Verführung der Massen
Er hat einen durchdringenden Blick, eine hohe Stirn, einen schmalen Mund und bei genauem Hinschauen ein leicht windschiefes Gesicht. Seine physische Konstitution liess es nicht zu, dass er sich an den Kampfhandlungen des Ersten Weltkrieges beteiligen konnte. Er hätte dies gerne getan und beschrieb es als «Schmerz, dass ich nicht mitkann». Es gelang diesem schmächtigen Mann zwanzig Jahre später, eine neue Waffengattung zu schaffen und die Kriegsberichterstattung neu zu erfinden. Er ist Joseph Goebbels.
Goebbels war Propagandist durch und durch. Ihm war jedes Mittel recht, die Botschaften der Nationalsozialistischen Partei zu vermitteln: angezettelte Schlägereien oder von Lastwagen geschriene Texte gehörten ebenso dazu wie Schmeicheleien, Lügen und Hetze. Wenn es sein musste, beherrschte er auch das Subversive. Er verfolgte seinen Plan der Volksverführung systematisch, rücksichtslos und trieb die Propagandamaschinerie bis zum Äussersten.
Das publizistische Konzept von eingebetteten Propagandatruppen und mit ihm auch die Grenzen der gelenkten Kriegsberichterstattung lassen sich anhand der Kriegspropaganda des Dritten Reichs bildhaft aufzeigen. Gerade in Zeiten von Social Media ist dies heute aktueller denn je. Mit Fake News sind auch die Mechanismen der Propaganda und die Quellenkritik durch Medienkonsumenten wieder ins Bewusstsein gerückt. Wem kann ich was glauben, wer verfolgt mit seinen Statements welche Interessen? Was machen Bilder und Filmbeiträge mit mir und wer will mich mit seinen Äusserungen beeinflussen oder gar manipulieren?
Als im Mai vor 75 Jahren die Waffen in Europa endlich schwiegen, endete auch eine in solchem Umfang vorher nie dagewesene Operation der Kriegspropaganda. Die nationalsozialistische Führung und mit ihr Propagandaminister Goebbels führten nicht nur Krieg an der Front. Sie schufen bewusst eine Heimatfront, an der sich eine gezielt modellierte Fassung des Krieges abspielen sollte. «Man kann sagen, dass der Faschismus der alten Kunst, zu lügen, gewissermassen eine neue Variante hinzugefügt hat – die teuflischste Variante, die man sich denken kann – nämlich das Wahrlügen,» beschrieb die Philosophin Hannah Arendt dieses Phänomen.
Die erste Schlacht galt es für die Führung des nationalsozialistischen Regimes an der Heimatfront zu gewinnen. Dazu änderte diese nach der Machtergreifung 1933 bewusst ihre Erscheinung. Symbolisch dafür ist die Wandlung Goebbels vom «Lederjackenmann», der von Lastwagen zu Gefolgsleuten redete, hin zum galant gekleideten Minister, mit einer Vorliebe für weisse Anzüge. Durch die Gleichschaltung aller Vermittlungsangebote wurde aus dem oppositionellen Instrument eine instrumentalisierte Informations-, Unterhaltungs- und Kulturzensur. Das Ziel war die geistige Kontrolle, in der Medien- und Kulturkonsum automatisch auch Indoktrinierung war. Dies galt ab Kriegsausbruch auch für die Berichterstattung rund um die Handlungen im Feld und an der Front.
Um das angestrebte Bild des Krieges schaffen zu können, ging Goebbels mit seinem «Reichsministerium für Volksaufklärung» neue Wege. Die Zensur setzte nicht, wie bis dahin üblich, erst dann an, wenn Bild und Tondokumente bereits existierten. Sie liess an der Front auch gezielt Material im Sinne des angestrebten Zwecks produzieren. Ein Abkommen zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und dem Propagandaministerium setzte die Propaganda den herkömmlichen Waffen als Kriegsmittel gleich. Damit wurden Soldaten geschaffen, die «mit Pistole, Handgranate, Gewehr, MG genauso umzugehen verstehen wie mit Schreibmaschine, Fotoapparat, Filmkamera und Rundfunkgerät». Die Rolle des neuartigen Soldaten, beschrieben in einem Handbuch des OKW, sei zudem «ein Instrument der modernen Staatsführung».
