«Mini Schwiiz - dini Schwiiz» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 19. Februar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «Mini Schwiiz – dini Schwiiz (Fernsehen SRF) vom 17./18. Februar 2020.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Diese Woche läuft die Serie zum zweiten Mal im Engadin. Inhaltlich sind die Sendungen im üblichen Rahmen.
Ich vermisse
- Minimal in der Ansage, dass man sich im Raum der vierten Landessprache befindet,
- Dass nicht von den Meisten das Deutsch wenigstens eindeutig in Bündnerdeutsch zu hören ist,
- Dass die wenigen spontan gesprochenen romanischen Worte nicht laut und deutlich hörbar sind.
Die Sendungen im Engadin hinterlassen den Eindruck, dass man auf die Sprache am Ort nicht stolz ist, ja man fast den Eindruck hat, sie werde schlicht negiert. Und das ausgerechnet die Sprache, die ja so zu kämpfen hat. Hier hat man eine Chance für das V e r s t ä n d n i s in der Bevölkerung für das Romanisch verpasst. Warum hat man RTR nicht zugezogen?»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Die Antwort für «Mini Schwiiz – dini Schwiiz» kam von Frau Alexa Brogli, Senior Producer, Bereich Factual Entertainment:
«Herr X vermisst in der Sendung eine Ansage, dass man sich im Raum der vierten Landessprache befindet, dass nicht die meisten eindeutig Bündnerdeutsch sprechen, sowie, dass die wenigen, spontan gesprochenen romanischen Worte nicht laut und deutlich hörbar sind. Er hat das Gefühl, man sei nicht stolz auf die Sprache, ja sie werde gar negiert. Somit habe man eine Chance verpasst, das Verständnis für das Romanisch in der Bevölkerung zu stärken. Gerne nehmen wir zu den einzelnen Punkten Stellung.
Zur vermissten Ansage, dass man sich im Raum der vierten Landessprache befindet
Dieser Kritikpunkt von Herr X müssen wir zurückweisen. In der ersten Sendung ‘Mini Schwiiz, dini Schwiiz’ vom 17.02. aus dem Unterengadin wird nach 1 Minute Zernez kurz vorgestellt und erwähnt, dass romanisch die Amtssprache ist. Danach bei ca. 3 Minuten erklärt die Gastgeberin Beatrice selber, dass in Zernez romanisch gesprochen wird, romanisch die Amtssprache ist und sie die Sprache sehr schnell sehr gerne gelernt hat. Sie spricht unterdessen sogar fliessend romanisch. Und dies, obwohl sie eine Zugezogene ist. Auch die zweite Sendung (vom 18.02.) der Unterengadiner Woche startet mit einem ‘Allegra’ und Giacomin begrüsst mit ‘Bun di’.
Zum eindeutigen Bündnerdeutsch der Protagonisten und Protagonistinnen
‘Mini Schwiiz, dini Schwiiz’ ist eine Unterhaltungssendung, in der Menschen in der Schweiz ihren ‘Herzensort’ präsentieren. Sie zeigen ‘ihre’ Stadt oder ‘ihr’ Dorf – meist den Wohnort – aus einer sehr persönlichen Perspektive. In den beanstandeten Sendungen stammen die beiden Kandidaten Giacomin und Remo ursprünglich aus dem Unterengadin. Beatrice und Iris sind Zugewanderte, die aber seit bald 30, respektive 47 Jahren in ihren beiden Wahldörfern Zernez und Vnà leben. Der aus Deutschland zugezogene Dominik wohnt seit 9 Jahren in Scuol und hat seither sogar schon romanisch gelernt, weil er im Engadin bleiben will. Die meisten Experten und Expertinnen, die in irgendeiner Form in die Sendung eingebunden werden (Beispiele: Sendung vom 17.02. Sgraffito-Künstler ab Minute 14 oder Star-Koch im Restaurant In Lain ca. bei Minute 18; Sendung vom 18.02. Tanz-Meister ab Minute 17) sind (auch hörbar) aus dem Engadin und sprechen Bündnerdeutsch. Diese Sendung zeigt die Schweiz mit all ihren Facetten und bildet möglichst breit unterschiedliche Bevölkerungsschichten ab. Leute, die seit 30 oder mehr Jahren an einem Ort leben (und halt dennoch ihren ursprünglichen Dialekt behalten haben) zeigen, dass Heimat und eben auch der eigene ‘Herzensort’ nicht mit dem Geburtsort übereinstimmen muss. Dominik, der Deutsche, der in der Tourismusbranche in Scuol Fuss gefasst hat, bildet ebenfalls eine wichtige Bevölkerungsgruppe der Schweiz ab: Menschen mit Migrationshintergrund. Er ist besonders repräsentativ, gehören doch Migranten und Migrantinnen aus Deutschland mit zu den grössten Ausländergruppen in der Schweiz. Es ist wichtig für die Sendung, dass man die Passion der Protagonisten und Protagonistinnen für ihren ‘Herzensort’ spürt. Woher ihre Faszination für einen speziellen Ort kommt, wird in der Sendung immer thematisiert. Dass man an fast allen Stationen (in beiden Sendungen vom 17.02. und vom 18.02.) auf Menschen aus dem Unterengadin mit ihrem typischen Bündnerdeutsch trifft, zeigt deutlich, dass die Gastgeber und Gastgeberinnen der jeweiligen Orte sehr verbunden sind mit ihrem Dorf und der Bevölkerung.
