«10 vor 10»-Beitrag «Grippe im Spital – Personal hat wenig Lust auf Impfungen» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 22. Februar 2020 beanstandeten Sie die Sendung «10 vor 10» (Fernsehen SRF) vom 21. Februar 2020 und dort den Fokus «Grippe im Spital – Personal hat wenig Lust auf Impfungen».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Das SRF berichtet einseitig tendenziös über die Ansichten der Impfgegner und lässt diese nicht selbst zu Wort kommen. Das SRF hat zudem nicht ausreichend recherchiert, was es für vielfältige Gründe gegen eine Impfung gibt und spricht diese auch nicht an. Die pauschale Unterstellung, dass es sich um eine Überzeugung mit ‘religiösen Zügen’ handelt ist diffamierend. Es gibt durchaus rationale Gründe gegen Impfungen. Zum Beispiel die Angst vor Nebenwirkungen (die durchaus sehr gravierend sein können - es gibt meines Wissens sogar Anzeichen, dass Impfungen grossflächig für Allergien oder Autoimunerkrankungen verantwortlich sein könnten.) Das SRF sollte lieber sich einmal vertieft mit den Impfstoffen und Methoden beschäftigen und diese kritisch hinterfragen, als einem radikalen Impfpropagandisten so eine Platform bieten.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für «10 vor 10» antwortete Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter der Sendung:
Mit Mail vom 22. Februar 2020 hat Herr X eine Beanstandung gegen die Sendung 10v10 vom 21. Februar eingereicht. Er kritisiert, dass die Sendung tendenziös über die Ansichten von Impfgegnern berichtet und die Gründe gegen eine Impfung nicht angesprochen habe (Beitrag ab 06:05 und Studiogespräch ab 11:45)
Die Redaktion nimmt zur Beanstandung wie folgt Stellung.
Kontext des Beitrages und des Studiogesprächs
Das Fokusthema, also der Schwerpunkt, der Sendung 10v10 vom 21. Februar geht einer Frage nach, die in medizinischen Kreisen und darüber hinaus immer wieder diskutiert wird: Sollten sich die Ärzte und das Pflegepersonal gegen die saisonale Grippe vermehrt impfen, um die Patientinnen und Patienten im Spital vor einer möglichen Ansteckung zu schützen. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt eine solche Massnahmen seit Jahren: <Die Grippe (= Influenza) ist im Winter eine häufige Infektionskrankheit. Das Risiko einer Erkrankung und von Komplikationen lässt sich durch eine Grippeimpfung im Herbst reduzieren. Empfohlen wird sie für bestimmte Risikogruppen und deren Kontaktpersonen.>[2]
Im dazugehörigen Merkblatt ‘Empfehlung Grippeimpfung PDF’/ ‘Die saisonale Grippeimpfung wird empfohlen für:’ des BAG wird das medizinische Personal explizit erwähnt: <Die Grippeimpfung ist insbesondere empfohlen für alle Medizinal- und Pflegefachpersonen, alle im paramedizinischen Bereich tätigen Personen, Mitarbeitende von Kinderkrippen, Tagesstätten sowie Alters- und Pflegeheimen, inklusive Studierende sowie Praktikantinnen und Praktikanten.>[3]
Im dazugehörigen Merkblatt (PDF) ‘Acht Argumente für die Grippeimpfung der Fachpersonen im Gesundheitswesen’ führt das Bundesamt für Gesundheitswesen (BAG) unter Punkt 4 Folgendes aus: <Mit einer Grippeimpfung schützen Fachpersonen im Gesundheitswesen ihre Patientinnen und Patienten vor einer Ansteckung und vor Komplikationen. Einige Menschen haben aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes ein erhöhtes Risiko für Komplikationen bei einer Grippeerkrankung. Deren regelmässige Kontaktpersonen, sei es in der Familie oder im Beruf, können diese Menschen mit Grippe anstecken. Wenn Fachpersonen im Gesundheitswesen gegen Grippe geimpft sind, stellt dies einen indirekten und meist wirksamen Schutz für die älteren, ganz jungen oder gesundheitlich geschwächten Menschen dar, mit welchen sie in Kontakt sind. Die Mehrheit der dazu durchgeführten wissenschaftlichen Studien belegt diesen Sachverhalt.>[4]
Bei einzelnen Anwendungen funktionieren die direkten Links zu den beiden Merkblättern nicht. Deshalb fügen wir hier nochmals den Link des BAG an; die erwähnten Merkblätter finden sich unter Dokumente.[5]