Die eigens geschaffenen Propagandakompanien (PK) agierten gemeinsam mit der Wehrmacht an allen Kriegsschauplätzen und lieferten Text-, Bild-, Film- und Tonmaterial zurück in die Heimat. Bis 1943 wuchs die Truppe auf 15000 sogenannter PK-Männer an. Allein die Kameramänner unter ihnen lieferten bis Herbst 1944 über fünf Millionen Meter Film und dreieinhalb Millionen Fotografien zurück ins Ministerium nach Berlin. Dort wurde das Material gesichtet, freigegeben und verteilt.
Mit der auf die modernen Massenmedien zugeschnittenen Aufbereitung erzeugte das Regime Kriegserlebnisse fernab der Front, die eine Nähe zum Geschehen suggerierten. Der Zugang zu Information war generell auf Kanäle beschränkt, die vom Regime kontrolliert wurden; ausländische Medien konnten, wenn überhaupt, nur punktuell genutzt werden. Zudem war der Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln wie Radio und Kino neu. Vielen fehlte die für eine wirksame Quellenkritik zentrale innere Distanz zum Absender. Vor allem in den ersten Kriegsjahren gelang es der Propaganda, Begeisterung für den Krieg zu schüren und den Wunsch der Daheimgebliebenen, es möge den Soldaten gut gehen, gezielt zu bedienen.
Bei Kriegsausbruch waren über zwölf Millionen deutsche Haushalte mit einem Volksempfänger ausgestattet und somit für den Rundfunk direkt erreichbar. Kurz nach der Machtergreifung trieb das Regime die Entwicklung eines günstigen Radioempfängers voran, um die Erreichbarkeit der Massen zu steigern. Dadurch konnte die Berichterstattung von Anfang an den Krieg als Erlebnis in die Stuben der Menschen im Reich tragen.
Mit dem Krieg gewann auch die Wochenschau an Einfluss. Als Vorläufer der Fernsehnachrichten fasste sie das aktuelle Geschehen in der Welt zusammen. Ende Oktober 1938 schrieb Goebbels diese Beiträge vor Spielfilmen im Kino als zwingend vor, zwei Jahre später richtete das Regime eigene Wochenschau-Kinos ein. Die Filmbilder vermittelten ein Gefühl der Augenzeugenschaft und fügten dadurch eine qualitativ neue Dimension des Erlebens hinzu. Als eindrucksvolles Stilelement fand auch der noch junge Tonfilm in den Wochenschauen Verwendung. Die Gesamtwirkung ergab sich aus der perfekten Komposition von Kommentar, Musik, Montage und authentischer Untermalung mit Originaltönen. Sogenannte Milieuaufnahmen zeigten das Leben hinter der Front, die Versorgung der Soldaten und deren Freizeitgestaltung.
Ein PK-Mann erinnerte sich, im Februar 1940 auf Weisung des Propagandaministeriums «ein Riesenprogramm zu filmen, um der Bevölkerung daheim zu zeigen, wie vorzüglich die Truppe an der Front versorgt wird. Wir besuchten mit unseren Kameras Lazarette und Krankenstuben, in denen sich hübsche Schwestern um Soldaten bemühten. Überall Lächeln und blitzblanke Sauberkeit».
Während der Erfolge der ersten Kriegsjahre stand der unaufhaltsame Vormarsch im Zentrum der Kriegspropaganda. Die Inszenierung des Krieges als höchster männlicher Tugend zeigte den Wehrmachtssoldaten als modernen «Facharbeiter des Krieges» und stellte den Krieg dadurch als eigenständigen, technisch-industriellen Arbeitsbereich dar. Dies geschah gezielt auch aus der Vogelperspektive. So wurde der Blitzkrieg zum Krieg ohne Menschen und ohne Opfer – zu einem sauberen Krieg. Neben konventionellen Darstellungen vom ordentlichen, militärisch durchorganisierten und geregelten Krieg sah das Publikum zuhause den Krieg ganz im Geiste der Zeit als sportives Ereignis.
