Radio SRF-Sendung «Rendez-vous» sowie «HeuteMorgen», «Morgengast» und SRF News beanstandet
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Mit Ihre E-Mails vom 31. Januar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «Rendez-vous» (Radio SRF) vom 30. Januar 2020 und zwar eine Meldung im Nachrichtenblock [1] sowie «HeuteMorgen» (Radio SRF)[2], «Morgengast» (Radio SRF)[3] und SRF News, dort die Titelei [4], vom 31. Januar 2020. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
In der Sendung Rendez-vous vom 30. Januar 2020, 12.30 Uhr bis 13.00 Uhr lautete die Information betreffend Wanderungssaldo der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung wie folgt: <Im letzten Jahr sind rund 55'000 Menschen weniger in die Schweiz ein- als ausgewandert. ...> Dies ist eine krasse Fehlinformation. Richtigerweise müsste es heissen: <Im letzten Jahr sind rund 55'000 Menschen mehr in die Schweiz ein- als ausgewandert. ...>.[5]
Fehlinformationen und Nichtinformation punkto Personenfreizügigkeit, punkto Einwanderung in die Schweiz haben meiner Meinung nach bei sämtlichen anerkannten Mainstreammedien – dazu zähle ich auch das SRF – in der Schweiz System, seit der Abstimmung über den EWR 1991. Seit über 25 Jahren wird in der Schweiz im Verborgenen ein Wertekrieg geführt, ein Wertekrieg zwischen einerseits den ‘Fortschrittlichen’, und andererseits den ‘Bewahrenden’: den ‘Fortschrittlichen’, die an die Allmacht der Wirtschaft und Wissenschaft, an das grenzenlose Wachstum glauben, die den Menschen als HOMO DEUS sehen und die Natur als Mittel zum Zweck; und den ‘Bewahrenden’, die ihre Kraft und ihren Lebenssinn aus der Natur schöpfen, die in überschaubaren Strukturen ihre Heimat finden, die die von der Natur auferlegten Grenzen anerkennen.[6]
Gerade ein Staatsmedium wie das SRF, das die Meinung sämtlicher Gebührenzahler respektieren sollte, ungeachtet dessen, ob diese für oder gegen die Personenfreizügigkeit sind (wie in England, in ganz Europa, ist die Gesellschaft auch in der Schweiz 50 zu 50 gespalten, 50% ‘Fortschrittliche’, 50% ‘Bewahrende’, wobei die ‘Fortschrittlichen’ überall das ideologische, intellektuelle Sagen haben, und die ‘Bewahrenden’ als dumm hingestellt werden), sollte sachlich über Für und Wider informieren. Warum informiert das SRF nicht einmal in einem längeren Beitrag ehrlich über die negativen Aspekte der Personenfreizügigkeit ohne das diejenigen Menschen, die sich gegen die Personenfreizügigkeit aussprechen, als Isolationisten, Rassisten, Nationalisten, Nazis, Abschotter, Verschwörungstheoretiker, als populistisch, intolerant, polemisch, bildungsfern, unsozial an die Wand gestellt werden? Gerade im Hinblick auf die Begrenzungsinitiative wäre es wichtig, dass das SRF die Wertediskussion zwischen den ‘Fortschrittlichen’ und den ‘Bewahrenden’ offen führt und die Gegner der Personenfreizügigkeit nicht wie die Blauäugigen in der Einstein-Sendung ‘Die Macht der Vorurteile’ behandelt.»
Am 31. Januar 2020 schoben Sie noch folgende zusätzliche Beanstandung nach:
«Um meinen Eindruck betreffend einseitige Berichterstattung betreffend Personenfreizügigkeit zu unterstreichen, nehme ich auf zwei Radio-Sendungen sowie eine Berichterstattung des SRF von heute Morgen, 31. Januar 2020, Bezug:
- In ‘HeuteMorgen’ um 7.00 Uhr informiert Martin Alioth über die Stimmung in Cardiff. Obschon in Wales die Brexit-Befürworter in der Mehrzahl waren, lässt er aus dessen Hauptstadt Cardiff (das als Stadt natürlich aus lauter ‘weltoffenen, fortschrittlichen’ Brexit-Gegnern besteht) nur Stimmen von Brexit-Gegnern zu Wort kommen. Warum kommen hier nicht auch Brexit-Befürworter zu Wort (werden die zu dumm für eine ernstzunehmende Meinung eingestuft)? Schliesslich war dies eine demokratische Abstimmung (oder sind Abstimmungsergebnisse in der EU wie in der Schweiz nur dann demokratisch, wenn sie dem anerkannten Mainstream aus wirtschaftlicher, ökologischer und sozialdemokratischer Elite in den Kram passen?).