Zu den romanischen Worten, die nicht laut und deutlich hörbar sind und zum Eindruck, dass die Sprache am Ort negiert wird
Bei der ersten Sendung vom 17.02. und auch bei der Sendung vom 18.02. werden die Worte ‘Allegra’ und ‘Bun di’ in der Vorstellung, respektive schon bei der Begrüssung klar und deutlich ausgesprochen. Ebenfalls erklärt der Koch in der ersten Sendung ca. bei Minute 18 das Essen ‘Plain in Pigna’ und liefert sogar die Übersetzung auf Schweizerdeutsch dazu. In der zweiten Sendung wird der Tanz-Brauch ‘Babania’ in der Kategorie ‘Tradition’ ab Minute 16 erklärt. Auch wenn nur der Name romanisch ist, lernt man hier etwas über einen alten Brauch im Engadin, der den Menschen dort noch immer viel bedeutet. Immer wieder (vor allem bei unterschiedlichen Begrüssungen) hört man deutlich, dass die Protagonisten und Protagonistinnen zwischendurch romanische Worte wechseln. Diese wurden in einer normalen Lautstärke abgemischt, sind aber allenfalls etwas weniger deutlich, da es nicht abgesetzte Interviews, sondern Momente in einer aktuellen Handlung (Beispiel: Umarmung) sind.
Zur verpassten Chance auf mehr Verständnis aus der Bevölkerung für das Romanisch
Die Sendung ‘Mini Schwiiz, dini Schwiiz’ wird im Auftrag von SRF produziert und ebenfalls von SRF finanziert. Die Sendung läuft täglich im Vorabend-Programm für das Publikum in der Deutschschweiz. So ist es klar, dass die Protagonisten und Protagonistinnen auf Schweizerdeutsch (und in einem Falle Deutsch) kommunizieren. Sie alle sind dieser Sprache mächtig und für viele ist es gar ihre Muttersprache. In diesem Falle eine Sendung auf romanisch zu machen, in der die Protagonisten und Protagonistinnen dann mit einem ‘Voice Over’ übersetzt werden müssten, wäre wohl nicht förderlich für das Verständnis und würde der Sendung eine gewisse Schwerfälligkeit geben. Am Anfang der Sendung aus Zernez (17.02.) wird klar und deutlich zweimal darauf hingewiesen, dass die Amtssprache Romanisch ist und die Protagonistin erklärt sogar, dass sie diese Sprache schnell und gerne gelernt habe. Dies zeigt dem Publikum auf sympathische Weise, dass es wichtig ist, in dieser Gegend der vierten Landessprache mächtig zu sein. Ebenfalls brauchen die Engadiner Experten und Expertinnen, die an ihren jeweiligen Stationen etwas präsentieren, immer mal wieder romanische Worte, sodass mehr als klar wird, dass wir uns im romanischen Sprachraum befinden.
