«Tatort»-Sendung «Ich habe im Traum geweinet» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 23. Februar 2020 beanstandeten Sie den Spielfilm «Tatort» («Ich habe im Traum geweinet»), den Fernsehen SRF am gleichen Tag ausgestrahlt hatte.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher darauf eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
«Das im Tatort gezeigte Frauenbild ist diskriminierend. Die Würde der dargestellten Frauen wird mehrfach verletzt. Demgegenüber wird der Mann derart dargestellt, dass er die Frau so behandeln kann. Dieses Bild widerspricht dem verfassungsmässigen Recht auf Gleichstellung. Die Sendung ist darüber hinaus kein journalistischer Beitrag und versucht aufzuzeigen, was 2020 Realität sein könnte. viel mehr soll es eine Unterhaltungssendung sein. Umso schwerwiegender wiegt der Verstoss.»
B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Die Antwort kam von Herrn Heinz Schweizer, Redaktionsleiter Einkauf Fiktion, Factual und Einsatzprogramme bei Fernsehen SRF:
«Mit Schreiben vom 9. März 2020 haben Sie uns die Beanstandung von Herrn X aus Chur zur Sendung ‘Tatort – Ich habe ich Traum geweinet’ (Ausstrahlung vom Sonntag, 23.02.2020 um 20.05 Uhr auf SRF 1) zugestellt. Gerne nehmen wir als verantwortliche Redaktion Einkauf Fiktion, Factual und Einsatzprogramme dazu Stellung. Die Fernseh-Krimireihe ‘Tatort’ mit jährlich rund 40 neuen Fällen ist eine Gemeinschaftsproduktion von ARD, ORF und SRF und seit bald 60 Jahren im Programm dieser Sender. SRF produziert pro Jahr zwei eigene ‘Tatort’-Folgen, übernimmt aber alle von den Sendern der ARD und dem ORF hergestellten Produktionen, die jeweils auf allen drei Sendern gleichzeitig am Sonntagabend zur Hauptsendezeit erstausgestrahlt werden. Der ‘Tatort’ vom 23. Februar wurde von unseren Kollegen vom Südwestrundfunk (SWR) für die ARD produziert. Auf die Inhalte solcher fremdproduzierten Folgen hat SRF keinen redaktionellen (formalen oder inhaltlichen) Einfluss. Dennoch übernehmen wir als ausstrahlender Sender selbstverständlich die Verantwortung. Nathalie Jancso, in unserer Redaktion zuständig für die fremdprozierten ‘Tatort’-Folgen, nimmt zur Beanstandung wie folgt Stellung:
<Als zuständige Redaktorin gehe ich gerne auf Ihre Bitte um eine redaktionelle Stellungnahme zur Beanstandung von Herrn X ein. Herr X hat am ‘Tatort – Ich habe im Traum geweinet’ kritisiert, dass die ‘Würde der dargestellten Frauen mehrfach verletzt’ und damit dem verfassungsmässigen Recht auf Gleichstellung widersprochen wurde. Und dass dieser Verstoss umso schwerer wiegt, als dass die Sendung kein journalistischer Beitrag, sondern eine Unterhaltungssendung ist.
Ich möchte vorausschicken, dass uns bewusst ist, dass die Gewalt in Krimis generell zunehmend expliziter dargestellt wird. Der ‘Tatort’, ob nun von SRF oder der ARD respektive dem ORF produziert, muss in allen drei Ländern hinsichtlich des Jugendschutzes grundsätzlich für Zuschauende ab 12 Jahren freigegeben sein. Bei den deutschen und österreichischen ‘Tatort’-Folgen orientiert sich SRF an den Altersfreigaben der ARD und ihrer internen Jugendschutzkontrolle.
Uns ist jedoch klar, dass über formale rechtliche Regelungen hinaus jeder Mensch unterschiedliche Interessen und Sensibilitäten besitzt und damit auch ganz persönliche Grenzwerte bezüglich der Gewaltdarstellung im Fernsehen bestehen. Dieselbe Gewaltdarstellung ruft bei unterschiedlichen Rezipienten verschiedene Reaktionen hervor. Im Fall von ‘Tatort – Ich habe im Traum geweinet’ ist die Gewalt explizit gegen Frauen, eine Frau im Besonderen, gerichtet und sie geht hauptsächlich von Männern aus. Wir gehen mit Ihnen einig, dass die Würde der dargestellten Frau mit Füssen getreten wird.