- In der anschliessenden Sendung ‘Morgengast’ kam sodann ebenfalls eine überzeugte Brexit-Gegnerin zu Wort, die sich darüber ausliess, wie wenig die Brexit-Befürworter eine Ahnung haben, was sie mit ihrem Ja angerichtet haben. Zu guter Letzt auf die Nachteile angesprochen, die sich aus dem Brexit-Ja ergeben würden, hat sie mehrheitlich eigene Nachteile angesprochen, dass SIE nun mehr Probleme hätte, ihr Buch zu verkaufen, dass SIE ihren Hund nicht mehr in die Ferien mitnehmen könne, ... und hat sodann weitere Behauptungen angestellt, deren Richtigkeit noch zu hinterfragen wären. Aber Hinterfragen tut das SRF nicht: Die Behauptungen dieses Morgengastes werden auf die Schweizer Zuhörer losgelassen: die Befürworter der Personenfreizügigkeit und des Rahmenabkommens fühlen sich dadurch in ihrem konsumorientierten, aber mainstreammässig anerkannten ‘weltoffenen und fortschrittlichen’ Denken weiter bestärkt und behandeln Gegner der Personenfreizügigkeit (übrigens seit dem EWR-Nein) wie Aussätzige und Verbrecher. Anstatt dass das SRF mit einer sachlichen, ausgewogenen Berichterstattung zur Verständigung beiträgt, schürt das SRF das Feuer zwischen den beiden gegensätzlichen Auffassungen. Denkt das SRF wirklich, dass es sich bei den mehr als 50% EWR-Nein-Sager, den über 50% MEI-Ja-Sagern um unzurechnungsfähige Stimmbürger handelt, die nicht wissen, warum sie so abstimmen? Wie gesagt, es ist eine Wertefrage, die sich in ganz Europa, wohl der ganzen Welt stellt, deren offene Diskussion seit 28 Jahren von den Mainstream-Medien boykottiert wird, indem die nicht genehme Seite mundtot gemacht und an die Wand gestellt wird.
- Auf der Website des SRF erscheint sodann heute Morgen die Schlagzeile: <Grossbritannien droht zum Versuchslabor des Chaos zu werden>, eine Schlagzeile, die meiner Ansicht nach einer Boulvardzeitung gut anstehen würde, nicht aber einem Staatsmedium, das unvoreingenommen und zukunftsgerichtet informieren sollte. Wieder wird mit dieser Schlagzeile Öl ins Feuer geschüttet, anstatt zur dringend notwendigen gegenseitigen Verständigung beizutragen. Man kann das Chaos auch herbeireden. Das Staatsfernsehen SRF mischt hier kräftig mit. Dann wird im Untertitel dieses Beitrags noch die Behauptung aufgestellt: <Auch wenn dies viele glauben möchten, die Probleme des Königreichs werden nicht so schnell verschwinden – im Gegenteil>. Es sind wohl wenige so weltfremd, dass sie glauben, mit einem Ja oder Nein zu irgendwelchen Fragen die Probleme einfach so aus der Welt geschafft zu haben. Das wichtigste bei einem zustande gekommenen Ja oder einem zustande gekommenen Nein wäre, dass das Ergebnis von allen akzeptiert und gemeinsam am selben Strick gezogen wird, um die bestehenden Probleme zu lösen.
