«Deville»-Sendung war mehr als Satire

Nachdem die SRF-Sendung «Deville» in der vergangenen Woche heftig kritisiert worden war, nehmen die Ombudsleute nun Stellung. Die Unausgewogenheit der Sendung bestreitet niemand, schreiben sie in ihrem Gastbeitrag in der Aargauer Zeitung.

Zwei gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Sender Europas sorgen gegenwärtig für Schlagzeilen: Die britische BBC und die schweizerische SRG. Die BBC soll Lady Di mit kriminellen Mitteln für ein Interview gewonnen haben. Dagegen wirkt das journalistische Vergehen, das «Deville» in seiner Satiresendung vom Sonntag, 22. November, begangen haben soll, geradezu harmlos: Er habe eine Woche vor der höchst umstrittenen Konzernverantwortungsinitiative während 35 Minuten und damit fast während der ganzen Sendung ebendiese Vorlage thematisiert. Mit unmissverständlicher Schlagseite zugunsten der Initiative. Die SRF-Medienstelle hielt am Tag nach der für Empörung sorgenden Sendung dagegen: Gemäss den Publizistischen Leitlinien müssten Beiträge in der Woche vor Abstimmungen zwingend ausgewogen sein. Bei «Deville» sei das zwar nicht der Fall gewesen, aber die Sendung sei ein Satireprogramm und kein Informationsformat, sodass die publizistischen Leitlinien für «Deville» nicht gelten würden.

Satire darf gemäss gängiger «Praxis» (fast) alles, wie die Ombudsstelle seit Jahren immer wieder betont. Beachten muss sie die Grundrechte – grobe Diskriminierungen gegen sexuelle oder religiöse Orientierung beispielsweise sind Grenzen, die auch für die Satire gelten. Einzelne der bei der Ombudsstelle eingegangenen Beanstandungen gegen «Deville» werfen ihm genau dies vor. Ob dies zutrifft, wird die Ombudsstelle innert der gesetzlichen Frist von 40 Tagen prüfen.

Erhöhte journalistische Sorgfaltspflicht gilt in den letzten sechs Wochen vor der Abstimmung auch für ein Satire-Programm

Wir Ombudsleute nehmen einen Tag nach der Abstimmung über die Konzerninitiative öffentlich Stellung zur am häufigsten gestellten Frage: Gelten für ein Satireprogramm grundsätzlich andere Bestimmungen als für Informationssendungen, wenn es um Abstimmungsvorlagen geht? Die Bereichsleitung «Entwicklung & Comedy» hat sich diesbezüglich am 25. November öffentlich gemeldet. Sie bezieht sich auf einen Schlussbericht des damaligen Ombudsmannes Roger Blum aus dem Jahre 2019. Am damaligen 5. Mai war eine Beanstandung gegen «Deville» eingegangen, der gleichentags das Waffengesetz zum Thema seines Satireprogrammes gemacht und sich satirisch für die Verschärfung ausgesprochen hatte. Die Volksabstimmung fand zwei Wochen darauf statt, am 19.Mai. Auf diesen Schlussbericht nimmt die Bereichsleitung «Entwicklung & Comedy» Bezug, wenn sie daraus zitiert: Ein Satiriker könne sich zu einem Abstimmungsthema nicht neutral äussern, satirische Stücke seien ja Kommentare. Ein Satiriker könne nur in den seltensten Fällen seine Hiebe gleichzeitig und gleichmässig auf beide Lager verteilen; meist reize das eine Lager mehr als das andere zum Spott. Es könne daher erstens kein Satireverbot bei Abstimmungsthemen und zweitens kein Gebot zur Ausgewogenheit geben. Im politischen Diskurs müsse man Spott aushalten können.