Der Film zeigt damit aber auch exemplarisch, was noch immer eine traurige Tatsache in der Realität ist, trotz des Rechts auf Gleichstellung: Gewalt gegen Frauen existiert. ‘Tatort – Ich habe im Traum geweinet’ gehört in eine lange Reihe von engagierten und aufrüttelnden ‘Tatort’-Folgen der vergangenen Jahrzehnte. Die Macher der Reihe haben sich seit den Anfängen darum bemüht, den sonntagabendlichen Krimi als Abbild der Gesellschaft zu sehen und zu inszenieren, und damit auch Missstände aufzuzeigen, wie hier die Gewalt an Frauen. Und gerade weil der ‘Tatort’ kein journalistischer Beitrag, sondern ein fiktionales Werk ist, ist es den Autoren freigestellt, dafür die fiktionale Freiheit ausnützen. Sie sind somit nicht der Ausgewogenheit und den Fakten verpflichtet, wie es Journalisten sind, sondern müssen versuchen, eine in sich schlüssige Geschichte zu erzählen, mit Figuren, die als handelnde Personen überzeugen.>
Weil die beanstandete ‘Tatort’-Folge das Publikum diesseits und jenseits der Grenze zu kritischen, teils heftigen Rückmeldungen veranlasst hat, wollten wir ausnahmsweise auch die Einschätzung der beim SWR zuständigen Kollegin einholen. Nachfolgend deshalb auch eine Stellungnahme von Frau Katharina Dufner, verantwortliche ‘Tatort’-Redakteurin beim SWR:
<Wir arbeiten im Tatort immer wieder gern auch mit Regisseur*innen zusammen, die für besondere Erzählweisen und Handschriften stehen. Deshalb haben wir uns bewusst für Jan Bonny und diese ungewöhnliche Geschichte entschieden. Es lag keineswegs in unserer Absicht, Zuschauer*innen zu empören oder zu verstören und es tut uns leid, wenn dieser Tatort Sie nicht unterhalten, sondern geärgert hat. Der Film erzählt in der besonderen Handschrift des Regisseurs eine erfundene Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen und Konflikte, die hier während der alemannischen Fasnacht am Höhepunkt der fünften Jahreszeit auf zugespitzte Art und Weise in der Krimihandlung ausgetragen werden.
Die sogenannten Sexszenen sind nicht vordergründig auf Schaueffekte hin inszeniert, sondern charakterisieren auf ungewöhnliche, gleichwohl sehr offene Weise die Not der Figuren. Sie sind sehr persönlich, intim, fordern unsere Zuschauer*innen sicher über den Rand üblicher Sehgewohnheiten hinaus. Allerdings in einem aus unserer Sicht vertretbaren Maß.