Seit der Abstimmung über den EWR, ein Projekt des grenzenlosen Wachstums, setze ich mich als alte Grüne aus ökologischen Gründen gegen die Personenfreizügigkeit ein. Das nachhaltigste Verbrechen, das an der Schweiz in den letzten 30 Jahren begangen worden ist, ist ohne Zweifel die Einführung der Personenfreizügigkeit. Wegen kurzfristigen Wirtschaftsinteressen wurde die ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit mit Füssen getreten. Die Personenfreizügigkeit setzt meiner Ansicht nach auf quantitatives Wachstum. Sie ist ein Kind der Globalisierung. Qualitatives Wachstum hat dabei keinen Platz und schon gar nicht das psychische Wohlbefinden von Mensch, Tier und Umwelt. Mit der Personenfreizügigkeit ist der arbeitende Mensch nicht nur in der Schweiz endgültig zur Handelsware verkommen, beliebig austauschbar durch einen unerschöpflichen Pool von Menschen in den Nachbarstaaten, z.B. durch ‘Menschenäpfel’ aus Deutschland, die einige sichtbare Kratzer weniger haben. Und werden diese Kratzer während der Arbeit in der Schweiz sichtbar, werden diese Menschenäpfel zusammen mit der einheimischen Mangelware auf den Arbeitslosenmarkt geworfen bzw. später in der staatlichen Sozialhilfe entsorgt und weitere scheinbar perfekte Menschenware wird als Ersatz in die Schweiz importiert. Die Kollateralschäden unseres Wirtschaftssystems bezahlt der Staat und damit die Steuerzahler sowie die Natur, der Gewinn verbleibt der jegliche ethische Schranken abhanden gekommenen globalen Wirtschaft.
Zum Abschluss noch folgende Beschwerde: Ich habe seit 35 Jahren keinen Fernseher, ich habe auch kein Handy/Smartphone, einer der grössten Klimakiller. [7] Obschon ich die SRF-Gebühren bezahlen muss, kann ich mich als nicht Handy-Besitzerin nicht an einer Diskussion auf der Website des SRF beteiligen, weil ich dazu ein Handy haben muss. Siehe:
Ist dies nicht eine Ungleichbehandlung der Gebührenzahler, wenn nicht alle über die gleichen Dienstleistungen verfügen, weil sie zum Beispiel aus ökologischen Gründen auf ein Handy verzichten?»
B. Die zuständigen Redaktionen erhielten Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Die Antwort kam von Herrn Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF. In Bezug auf das «Rendez-vous» vom 30. Januar 2020 schrieb er:
«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Frau X. Frau X beanstandet, dass wir in einer Meldung im Nachrichtenteil der Sendung ‘Rendez-vous’ von einem negativen Wanderungssaldo in der Schweiz im Jahr 2019 gesprochen haben. Es seien rund 55’000 Menschen weniger in die Schweiz eingewandert als ausgewandert. Richtig sei das Gegenteil.
Ich kann die Stellungnahme kurzhalten: Frau X hat recht. Statt ‘55’000 weniger’ hätte es in der Meldung ‘55’000 mehr’ heissen müssen. Uns ist da ein Versehen unterlaufen, das uns selbst ärgert und für das wir um Entschuldigung bitten. Wir haben entsprechend sogleich nach dem Eintreffen der Beanstandung in der online abrufbaren Version der Sendung die entsprechende falsche Meldung herausgeschnitten.
In der schriftlichen Version war die Meldung korrekt formuliert und in den Nachrichtenbulletins um 11 Uhr, um 12 Uhr und in der Tageszusammenfassung um 22 Uhr wurde sie auch korrekt gelesen:
Im letzten Jahr sind rund 55'000 Menschen mehr in die Schweiz ein- als ausgewandert. Damit ist die Zuwanderung im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben, wie das Staatssekretariat für Migration Sem mitteilte. Aus EU- und EFTA-Staaten wanderten demnach etwas mehr Personen ein. Die Zunahme sei vor allem auf Menschen aus Bulgarien und Rumänien zurückzuführen, so das Sem - diese geniessen seit Juni die volle Personenfreizügigkeit. Aus Drittstaaten wanderten hingegen etwas weniger Menschen ein. Ende Dezember lebten gut 2,1 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz.
Im Nachrichtenblock des ‘Rendez-vous’ wurde bedauerlicherweise ‘mehr’ und ‘weniger’ verwechselt.
