«10 vor 10»-Beitrag «Vor 75 Jahren hagelten Bomben vom Himmel auf Dresden» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 16. Februar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «10 vor 10» (Fernsehen SRF) vom 13. Februar 2020 und dort den Beitrag «Vor 75 Jahren hagelten Bomben vom Himmel auf Dresden».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

«Diese Sendung ist abgesehen davon, dass Herr Neuntzer nicht ‘Markus’, sondern Matthias heisst, voller historischer Unstimmigkeiten (was ich gerne ausführen kann). Nicht alle, die eine korrekte Aufarbeitung einschliesslich der Zahl der Todesopfer (die ebenfalls aus politischen Motiven immer weiter heruntergerechnet werden soll, bis am Ende eine verunglückte Grillparty übrigbleibt), wollen im timebreak und Wiederaufnahme des 2. WK knapp vor Stalingrad! Besonders die, die im Unterschied von westdeutschen Historikern (und Schweizer Journalisten!) Angehörige in den Angriffen und an der Ostfront verloren haben. Es ist eine Zumutung, welche tendenziösen Elaborate man mit seinen Rundfunkgebühren hier bezahlen muss. Wenn Sie wollen, steigen wir gerne in die Details der Vorgänge und der fast lächerlichen Schlussfolgerungen der Historikerkommission ein, der Neuntzer ja angehörte. Sie können sich auch gerne zur Einstimmung die Bilder von Walter Hahn in der Deutschen Fotothek anschauen und bei einer leckeren Latte in der SRF-Cafeteria darüber kontemplieren, dass es ‘am Boden keine Unschuldigen gab’, wie Herr Prof. Müller seine beachtenswert humanen Grundvorstellungen ja verkaufen darf. Geht besonders gut, wenn Sie selber kleine Kinder haben! Alles, was dort im Beitrag behauptet wird (Rüstungszentrum, keine Flüchtlinge, Eisenbahndrehpunkt für den Endkampf 3 Monate vor der Kapitulation...) hält dem historischen Kontext nicht stand! Wie wäre es, wenn Sie sich reichlich vor dem nächsten absehbaren ‘runden Geburtstag’ der Bombennacht einmal umfassend zum Sujet informieren und nicht die Narrative der Kampf-Gegen-Rechts-Gladiatoren der Deutschen Zivilgesellschaft ungefiltert übernehmen würden?»

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «10 vor 10» äußerte sich Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter der Sendung:

„Mit Mail vom 16. Februar 2020 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Sendung 10v10 vom 13. Februar eingereicht. Es geht um den Beitrag zur Erinnerung an die Bombardierung Dresdens vor 75 Jahren.

Fokus des Beitrages

Erinnerungstage an geschichtliche Ereignisse stellen für jede Redaktion eine besondere Herausforderung dar. Wird einfach nacherzählt, was damals geschehen ist? Wird über die aktuelle Gedenkfeier mit ein paar historischen Bildern berichtet? Redaktion und Autorin haben sich für eine spezifische Fragestellung entschieden - nämlich für die Frage, wie die Bombardierung Dresdens in der Politik seither instrumentalisiert wurde und immer wieder wird. Es geht um die wichtige Fragestellung, wie eine Gesellschaft mit historischen Fakten umgeht und wie das dadurch entstehende Geschichtsbild die aktuelle Diskussion prägt.

Bettina Ramseier als Autorin hat diese Fragestellung in eine sehr persönliche Schilderung einer Überlebenden eingebettet. Ihre Aussagen lassen den Schrecken der Menschen in dieser Bombennacht mehr als nur erahnen. Es ist der Redaktion wichtig, dass neben der politischen Betrachtung auch diese persönlichen Schilderungen einen gebührenden Platz erhalten. Die Zeitzeugen sind alle in einem hohen Alter. Es ist eine vornehme Aufgabe eines Nachrichtenmagazins, Zeitzeugen im Original-Ton zu Wort kommen zu lassen und damit diesen sehr persönlichen Blick auf das Geschehen für spätere Generationen zu erhalten.

Historikerkommission

Die Beanstandung als solche ist nicht einfach zu verstehen; was genau kritisiert der Beanstander am Beitrag? Er zieht im Wesentlichen die Ergebnisse der von der Stadt Dresden eingesetzten Historikerkommission in Frage. Diese war politisch unabhängig und sehr breit aufgestellt (Seite 11 des Berichtes).[2] Ein Dutzend Historiker*innen haben mitgearbeitet. Die Kommission hatte explizit den Auftrag, angesichts der sehr divergierenden Zahlen zu den Todesopfern der Bombennacht den <aktuellen Stand der Forschungsstand zur Zahl der durch die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen festzustellen> (Seite 8 des Berichts). Dabei war der Kommission von Anfang an klar, dass nur die Grössenordnung der Anzahl getöteter Menschen ermittelt werden kann, d.h. mit einer wesentlich geringeren Schwankungsbreite als sie in der aktuellen Diskussion zu beobachten sei.