Im gleichen Schlussbericht hatte Roger Blum festgehalten, dass er in einem früheren Schlussbericht anders argumentiert habe. Die erhöhte journalistische Sorgfaltspflicht und das Vielfaltsgebot, wie sie in den Publizistischen Leitlinien von SRF festgehalten sind und die sich aus dem Sachgerechtigkeitsgebot von Art. 4 Abs. 2 des Radio- und Fernsehgesetzes ableiten, gälten in den letzten sechs Wochen vor einer Volksabstimmung auch für die Satire. Ansonsten könnten die in den Informationssendungen beachtete Ausgewogenheit durch Satiresendungen wieder ausgehebelt werden. Wenn man «die Sache aber zu Ende denkt», so Blum, «würde die Unterstellung der Satire unter die strengen Regeln der Abstimmungsberichterstattung letztlich zu einem Satireverbot bei Abstimmungsthemen gleichkommen».

Drei kurze Erklärungen

Wir können dieser Argumentation einiges abgewinnen. Allerdings lassen wir sie in dieser Striktheit nicht gelten, zumal der jetzt zu entscheidende Fall anders liegt: Zum einen gilt «Deville» zwar als Satireprogramm. Allerdings stellen auch «satireerprobte» Zuschauende fest, dass in «Deville» vom 22. November 2020 lange nicht alles wirklich als Satire daherkam. So erklärt Deville beispielsweise während knapp zehn Minuten auf höchst treffende Art und Weise die Geschichte der Konzernverantwortungsinitiative, angefangen bei den über 100 Organisationen, die sich im Jahr 2015 zusammengetan und die Initiative im Jahr 2016 eingereicht hatten – bis zur Erläuterung des Gegenvorschlages von Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Auszügen der Debatte aus den Räten. Dass «Deville» den Werdegang der Initiative und die «Ausdünnung» immer wieder mit satirischen Einwürfen auflockerte, vermag den Informationscharakter dieser Ausführungen nicht zu entkräften.

Zum Zweiten wurde die Satiresendung, deren Unausgewogenheit von niemandem bestritten wird, nicht etwa Wochen vor dem Abstimmungssonntag vom 29. November ausgestrahlt, sondern genau sieben Tage vorher. In Punkt 7.2 der Publizistischen Leitlinien von SRF heisst es: «In der Woche vor Abstimmungen müssen auch die einzelnen Beiträge (Erklärstücke, Diskussionssendungen zu den Vorlagen etc.) zwingend ausgewogen sein». Erfahrungsgemäss berichtet SRF in der Woche vor der Volksabstimmung nur noch dann über Vorlagen, wenn sich neue Entwicklungen ergeben, über die zwingend berichtet werden muss. «Deville» war somit die letzte ausführliche Sendung zur Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Und der letzte Eindruck ist bekanntlich ein prägender.

Zum Dritten verweist die Informationssendung «10vor10» vom 20. November auf die nächste «Deville»-Show. Zwar wird das Thema «Konzernverantwortungsiniative» nicht erwähnt. Aber «Deville» hatte in seiner Satiresendung vom 15. November explizit darauf hingewiesen, dass er eine Woche später die KVI zum Thema machen würde. Der TV-Konsument muss/darf also annehmen, dass «10vor10», dass bei der KVI auf Ausgewogenheit bedacht ist, bewusst auf eine naturgemäss unausgewogene Satiresendung zum Thema KVI hinweist.

Der ehemalige Ombudsmann Roger Blum erwähnt im Schlussbericht vom 14. Mai 2020, die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI habe noch nie prüfen müssen, welchen Regeln Satiren zu Abstimmungsthemen im zeitlichen Vorfeld von Volksabstimmungen unterworfen sind. Damit die UBI diesen wünschenswerten Entscheid fällt, braucht es 20 Unterschriften. Die angesichts der enormen Verärgerung, welche «Deville» am 22. November provoziert hat, locker zu sammeln wären.

Dieser Artikel erschien ursprünglich als Gastkommentar in der Aargauer Zeitung.

Text: Esther Girsberger und Kurt Schöbi (Aargauer Zeitung)

Bild: SRF/Oscar Alessio

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