Auch der Schweizer Berufsverband der Pflegefachmänner und Pflegefachfrauen (SBK) äussert sich positiv zu den Impfempfehlungen des Bundes. Im St.Galler Tagblatt vom 3. April 2018 beispielsweise wird Roswitha Koch, Leiterin Abteilung Pflegeentwicklung beim SBK wie folgt zitiert: <Wir unterstützen die Impfempfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit und empfehlen dem Pflegepersonal auch, sich impfen zu lassen.>[6]
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva äussert sich ebenfalls mit einer Empfehlung zu Impfungen des Personals im Gesundheitswesen: <Die Impfung vor allem der Mitarbeitenden des Pflegedienstes und des ärztlichen Dienstes ist jedoch empfehlenswert, weil sie das Erkrankungsrisiko für die Patienten wie auch für die Arbeitnehmenden verringert.> [7]
Unbestritten ist auch, dass sich jedes Jahr Patientinnen und Patienten im Spital an der Grippe anstecken und daran sterben. Experten schätzen, dass dies 100 bis 300 Todesfälle verursacht, wie Zahlen des Uni Spitals Genf und Auswertungen des Baslers Medizinprofessors Andreas Widmer, Präsident der Schweizer Spitalhygiene Vereinigung Swissnoso, belegen. [8]
Fokus der Sendung
Aufgrund der oben dargelegten Fakten hat SRF den Fokus auf die Impfquote und die Impfbereitschaft des Personals im Gesundheitsbereich gelegt. Basis für die Berichterstattung war eine Umfrage bei Schweizer Spitälern, durchgeführt von SRF-Datenjournalisten. 90 Spitäler haben sich an der Umfrage beteiligt. Impfquoten von Spitälern werden nicht systematisch erfasst, bestimmte Spitäler legen diese nicht offen. Darum bietet eine solche Umfrage einen wertvollen Einblick über die Impfrate des medizinischen Personals.
Auffallend war bei den Ergebnissen der Umfrage, wie gross die Unterschiede sind zwischen Ärzteschaft und Pflegepersonal. Warum ist die Impfquote beim Pflegepersonal deutlich tiefer? Welche Bemühungen unternehmen die Spitäler? Diesen Fragen ist 10v10 im Bericht und dem anschliessenden Studiogespräch nachgegangen.
Der Beanstander kritisiert, dass rationale Gründe gegen Impfungen wie etwa allfällige Nebenwirkungen von Impfungen, nicht thematisiert worden seien. Im Beitrag ging es erstens nicht um eine Auseinandersetzung um Wirkung und/oder Nebenwirkungen von Grippeimpfungen. Zudem bleibt der Beanstander zweitens sehr vage; seines Wissens gebe es sogar Anzeichen, <dass Impfungen grossflächig für Allergien und Autoimunerkrankungen verantwortlich sein könnten> Es geht nicht um die breite Palette von Impfungen, sondern einzig und allein um die Impfung gegen die jährlich auftretende saisonale Grippe.
Die Redaktion 10v10 hält sich in diesem Punkt an die wissenschaftlich gestützten Aussagen des BAG: <In bis zu 25 % können nach der Impfung an der Einstichstelle kurzzeitig Schmerzen oder eine Rötung auftreten. Bei rund 5 % treten vorübergehend erhöhte Temperatur, Muskelschmerzen oder ein leichtes Krankheitsgefühl auf. Schwere unerwünschte Wirkungen sind nicht nur äusserst selten, sondern sind auch um ein Vielfaches seltener als die Komplikationen im Fall einer Grippeerkrankung.>[9]
Die Redaktion hat im Rahmen der in der Verfassung (Art. 93, Abs.3 BV) und im Gesetz (Art. 6, Abs. 2 RTVG) verankerten Programmautonomie einen bestimmten Aspekt der ganzen Grippe-Impf-Thematik herausgegriffen, nämlich die Impfrate des medizinischen Personals.
Auftretende Personen
Angesichts der tiefen Impfrate beim Pflegepersonal war es der Redaktion daher ein Anliegen, gerade auch die Stimmen der Pflegenden selber zu diesem Thema zu hören. Aus diesem Grund haben wir in beiden Spitälern, die wir besucht haben, bei den Pflegenden je eine impfkritische Stimme und eine Befürworterin der Impfung zu Wort kommen lassen. Als Argument aus der Sicht der Pflegenden wurden erwähnt: Ein Pfleger verzichtet auf eine Impfung, weil er noch nie an einer Grippe erkrankt ist (08.20), eine zweite Pflegefrau verzichtet auf die Impfung, wendet aber immer eine Gesichtsmaske an (10:13), wie sie vom Spital Zofingen für jene Personen verordnet wurde, die sich nicht impfen lassen wollen.