Die Hauptfigur im Tatort ist eine Frau, die früher in Karlsruhe im Escort-Service gearbeitet hat. Nun kommt sie zu Beginn des Films wieder in Kontakt mit einem Mann, der ihr Gewalt antut. Aus dieser Gewaltszene rührt unsere Angst um sie, aus der Häufung dieser gewalttätigen, übergriffigen Begegnungen entsteht in der Folge dann der Mord. Diese Szenen sind im Film schwer auszuhalten, aber machen deutlich, was für die Hauptfigur auf dem Spiel steht, unter welcher Bedrohung sie leidet. Das erklärt ein Stück weit ihr Handeln im weiteren Verlauf des Films.>
Als öffentlich finanzierter Sender sind wir uns bei SRF der besonderen Verantwortung gegenüber unserem Publikum bewusst. Genauso, wie unsere Kollegen und Kolleginnen der öffentlich-rechtlichen Sender von ARD und ORF. Und wir können, wie schon erwähnt, absolut nachvollziehen, dass die ‘Tatort’-Folge vom 23. Februar bei einzelnen Zuschauenden auf Irritation oder gar Ablehnung gestossen ist. Auch innerhalb unseres Teams gibt es dazu ganz unterschiedliche Meinungen. Wir haben daher auch die Online-Verfügbarkeit dieser einen ‘Tatort’-Folge erst ab 20.00 Uhr abends für jeweils zehn Stunden freigeschaltet. Wir möchten aber abschliessend auch daran erinnern, dass es sich beim ‘Tatort’ um ein rein fiktionales Programm handelt, für das die verfassungsrechtlichen Vorgaben wie die Gleichbehandlung der Geschlechter im Einzelfall nicht anwendbar sind. Wir bitten Sie daher, die Beanstandung abzulehnen.>
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des Films. Die 1121. «Tatort»-Episode «Ich habe im Traum geweinet» von Jan Bonny, im Titel angelehnt an ein Gedicht von Heinrich Heine, wurde vom Südwestrundfunk (SWR) in Baden-Baden produziert. SRF hatte keinen Einfluss auf die Entstehung des Films. Er wurde von deutschen Kritikern sehr gelobt. Allerdings sahen Kritiker voraus, dass der Film wahrscheinlich beim Publikum durchfallen werde: «Die Ermittler werden nicht nur beim Fasching, sondern vermutlich auch vom ARD-Stammpublikum eine Menge Prügel einstecken müssen», denn es handle sich um «eine der provokantesten und skandalträchtigsten ‘Tatort’-Folgen aller Zeiten».[2] Was dann auch der Fall war: Das Publikum reagierte teilweise angewidert.[3]
Ich reagiere ähnlich wie offenbar das durchschnittliche Publikum: Ich habe sehr viele Vorbehalte gegen diesen «Tatort»: Man weiß zwar, dass die Fasnacht eine «Herrschaft des Andern» ist: Die «Untertanen» setzen für drei Tage die «Obrigkeit» ab und sagen ihr verkleidet die Meinung, die Frauen stürzen vorübergehend die Vormacht der Männer («Weiberfasnacht»), und auch sonst ist vieles unter der Verkleidung enthemmt. Die alemannische Fasnet scheint zusätzlich alle Moralregeln außer Kraft zu setzen. Dass aber Frauen und Männer die Fasnet nutzen, um derart proll und widerwärtig herumzuvögeln und dass dies im «Tatort» in aller Direktheit gezeigt werden muss, stößt ab. Immerhin lassen sich nicht nur diejenigen gehen, gegen die dann ermittelt wird, sondern auch die Ermittler. Die Fasnet macht offensichtlich alle gleich: gleich hemmungslos und gleich primitiv.
Stellt sich die Frage, ob SRF auf die Ausstrahlung des Films ganz hätte verzichten sollen. Ein Film ist ein Kunstwerk. In der Kunst ist die Freiheit immens, und zu dieser Freiheit gehört auch, das Sittengemälde einer ländlichen Gegend in drastischen Bildern zu malen. Das tat der Film. Er war dabei nicht provokanter als manche Theateraufführung. Solche Provokationen sollte man der Kunst zubilligen. Andernfalls kann man das Theater auch verlassen oder den Fernsehapparat abschalten.
Dennoch stellt sich die Frage, ob Fernsehen SRF durch die Ausstrahlung Artikel 4, Absatz 1 des Radio- und Fernsehgesetzes verletzt hat. Dort steht:
«Alle Sendungen eines Radio- oder Fernsehprogramms müssen die Grundrechte beachten. Die Sendungen haben insbesondere die Menschenwürde zu achten, dürfen weder diskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen noch die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen.» [4]
Es trifft zu, dass alle Sendungen von Radio und Fernsehen (also nicht nur Informationssendungen, sondern auch Unterhaltungssendungen) die Grundrechte einhalten müssen. Zu den Grundrechten gehört auch die Achtung der Menschenwürde und die Respektierung der Gleichstellung von Mann und Frau. Die Bestimmung des Radio- und Fernsehgesetzes meint aber, dass die Journalistinnen und Journalisten in ihren Analysen, Kommentaren und Moderationen nicht diskriminierend gegenüber Dritten sein dürfen. Es meint nicht, dass SRF nicht über Verletzungen der Grundrechte berichten darf. Das «Echo der Zeit» darf durchaus darüber berichten, dass in einem orientalischen Land eine Frau wegen Ehebruchs gesteinigt wurde. Die «Tagesschau» darf darüber berichten, dass im Gefängnis von Guantanamo gefoltert wurde. Erst recht darf ein fiktionaler Film zeigen, wie brutal in einer ländlichen Gegend Baden-Württembergs Männer mit Frauen umgehen. Dokumentarische oder fiktionale Berichte über Verletzungen von Grundrechten verstoßen nicht gegen die Vorschrift, Grundrechte seien einzuhalten.