Wir stellen hingegen entschieden in Abrede, dass der Fehler ‘System hat’ – wie Frau X vermutet. Wir haben ihn nicht absichtlich begangen und führen mit der nicht korrekten Aussage keinen ‘Wertekrieg’. Es geht hier gar nicht um Werte, sondern um unbestreitbare Fakten: Für uns wie für die Schweizer Öffentlichkeit ist klar, dass die Schweiz seit Jahren einen beträchtlichen Wanderungsüberschuss ausweist. Einen Wertekrieg oder eine Wertedebatte lässt sich darüber nicht führen. Eine solche Diskussion muss vielmehr die Beurteilung dieses Wanderungsüberschusses betreffen: Ist er zu hoch, viel zu hoch oder gerade richtig – oder, was manche Wirtschaftsvertreter finden, sogar zu niedrig?
Ich bestreite ebenfalls, dass wir in unserer Berichterstattung Zuwanderungsgegner als Rassisten, Isolationisten, Nazis oder Verschwörungstheoretiker bezeichnen. Als Service-Public-Medium haben wir bereits bei der Zuwanderungsinitiative oder bei der Ecopop-Initiative in unserer Berichterstattung stets in breitem Umfang auch Befürworter zu Wort kommen lassen. Wir werden das in den kommenden Monaten bei der Begrenzungsinitiative genauso halten. Und wenige Wochen vor dem Urnengang werden in der Abstimmungs-kontroverse, die bei uns jeweils in der Sendung ‘Tagesgespräch’ stattfindet, selbstverständlich auch Initiativbefürworter mitdiskutieren.»
In Bezug auf die drei anderen Sendungen und Publikationen stellte er fest:
«Zunächst die Sendung ‘Heute Morgen’. Hier kritisiert Frau X, dass in einem Beitrag aus der walisischen Hauptstadt Cardiff von Grossbritannienkorrespondent Martin Alioth ausschliesslich Brexit-kritische Stimmen zu Wort kommen.
Die Berichterstattung in der Sendung beginnt mit einer kurzen, faktischen Darstellung der Sachlage von Martin Alioth. Dann folgt seine Kurzreportage aus Cardiff. Dabei wird dem Publikum klar gesagt, dass Wales insgesamt für den Brexit gestimmt hat, dessen Hauptstadt Cardiff jedoch die Ausnahme darstellt, in dem dort das Nein klar überwog. Dies wird nun anhand von mehreren Stimmen dokumentiert. Eine aus unserer Sicht legitime Fokussierung, zumal in unserer Berichterstattung vor und nach dem Brexit-Tag die britische Regierung und ihr Premierminister, also Brexit-Befürworter, sehr häufig zu Wort kamen.
Die Hörerin ist ausserdem nicht einverstanden, dass als Morgengast auf SRF1 eine Brexit-Gegnerin eingeladen wurde. Basierend auf den Überlegungen von Heidi Ungerer, Leiterin von Radio SRF1, argumentiere ich so:
Gemäss Konzept suchen wir bei der Wahl unserer Morgengäste Menschen, die Relevantes und Aktuelles aus persönlicher Sicht, beziehungsweise Betroffenheit schildern können. Die Morgengast-Gespräche sind in der Regel – so auch in diesem Fall – live; das heisst auf die Antworten haben wir nur begrenzt Einfluss. Unsere Aufgabe ist es, die richtigen Fragen zu stellen. Beim Brexit gibt es zwei Lager – Befürworter und Gegner. Wen immer wir also unter direkt Betroffenen auswählen – er oder sie gehört dem einen oder anderen Lager an. Ausgewogenheit kann und soll hier gar nicht das Ziel sein. Hier haben wir uns für eine Auslandschweizerin entschieden, die wir zu Beginn klar als Brexit-Gegnerin situiert haben. Das Publikum konnte sich also ein Bild machen und wusste, was zu erwarten war. Wir fokussierten auf dieses Lager, da dort die Betroffenheit und auch die Emotionen am Austritts-Stichdatum absehbar am ausgeprägtesten ausfallen würden. Persönliche Erlebnisse und Eindrücke aufzuzeigen, ist das Ziel im Morgengast-Gespräch. Dazu kommt: Mit einem solchen Gespräch wollen und können wir die Meinungsfindung in Grossbritannien gar nicht beeinflussen, weil die Wahrnehmung von Radio SRF dort minimal ist. Einen Bezug zur Personenfreizügigkeit oder zur EWR-Abstimmung haben wir weder hergestellt, noch war ein solcher erkennbar.