Zusammenfassung
Die Unterhaltungssendung ‘ Mini Schwiiz, dini Schwiiz ’ zeigt den persönlichen Blick der Protagonisten und Protagonistinnen auf ihren ‘ Herzensort‘. Dass Zugewanderte ebenso teilnehmen dürfen wie Einheimische ist Teil des Konzepts. Es wurde am Anfang der ersten Sendung aus dem Unterengadin (vom 17.02.) eindeutig auf die romanische Amtssprache hingewiesen. Ebenso flossen immer wieder romanische Worte in die Sendungen mit ein und wurden teilweise gar übersetzt. Das Brauchtum, die Traditionen (von der kulinarischen ‘ Plain in Pigna ’ über das Kunsthandwerk ‘ Sgraffito ’ bis zum Tanzfest ‘ Babania ’) und die Besonderheiten vom Unterengadin wurden sehr schön dargestellt und mit vielen Experten und Expertinnen aus dem Engadin auch im typischen Bündnerdeutsch präsentiert. Die Sendungen werden im Auftrag von SRF für das Publikum in der Deutschschweiz produziert und müssen deshalb auch in einer dem Publikum verständlichen Sprache gezeigt werden. Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, dass die Beanstandung nicht zu unterstützen ist. Wir bedanken uns für die Gelegenheit zur Stellungnahme.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendungen. Der Anteil der rätoromanischen Sprache an den Sprachen der Schweiz beträgt 0,5 Prozent, und wenn man bedenkt, dass im Bündner Oberland Sursilvan, in Mittelbünden Sutsilvan, im Oberhalbstein und Albula Surmiran, im Oberengadin Putèr und im Unterengadin Vallader gesprochen und geschrieben wird, dann haben wir es mit Mini-Minderheiten zu tun. Aber die Schweiz zeichnet aus, dass sie zu ihren Minderheiten Sorge trägt und dass ihnen immer mehr Bedeutung zugemessen wird als ihrem prozentualen Anteil entspricht. So gehört beispielsweise der neunköpfigen Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) seit ihrer Gründung vor 36 Jahren immer ein rätoromanisches Mitglied an, was einem Anteil von 11,1 Prozent entspricht und nicht von 0,5 Prozent. Und so soll es auch sein! Nicht ohne Grund steht in der Präambel der Bundesverfassung, «dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen».[2] In Bezug auf die Rätoromanen bedeutet das: Das Schweizer Volk ist dann stark, wenn es auch den Rätoromanen gut geht.
Die Unterstützung der Rätoromanen geschieht etwa dadurch, dass Professuren für Rätoromanisch beispielsweise an den Universitäten Zürich und Freiburg i.Ü. existieren; dass an einem rätoromanischen Wörterbuch gearbeitet wird; dass es eine rätoromanische Nachrichtenagentur, rätoromanische Zeitungen sowie ein rätoromanisches Radio und rätoromanische Fernsehsendungen (RTR) gibt; dass rätoromanische Literatur gefördert wird, etwa durch die ch-Reihe; dass wichtige Dokumente des Bundes ins Rätoromanische übersetzt werden; dass in den rätoromanischen Dörfern eigene Schulen erhalten bleiben usw. Die Schweiz kann und soll stolz sein auf ihre vierte Landessprache.
Aber man kann die Förderung auch ins Absurde wenden. Es wäre absurd, wenn in Zürich alle Straßen auch rätoromanisch angeschrieben würden. Denn obwohl es wohl nirgends sonst eine so starke Konzentration von Rätoromanen gibt wie in Zürich, ist Zürich doch eine deutschsprachige Stadt, in der man eher englische Schilder bräuchte als rätoromanische. Und in einer Sende-Serie des Deutschschweizer Fernsehens SRF, die sich an ein Deutschschweizer Publikum wendet, muss nicht dauernd Rätoromanisch gesprochen werden, auch dann nicht, wenn der Schauplatz der Sendung das Unterengadin ist. Ich finde, das Unterengadin und die Rätoromania sind in diesen beiden von Ihnen beanstandeten Sendungen genügend repräsentiert – durch die Menschen, die Landschaften, die Speisen, die Bräuche und die Dörfer mit ihren typischen Häusern. «Mini Schwiiz – dini Schwiiz» ist ja kein Sprachkurs, sondern eine Unterhaltungssendung, in der Leute ihren «Herzensort» vorstellen.
Natürlich wäre denkbar, noch mehr Einheimische in ihrer Muttersprache auftreten zu lassen und ihre Aussagen zu untertiteln, aber das macht alles wieder komplizierter – und teurer. Und letztlich geht es nicht um Wünsche, wie man eine Sendung auch noch anders machen könnte, sondern um die Frage, ob die ausgestrahlte Sendung gegen das Radio- und Fernsehgesetz verstößt. In Frage käme: Diskriminierung des Rätoromanischen. Und dies ist eindeutig nicht der Fall. Weil das so ist, kann ich ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/play/tv/mini-schwiiz-dini-schwiiz/video/unterengadin---tag-1---zernez?id=e91cc716-1100-4a10-83d2-98c3f09cfdd1
[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html
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