Im konkreten Fall in der Sendung findet die Leihmutterschaft in den USA statt. Die durchschnittliche amerikanische Leihmutter ist verheiratet, um die 30 Jahre alt, selber schon Mutter und stammt aus der unteren Mittelschicht oder Unterschicht (niedrige Schulbildung, geringes Familieneinkommen). Im Gegensatz zu indischen oder ukrainischen Leihmüttern befinden sich amerikanische Leihmütter aber im Regelfall nicht unter der Armutsgrenze. In der Eigenwahrnehmung der Leihmütter überwiegen altruistische Gründe als Motivation, sich als Leihmutter zur Verfügung zu stellen. Der Verdienst wird als sekundär bezeichnet.[6]

Das in der Sendung portraitierte Paar hält bis heute engen Kontakt zur Leihmutter aus den USA, welche auch zum Geburtstagsfest der Tochter in die Schweiz reist. Die Leihmutter selbst wurde als Kind adoptiert und möchte vor dem Hintergrund dieser Erfahrung kinderlosen Paaren helfen. Darum hat sie sich entschieden, ein Kind für das Schweizer Paar auszutragen. Der finanzielle Aspekt spielt für sie eine untergeordnete Rolle.

Zusammenfassung

Das Portrait des homosexuellen Paares, welches sich seinen Kinderwunsch mittels Leihmutterschaft erfüllt, entspricht vollumfänglich den publizistischen Leitlinien von SRF sowie den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG). Die Thematik ist gesellschaftlich relevant und von hohem Publikumsinteresse. Von modernem Menschenhandel kann keine Rede sein, da im gezeigten Fall klar altruistische Motive vorhanden sind. Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, dass die Beanstandung nicht zu unterstützen ist. Wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ein Stück weit kann ich Ihre Empörung nachempfinden. Es ist schwierig zu akzeptieren, was man nicht als «natürlich» empfindet. Aber Hand aufs Herz: Sind denn die Konstellationen, die wir bisher kennen, alle «natürlich»? Es gab doch bisher schon Kinder, die im Heim aufwuchsen, also nicht bei Papa und Mama. Es gibt alleinerziehende Mütter, alleinerziehende Väter, also fehlt immer ein Elternteil. Es gibt Kinder, die bei den Großeltern oder bei Tanten aufwachsen oder von der Schwester oder vom Bruder erzogen werden. Die Konstellationen sind eben nicht immer «normal».

«SRF bi de Lüt» präsentiert in der Sendung drei Familien-Konstellationen, drei Schicksale gewissermaßen, die interessant sind und auch berühren: eine Familie, die mit 100 Tieren lebt; eine Familie, die mit der schweren Krankheit des Sohnes und mit dem Suizid des Vaters zurechtkommen muss; eine Familie schließlich, die es nur dank Leihmüttern gibt. Mir fielen die sympathischen Kinder auf, die in Iseltwald und in Neuenkirch ganz schön Verantwortung übernehmen müssen. Mir fielen die starken Frauen auf. Und die beiden Männer sind ein ganz normales, positives homosexuelles Paar, denen man gewiss nicht vorwerfen kann, dass sie «egoistische Selbstdarsteller» sind.

Die rechtliche Situation hat Herr Niklaus einlässlich geschildert. Fernsehen SRF hat nichts falsch gemacht, sondern vielmehr einen Beitrag dazu geleistet, uns mit speziellen (und herausfordernden) Familien-Konstellationen vertraut zu machen. Die einfühlsam erzählte Reportage bringt uns Realitäten näher, die auch zur Schweiz gehören und die uns auf den ersten Blick vielleicht befremden, ja schockieren, die aber zur Buntheit des Lebens dazugehören. Verherrlicht wird gar nichts; es wird nur die Wahrheit erzählt. Weil das so ist, war die Sendung auch keine Frechheit. Ich kann deshalb Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/srf-bi-de-luet---familiensache/video/srf-bi-de-luet-familiensache-15?id=ae7bb51a-f157-4511-b16e-d7a01e6d8557

[2] Punkt 3.1. Auswahlkriterien und Prioritäten / Quelle: https://www.srf.ch/unternehmen/unternehmen/qualitaet/publizistische-leitlinien-srf

[3] Bericht zur Leihmutterschaft – Bericht des Bundesrats vom 29. November 2013, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-11-29/ber-br-d.pdf

[4] Bericht NEK, S. 47-48, https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK_Fortpflanzungsmedizin_De.pdf

[5] https://www.nek-cne.admin.ch/inhalte/Themen/Stellungnahmen/NEK_Fortpflanzungsmedizin_De.pdf

[6] Bericht zur Leihmutterschaft – Bericht des Bundesrats vom 29. November 2013, S. 16, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/aktuell/news/2013/2013-11-29/ber-br-d.pdf

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