Die im Vergleich zu anderen Ländern gute Versorgungslage trug in den ersten Kriegsjahren das Ihre dazu bei, dass das Bauchgefühl mit dem Gezeigten übereinstimmte. Satt, sauber und erfolgreich – das war man auch zuhause abseits der Kampfhandlungen. Als Gegenbild zum ordentlichen und hygienischen nationalsozialistischen Krieg fungierte das Bild von Zerstörung, Unordnung und Schmutz immer in Zusammenhang mit dem Gegner. Das Leiden, der Tod, die Angst, der Hunger und die Trostlosigkeit der eigenen Soldaten durften nicht gezeigt werden. Ebenso wenig fanden sich jedoch auch Bilder von gefallenen Gegnern. Der Tod schien im sauberen Krieg des Dritten Reiches inexistent. Nach der Niederlage in Stalingrad ging die Propaganda über in den totalen Kampf um die eigene, heile Welt. Der Einfluss von Volksempfänger und Wochenschau nahm stetig ab. Die Berichte von Soldaten an der Front, das Leiden in den ausgebombten Städten und die Flüchtlingsströme brachten das Elend vor die Haustüren und widerlegten die geschönten Darstellungen der Propaganda. Die Berichte des Regimes wirkten immer surrealer und führten zu steigendem Desinteresse. Die Realität holte die Heimatfront ein und die Grenzen des Einflusses der gelenkten Propagandakompanien wurden offensichtlich. In den letzten Kriegsjahren konzentrierte sich die Propaganda denn auch vermehrt auf das Schüren von Hoffnung und das Versprechen von neuen Wunderwaffen. Gleichzeitig stilisierte Goebbels gezielt das Schreckensgespenst der Niederlage. In seiner letzten Radioansprache am 20. April 1945 kommt dies bildhaft zum Ausdruck: «An den Mauern unserer Stadt wird und muss der Mongolensturm gebrochen werden. Unser Kampf wird das Fanal sein für den entschlossenen Kampf der ganzen Nation.»
Danach verstummte auch der schmächtige Mann mit dem stechenden Blick als letzter Scharfmacher für die nationalsozialistische Sache jener Zeit. Er war stets am Puls der technischen Entwicklung und nutzte neue Kommunikationsmöglichkeiten geschickt aus. Damit war er seiner Zielgruppe, die vor allem auch mit elektronischen Massenmedien wenig vertraut war, immer einen Schritt voraus. Es scheint undenkbar, sein Wirken abgekoppelt von der NS-Ideologie zu betrachten. Dennoch ist es leider immer noch wichtig, dies zumindest zu versuchen. Denn Goebbels hat technisch in perfekt durchorganisierter Manier aufgezeigt, wie es geht. 75 Jahre später durchdringt die massenmediale Erreichbarkeit die Gesellschaft wie nie zuvor. Auch wir können uns nur durch die innere Distanz zum eigenen Newsfeed und die bewusste Quellenkritik davor bewahren, auf gezielt modellierte Propagandageschichten reinzufallen.
Quellen / Literatur zum Thema
- Aly, Götz (2005): Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus. Frankfurt am Main.
- Hachmeister, Lutz / Kloft, Michael (2005): Das Goebbels-Experiment. Politik und Propaganda. München.
- Longerich, Peter (2010): Goebbels. Biografie. München.
- Paul, Gerhard (2004): Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn.
Podcast «Radio Retro»
Wie klang der Beginn des Zweiten Weltkriegs in der Medienberichterstattung der Schweiz? Und wie wurde das Kriegsende erlebt? «Radio Retro», der Podcast der SRG Deutschschweiz, beleuchtet in drei Spezialepisoden Erinnerungen von Schweizerinnen und Schweizern an den Zweiten Weltkrieg.
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