Im Zusammenhang mit diesem Film könnte indes der Punkt relevant sein, dass Fernsehen SRF mit der Ausstrahlung die öffentliche Sittlichkeit gefährdet haben könnte. Wann wäre das der Fall? Es wäre vielleicht dann der Fall, wenn SRF in einer Informationssendung (beispielsweise in einem Gesundheitsmagazin) dazu raten würde, die Leute sollten jederzeit auch in der Öffentlichkeit Sex haben, wenn sie dazu Lust haben, also im Einkaufszentrum, auf dem Bahnsteig, im Tram, in der Schalterhalle der Bank usw. Das würde die öffentliche Sittlichkeit gefährden. Es ist aber nicht der Fall, wenn ein Film, der in den Bereich der Fiction gehört, Sexszenen zeigt.
Zu prüfen ist weiter, ob Fernsehen SRF die eigenen Kinder- und Jugendschutzrichtlinien beachtet hat.[5] Unter Punkt 4.4.1. steht:
«Ab 20 Uhr beginnt das Programm, welches sich grundsätzlich an ein mündiges oder beaufsichtigtes Publikum wendet. Entsprechend können in Sendungen Szenen mit heiklen Inhalten vorkommen. Die Verantwortlichen von SRF achten darauf, dass die Inhalte einem Publikum ab 12 Jahren zugemutet werden können.»
Dieser Film ist offenbar noch nicht bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) in Deutschland vorbeigekommen. Sieht man jedoch die Liste der «Tatort»-Filme durch, die die FSK bewertet hat, so war bisher die Höchstgrenze immer 12 Jahre.[6] Damit war es unproblematisch, den Film nach 20 Uhr auszustrahlen (auch wenn man sich über die Kriterien der FSK manchmal ein wenig wundert).
Der Film war dramaturgisch und schauspielerisch sicherlich anspruchsvoll. Er zeichnete ein Sittenbild ländlich-kleinstädtischer Milieus im Schwarzwald. Er war nicht subtil, sondern direkt: Er deutete Sexszenen nicht nur an, sondern setzte sie ungehemmt ins Bild. Er holte sich in der Fachwelt geradezu begeisterte Kritiken, stieß aber bei einem beträchtlichen Teil des Publikums auf Ablehnung. Er diskriminiert jedoch nicht einfach die Frauen, wie Sie kritisieren. Vielmehr zeigt er übergriffige, zum One Night Stand und zur Gewalt neigende Männer und Frauen.
Zusammenfassend: Ich kann Ihre Verstörung verstehen. Aber: Der Film ist ein Kunstwerk, das die Kunstfreiheit beansprucht. Er zeigt Grundrechtsverletzungen, aber diese gehen nicht von Journalistinnen und Journalisten aus. Er gefährdet die öffentliche Sittlichkeit nicht. Er hält die Kinder- und Jugendschutzbestimmungen ein, und um sicher zu gehen, hat die Redaktion die Abrufbarkeit des Films in der Mediathek zeitlich limitiert. Ich kann daher, trotz allem Verständnis für ihre Kritik, Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen,
Roger Blum, Ombudsmann
[1] https://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/videos/ich-hab-im-traum-geweinet-video-102.html
[2] http://www.filmstarts.de/kritiken/272235/kritik.html
[3] https://tatort-fans.de/tatort-folge-1121-ich-hab-im-traum-geweinet/
[4] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
[5] https://www.srf.ch/hilfe/rechtliches/kinder-und-jugend-medienschutzrichtlinien
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