Allerdings sind wir im Nachhinein der Meinung, dass Iris Hunter kein idealer Morgengast war. Sie argumentierte bisweilen fahrig; ihre Darstellung war entsprechend in manchen Punkten nicht konzis. Die Frage, die wir uns deshalb stellten, lautet: Hätten wir das bereits im Vorgespräch merken müssen? Ausserdem hätten wir Hunter kritischer befragen sollen. Nachhaken wäre dort erforderlich gewesen, wo die Gesprächspartnerin zu sehr den Anschein erweckte, dass in Grossbritannien hauptsächlich Brexit-Gegner leben würden.
Bei der Kritik von Frau X an der Titelgebung auf SRF News stütze ich mich auf die Argumentation von Alexander Sautter von der Bereichsleitung SRF News:
Bei der Formulierung von Titeln ist für uns entscheidend, die Leserin, den Leser möglichst klar wissen zu lassen, was sie oder ihn in einem Artikel erwartet. Der Titel muss sich also mit der Kernaussage des Textes decken. Titel sollen pointiert sein, jedoch auf Zuspitzungen, auf reisserische Formulierungen verzichten. In diesem Fall decken sich nach unserem Verständnis Titelei und Kernaussage des Artikels: Patrik Wülser, Leiter der Auslandredaktion von Radio SRF und ab März Grossbritannien-Korrespondent, zeigt in seiner Analyse auf, welche Herausforderungen mit dem Brexit anstehen. Diese Herausforderungen sind gewaltig. Der Begriff Chaos kann, aber muss keineswegs bedeuten, dass nun auf Grossbritanniens Strassen alles drunter und drüber geht. Er kann sich – und tut das hier – auch darauf beziehen, dass ein politisches und vertragliches Chaos herrscht, dass unzählige Fragen ungeklärt sind und die Situation für die Bürger und vor allem auch für die Unternehmen ausgesprochen unsicher und schwierig ist.
Kurz rekapituliert: Nach unserem Dafürhalten war die Berichterstattung in der Sendung ‘Heute Morgen’ mit einem Fokus auf die Stimmung in Cardiff sachgerecht. Ebenso die Titelei zur Online-Analyse über die unmittelbaren Auswirkungen des Brexit-Vollzugs. Im Fall des Morgengastes war die Auswahl einer persönlich betroffenen Auslandschweizerin nachvollziehbar und lag im Rahmen der publizistischen Freiheit. Wir räumen allerdings ein, dass wir hier im Verlauf des Gesprächs in einzelnen Punkten kritischer hätten nachfragen oder nachhaken sollen.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung von Frau X, abzulehnen.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendungen. Ich gehe Schritt für Schritt vor:
- «Rendez-vous»: Die Meldung in just dieser Nachricht, die Sie hörten und auf die Sie sich beziehen – wenn man will: im wichtigsten Nachrichtenblock des Tages vor dem «Echo der Zeit» - war falsch: «Mehr» und «weniger» wurden verwechselt. Die Redaktion hat diese Nachricht aus der Mediathek entfernt und sich für den Fehler entschuldigt. In allen anderen Nachrichtenblöcken des Tages war die Meldung korrekt. Ihnen danke ich dafür, dass Sie so genau hingehört und den Fehler gemeldet haben. In diesem Punkt kann ich Ihre Beanstandung unterstützen.
- HeuteMorgen»: Martin Alioth hat eine sehr schöne Reportage aus Cardiff, der Hauptstadt von Wales, geliefert. Da die Stadt mit 60 Prozent gegen den Brexit gestimmt hat, war es logisch, dass er eitel Gegner antraf. Eine solche Reportage muss möglich sein. Das Radio- und Fernsehgesetz verlangt nicht, dass jeder Beitrag in sich ausgewogen ist. Die Vielfalt muss über die Dauer des Programms hergestellt werden. Hier kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
- «Morgengast»: Bei diesem Beitrag war zweierlei unglücklich: Erstens war die befragte Person nicht besonders geeignet für ein authentisches, persönliches Interview. Zweitens war der Beitrag schlecht koordiniert mit den anderen Sendungen, in denen Martin Alioth aus Cardiff berichtete. Zwar wäre nicht verboten, nochmals eine Stimme zu haben, die kritisch gegenüber dem Brexit eingestellt ist, aber dann müssten andere, spezifische Aspekte zum Tragen kommen. Ich glaube nicht, dass man das Defizit durch eine härtere, kritischere Befragung hätte auffangen können. Es war einfach die falsche Person. Ich neige daher dazu, Ihre Beanstandung auch in diesem Punkt zu unterstützen.