In den Dokumenten der Stadtbehörden Dresdens, die in den Tagen und Wochen nach der Bombardierung erstellt wurden und überhaupt noch verfügbar sind, ist von ‚18’375 Gefallenen‘ die Rede: <Insgesamt rechnete die Polizei aufgrund der bisherigen Erfahrungen und Feststellungen bei der Bergung mit etwa 25’000 getöteten Menschen.> (Seite 17 des Berichts). Die neuen Verantwortlichen Dresdens nach der Kapitulation des Nazi-Regimes gingen auch von diesen Zahlen aus. In der Geschichtsschreibung durch Historiker in der DDR wurden die Zahl der getöteten Menschen erhöht. Die Kommission hat umfangreiches statistisches Datenmaterial ausgewertet, von Angaben der Friedhofsverwaltungen, über Vergleiche der Einwohnerzahlen der Stadt selber bis zu Angaben der Luftschutzbehörden. Eine Unsicherheit besteht bei der Zahl der Flüchtlinge, die sich im Februar in der Stadt aufhielten.

Die Historikerkommission kommt zu folgendem Schluss: <Bei den Luftangriffen auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945 wurden bis zu 25’000 Menschen getötet.> (Seite 67 des Berichts).<Innerhalb weniger Stunden starben viele Tausend Menschen – Zivilisten und Militärangehörige, Dresdner und Flüchtlinge, aber auch Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene. Für die wenigen noch nicht ermordeten jüdischen Mitbürger bedeuteten die Luftangriffe Gefahr und Rettung vor Deportation gleichermassen. Ein verantwortliches Erinnern an das Schicksal dieser Menschen setzt ein ernsthaftes und andauerndes Bemühen um die Korrektheit der geschichtlichen Darstellung voraus.> (Seite 70 des Berichts).

Nach eingehender Durchsicht des Berichtes der Historikerkommission kommt die Redaktion zum Ergebnis, dass der Bericht den Tatsachen, also den genauen Zahlen der getöteten Menschen der Bombennacht von Dresden, sehr nahekommt. Es gibt keinen Anlass, an der Seriosität der Kommission zu zweifeln. Die Meinung des Beanstanders, der von ‚fast lächerlichen Schlussfolgerungen‘ der Historikerkommission schreibt, wird von der Redaktion und der Autorin nicht geteilt. Der Beanstander liefert auch keine Begründungen für seine Meinung. Die Redaktion ist angesichts der menschlichen Tragödie entsetzt über die Formulierung in der Beanstandung, dass die Zahl der Todesopfer <aus politischen Motiven immer weiter heruntergerechnet werden soll, bis am Ende eine verunglückte Grillparty übrigbleibt>.

Narrativ Dresden

Der Beanstander wirft dem Beitrag weiter vor, <die Narrative der Kampf-Gegen-Rechts-Gladiatoren der Deutschen Zivilgesellschaft ungefiltert zu übernehmen>. Zuerst ein Detail: Die Historikerkommission wurde von Professor Rolf-Dieter Müller, Wissenschaftlicher Direktor, Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundewehr in Potsdam, geleitet. Der Kommission gehörten weitere Wissenschaftler aus der militärischen Forschung an. Der Beitrag hat genau die verschiedenen Narrative in der Folge der Bombennacht zum Thema gemacht: Zuerst das Narrativ der nationalsozialistischen Propaganda, dann die Instrumentalisierung durch die DDR-Diktatur in der Zeit des Kalten Krieges und zuletzt die Einvernahme der Ereignisse durch Gruppierungen und Parteien der Rechten im Osten Deutschlands.

Im Beitrag wird die Zerstörung der Stadt gleich zu Beginn ausführlich gezeigt; die Bilder in Kombination mit den Aussagen von Inge Wenzel geben einen Eindruck vom Grauen dieser Nacht. Wenn der Beanstander der Redaktion empfiehlt, sie könne sich Fotos anschauen und bei einer ‚leckeren Latte in der SRF-Cafeteria darüber kontemplieren‘, dass es am Boden keine Unschuldigen gab, so kommt dies einer Verhöhnung aller Opfer von Dresden, aller Kriegstoten und aller Ermordeten während des 2. Weltkrieges gleich. Der Beitrag hat nie behauptet, dass es keine Unschuldigen gab. Gerade die Schilderung der Zeitzeugin, die als Kind die Bombennacht erlebte, belegt, dass die allermeisten Opfer des Angriffs zivile Opfer waren. Der Beitrag wirft nirgends die Frage von Schuld oder Unschuld auf. Fakt ist aber, dass der 2. Weltkrieg vom nationalsozialistischen Regime und von Adolf Hitler ausgelöst wurde.