Die Aussage, wonach die Impfkritische Haltung durch ‘weltanschauliche und religiöse Gründe’ geprägt ist, stammt von Chefarzt Theodor von Fellenberg. Er äussert hier seine Ansicht auf die Frage, warum sich das Pflegepersonal nur selten impfen lässt – trotz grosser Informations-Bemühungen durch das Spital. Das Publikum kann diese wertende Aussage als sehr persönliche Ansicht klar dem Chefarzt zuordnen; er sagt auch explizit ‘..aus meiner Sicht...’. Am Schluss des Beitrages wird darauf hingewiesen, dass für alle Befragten im Beitrag ein Impfzwang nicht zur Diskussion steht. Der Vorwurf, wir hätten einem ‘radikalen Impfpropagandisten’ eine Plattform geboten, können wir nicht nachvollziehen. Der Spital-Chefarzt schildert zu Beginn des Beitrags sachlich, welche Auswirkungen es haben kann, wenn sich Pflegende nicht impfen lassen (<Je höher die Impfrate ist, desto kleiner ist die Ansteckungsgefahr für unsere Bewohner vom Pflegheim und für die Patienten im Akutspital>).
Zum nachfolgenden vertiefenden Gespräch haben wir Dunja Nicca eingeladen. Sie ist ehemalige Pflegefachfrau und forscht an der Universität Zürich unter anderem zur Frage der Impfquote beim Pflegepersonal. Sie gibt differenziert und basierend auf ihrer Forschung Auskunft. Das Gespräch trägt dazu bei, die Position der Pflegenden besser zu verstehen. Dunja Nicca verweist zum Beispiel auf eine selber durchgeführte Befragung unter Pflegenden, die gezeigt hat, dass es allen Pflegenden ein Anliegen sei, die Patienten vor Grippeviren zu schützen. Impfen sei eine der Massnahmen. Zudem betont sie, dass ein Impfzwang nicht zur Diskussion steht und auch nicht angemessen wäre. Sie setzt sich für eine aktive Auseinandersetzung über das Thema ein.
Fazit
Der Beitrag und das anschliessende Studiogespräch haben die Frage der Impfquote beim medizinischen Personal in Spitäler sachgerecht und faktenbasiert behandelt. Sowohl Pflegende, die sich impfen liessen, als auch solche, die darauf verzichtet haben, kamen angemessen zu Wort.
Pointierte Aussagen sind klar als persönliche Meinung des Interviewpartners zu erkennen.
Das Publikum kann sich aufgrund des Beitrages und des Studiogesprächs unvoreingenommen eine Meinung zum Thema Impfrate beim Gesundheitspersonal machen.Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.»
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Es gab ihm Rahmen von Radio und Fernsehen SRF schon viele Sendungen, in denen Befürworter und Gegner des Impfens zu Wort kamen (Beispiele: SRF News, 24.4.2019; «Rundschau», 24.4.2019; «Club», 7.5.2019). Hier war der Fokus auf der Frage, ob sich das Pflegepersonal in Spitälern und Heimen nicht impfen sollte, um die Patientinnen und Patienten vor der Ansteckung mit Grippe zu schützen. Diesen Fokus zu wählen liegt in der Programmautonomie der Redaktion. Der Beitrag war faktengestützt und differenziert. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-21-02-2020?id=4f39d7dc-839c-456d-99fe-4c4d31ac0a83
[2] https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/grippe.html
[3] file:///D:/Daten/Downloads/empfehlungen-grippeimpfung-kurz-de.pdf
[4] file:///D:/Daten/Downloads/fsh-argumentarium-grippeimpfung-hcws-de.pdf
[5] https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/grippe.html
[6] https://www.tagblatt.ch/schweiz/praevention-grosse-debatte-um-kleinen-stich-spitalangestellte-lassen-sich-nicht-impfen-ld.704994
[7] http://www.sohf.ch/Themes/Vaccinations/2869_34_D.pdf
[8] https://www.unispital-basel.ch/fileadmin/unispitalbaselch/Medien/Medienspiegel/20150104_medienspiegel_soz_grippfeimpfung.pdf
[9] https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/krankheiten/krankheiten-im-ueberblick/grippe.html
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