- Titel bei SRF News: Der Titel ist nicht falsch, und er ist auch nicht tendenziös, aber das erwartete Chaos hätte im Text noch etwas genauer beschrieben werden sollen. Im Sinne von «in dubio pro reo» neige ich der Redaktion zu und unterstütze hier Ihre Beanstandung nicht.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung zu Ihren grundsätzlichen Ausführungen. Es stimmt, dass die Schweiz gespalten ist zwischen Anhängern der Öffnung und Anhängern des Sonderweges oder der Abschottung. Sie sprechen von «Fortschrittlichen» und «Bewahrern». Diese Spaltung existiert aber nicht erst seit der Abstimmung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) von 1992, sondern schon viel länger. Vor 100 Jahren, 1920, beschloss der Schweizer Souverän, dem Völkerbund beizutreten. Damals siegten die Anhänger der Öffnung. Die Verlierer, die Anhänger der Abschottung, gründeten darauf den «Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz». Aus diesem Volksbund gingen dann 1940 jene hervor, die die «Eingabe der 200» unterschrieben und vom Bundesrat eine Anpassung an das Nazi-Regime forderten, aber auch jene, die sich dann später im Redressement National, im Komitee gegen den Uno-Beitritt oder in der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» wiederfanden. In den Volksabstimmungen siegten manchmal die Anhänger der Öffnung, manchmal jene der Abschottung. Es mag stimmen, dass die Schweizer Medienschaffenden mehrheitlich mit den Ideen der Öffnung sympathisieren, aber das heißt noch lange nicht, dass deswegen die «Bewahrenden» als dumm hingestellt werden und keine Plattformen erhalten. Ich beobachte im Gegenteil, dass gerade Radio und Fernsehen SRF permanent die Debatte führen und alle Positionen zum Zuge kommen lassen.
Und Sie irren, wenn Sie Radio und Fernsehen SRF als «Staatsmedium» bezeichnen. Ein «Staatmedium» ist ein Sprachrohr, ein Lautsprecher der Regierung. Das ist SRF gerade nicht. Inhaltlich ist SRF von den politischen Behörden unabhängig, dies halten Bundesverfassung sowie Radio- und Fernsehgesetz ausdrücklich fest. Zwar bestimmt das eidgenössische Parlament den strukturellen Rahmen des Rundfunks und legt fest, dass Gebühren eingezogen werden dürfen, aber wie dann die einzelnen Sender die Kanäle mit Inhalten füllen, das geht den Staat nichts an, da gilt die Medienfreiheit. Das Radio- und Fernsehgesetz legt nur Minimalstandards fest, so etwa, dass die Berichte sachgerecht sein müssen, dass für die Programme im Längsschnitt das Vielfaltsgebot gilt und dass jegliche Diskriminierung verboten ist. «Staatsmedien» gibt es in der Schweiz keine – abgesehen vom «Bundesbüchlein und den Websites und Broschüren der Departemente -, hingegen beispielsweise in Nordkorea, China, Kuba, Syrien, Ägypten, Russland, der Türkei oder in Thailand.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/sendungen/rendez-vous/schweizer-nachrichtendienst-hat-gesetz-gebrochen/
[2] https://www.srf.ch/sendungen/heutemorgen/corona-virus-who-ruft-gesundheitsnotstand-aus
[3] https://www.srf.ch/sendungen/morgengast/sendungen/(offset)/18
[4] https://www.srf.ch/news/international/tag-des-brexit-grossbritannien-droht-zum-versuchslabor-des-chaos-zu-werden
[5] Vgl. Beilage Statistik
[7] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/smartphones-2040-groesste-klimakiller-100.html
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