Weitere Punkte

Der Beitrag hat nie gesagt, dass in der Endphase des Krieges in Dresden keine Flüchtlinge aus dem Osten waren. Der Beitrag hat auch nie behauptet, Dresden sei das Rüstungszentrum des 3. Reiches gewesen. Im Vergleich etwa zur Schwerindustrie im Ruhrgebiet, die anfangs 1945 durch Luftangriffe schon schwer beschädigt war. Das Stadtportrait von Dresden hält aber Folgendes fest: <In beiden Weltkriegen dieses Jahrhunderts stand die Dresdner Industrie fast vollständig im Dienst der Rüstungsproduktion.>[3] Dresden war bis zum Ende des 2. Weltkrieges und der nachfolgenden Teilung Deutschlands entgegen der Ansicht des Beanstanders ein Eisenbahnknotenpunkt, <wie zum Beispiel Eisenbahnlinien, die Dresden mit der Messestadt Leipzig, mit Schlesien und Böhmen verbanden (später folgten Chemnitz/Hof und Berlin), entwickelte sich die sächsische Hauptstadt bis zum Ende des Jahrhunderts zu einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt.> Gemeint ist das Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Funktion behielt Dresden auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der Endphase des 2. Weltkrieges führten gerade die Verbindungen nach Osten (Schlesien) und nach Süden (Tschechische Republik, damals Protektorat Böhmen und Mähren) direkt zu den Kriegsfronten der vorrückenden Sowjetarmee.[4]

Im Beitrag der Sendung 10v10 wird Professor Neuntzer mit dem korrekten Vornamen Matthias eingeblendet. Der falsche Vorname Markus kam im dazugehörigen Artikel auf srf.ch vor; dieser Fehler ist mittlerweile korrigiert.[5]

Fazit

Der Beitrag hat korrekt und sachgerecht über die Bombardierung Dresdens durch die Royal Air Force in der Nacht vom 13. Februar 1945 berichtet. Er hat eine Zeitzeugin auftreten lassen, die ihre persönlichen Erlebnisse schildert und ein Bekenntnis gegen jeglichen Krieg ablegt. Der Beitrag hat die Instrumentalisierung der Bombardierung durch die Regimes (3. Reich und DDR) und in der heutigen politischen Landschaft Sachsens zum Thema gemacht. Redaktion und Autorin weisen die Formulierung des Beanstanders, es handle sich um ein ‚tendenziöses Elaborat‘ in aller Form zurück.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Die Bombardierung Dresdens durch die Briten war ein Kriegsverbrechen, genauso, wie der Abwurf von Atombomben durch die Amerikaner auf Hiroshima und Nagasaki ein Kriegsverbrechen war. Die Tatsache, dass Hitler den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte und die Alliierten nur reagierten, entschuldigt das Verbrechen nicht, denn weder die Bombardierung Dresdens noch die Bombardierung Hiroshimas waren zwingend, um die Kapitulation Deutschlands und Japans zu erreichen. Und auch die möglichst genaue Bestimmung der Anzahl Toten auf 25'000 (statt 250'000, wie die Nazis behaupteten, oder deutlich mehr als 45'000, wie die DDR-Kommunisten behaupteten, oder 202'000, wie heutige Rechtsextreme behaupten) tut dem Schrecken der Bombennacht keinen Abbruch. Bettina Ramseier hat mit Hilfe der Zeitzeugin Inge Wenzel und mit Hilfe der Historiker einen korrekten, soliden Bericht abgeliefert, der in keiner Weise tendenziös war. Ich kann daher den Ausführungen von Herrn Dütschler nur beipflichten und erteile Ihrer Beanstandung eine Absage.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann

[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/vor-75-jahren-hagelten-bomben-vom-himmel-auf-dresden?id=6acf998d-95fe-4970-bfe2-7999bb47978a

[2] https://www.dresden.de/media/pdf/infoblaetter/Historikerkommission_Dresden1945_Abschlussbericht_V1_14a.pdf

[3] https://www.dresden.de/de/leben/stadtportrait/110/themen/industriestadt.php

[4] http://www.tom-connect.de/Staedtebau-Dresden/eisenbahn.html

[5] https://www.srf.ch/news/international/mythos-dresden-wie-mit-geschichte-politik-gemacht-wird

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