«Nicht mehr Programm, sondern fokussierteres»

Zwei neue Abteilungen, Audience und Distribution, sind für die Umsetzung des neuen Betriebsmodells von «SRF 2024» kreiert worden. Im Interview erzählt Laura Köppen, erste Abteilungsleiterin Audience, wie neue Formate in Zukunft ins Programm kommen.

Zur Person Laura Köppen

Laura Köppen (34) arbeitet seit September 2015 bei SRF, zunächst als Projektleiterin in der TV-Forschung und später als Leiterin Strategische Projekte und Forschung. Zuvor war sie Referentin des Programmdirektors beim ZDF und Redaktorin Strategische Planung/Formatentwicklung bei ZDFneo. In diesen Funktionen entwickelte sie Angebote für ein junges Zielpublikum, analysierte TV-Markt und Nutzungsdaten und unterstützte unternehmens­ und programmstrategische Entscheide. Laura Köppen hat einen Bachelor in Medien­ und Kommunikationsmanagement und einen Master in Interkultureller Kommunikation und Wirtschaft. Sie war 2019–2020 Teil des operativen Projektteams im Transformationsprojekt «SRF 2024» und leitete ab Oktober 2020 «ad interim» den Aufbau der neuen Abteilung Audience. Per April 2021 wurde Laura Köppen Leiterin der Abteilung Audience und nimmt in dieser Funktion Einsitz in die Geschäftsleitung.

Laura Köppen, Sie sind die erste Leiterin der neu geschaffenen Abteilung Audience. Zu welcher Zielgruppe gehören Sie selbst?
Sicherlich zu derjenigen, die SRF heute leider zu we­nig erreicht. Wir brauchen mehr Angebote für junge Frauen, junge Menschen generell, die interessiert sind an der Gesellschaft und am politischen Geschehen, sich aber eine andere Form der Information wünschen. Eine Form, die digital ist, schneller, die über Personen lebt und nicht bierernst, sondern unterhaltsam ist.

Wie konsumieren Sie selbst Medien?
Es gibt wenige Formate, die ich täglich konsultiere, ich konsumiere querbeet. Bei der «Tagesschau» und beim «Echo der Zeit» schalte ich mich noch am ehesten regelmässig dazu, weil sie dann gesendet werden, wenn ich zum Beispiel am Kochen bin und Zeit habe, mich über den Tag zu informieren. Ich konsumiere allerdings fast alles über mein Handy, Videos on Demand oder Podcasts, alles, was mich gerade interessiert. Zudem nutze ich Instagram sehr viel.

Warum braucht SRF neu eine Abteilung Audience?
Die «Strategie 2024» von SRF sagt klar: Nutzende im Zentrum. Vorher gab es bereits eine Publikumsforschung, die nah dran war an der Direktion, jedoch weniger, wenn es um strategische Entscheidungen und Angebotsentwicklung ging. Um wirklich alle zu erreichen, ist es jedoch wichtig, dass die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen auch bei unternehmensstrategischen Fragen berücksichtigt werden. Durch die Abteilung Audience ist die Stimme der Nutzenden in der Geschäftsleitung integriert und damit in alle grossen Entscheidungen des Unternehmens.

Eine Stimme in der Geschäftsleitung, was heisst das konkret?
Als Leiterin der Abteilung bin ich Mitglied der Geschäftsleitung und halte bei allen Entscheidungen den Spiegel der Gesellschaft vor, was bewirkt, dass Diskussionen zunehmend nutzerorientiert geführt werden. So habe ich die Chance, Erkenntnisse aus unserer Abteilung bezüglich Zielgruppen und Bedürfnisse miteinzubringen.

Von wo weiss SRF, was die Bedürfnisse der verschiedenen Zielgruppen sind?
Wir haben unterschiedliche Quellen. Wir führen klas­sische Umfragen durch, aber auch Fokusgruppen­Interviews. Wenn wir zum Beispiel ein neues Literaturangebot entwickeln, befragen wir Literaturinteressierte, wie wir sie besser erreichen können. Weiter analysieren wir unsere Nutzungsdaten auf den TV­ und Radio­sendern, der Website und der App sowie Drittplattformen. Mit diesen Daten können wir genau anschauen, was gut ankommt, um welche Uhrzeit, bei welchen Nutzergruppen. Dadurch können wir unser Angebot verbessern: Einerseits inhaltlich, andererseits auch in der Distribution, weil wir wissen, wann welcher Inhalt auch wirklich auf ein Publikum trifft.

Neu verfolgt SRF in der Angebotsentwicklung und -produktion ein Vier-Kräfte-Modell. Wie sieht das konkret aus?
Nehmen wir das Beispiel eines Nachhaltigkeitsformats auf Youtube, das die Kulturredaktion entwickelt. Dieses richtet sich an eine jüngere Zielgruppe, die sich für Natur und Umwelt interessiert. Beim Entwicklungsprozess, den die Abteilung Audience mitverantwortet, haben wir als eine der vier Kräfte einen Zielgruppenbeschrieb beigesteuert: Wo liegt das Potenzial, was sind Nutzungsbedürfnisse, sowohl was den Kanal angeht für dieses Thema als auch die Form der Aufbereitung? Die Abteilung Inhalt als weitere Kraft kümmert sich um das Storytelling: Welche Protagonistinnen und Protagonisten sollen die Inhalte auf welche Weise erzählen? Die Abteilung Distribution überlegt als dritte Kraft sowohl bezüglich Wahl des Kanals als auch dessen Gestaltung. Publizieren wir einmal pro Woche oder zweimal pro Tag? Die Abteilung Produktion, die vierte Kraft in diesem Prozess, sorgt gemeinsam mit dem neuen Bereich Herstellungsmanagement dafür, dass wir so kreativ und effizient wie möglich produzieren. All diese Kräfte denken zusammen und so entsteht ein Konzept, das aus allen wichtigen Perspektiven durchdacht ist.

Und die Entscheidung, ob ein Konzept dann umgesetzt wird oder nicht, wird schliesslich vom Commissioning Board gefällt?
Genau. Die Idee dafür basiert auf der Überzeugung, dass das beste Angebot nur entstehen kann, wenn wir das Angebot gesamtheitlich entlang klarer strategischer Ziele gestalten. Das Commissioning Board ist ein Entscheidungsgremium, das als Auftraggeber fungiert und auch die Finanzierung spricht. Von Audience, Distribution und Produktion sitzt je ein Vertreter oder eine Vertreterin im Commissioning Board, von Inhalt gibt es Vertretende für jede Abteilung – Sportvertreter für Sport, Kulturvertreterinnen für Fiktion usw.

Das klingt sehr bürokratisch.
(Lacht.) Ein Prozess sieht nach aussen oft bürokratisch aus, weil er sehr durchdacht ist. In jeder digitalen Produktentwicklung ist es aber Usus, dass man interdisziplinäre Entwicklungsteams hat, vom Datenanalysten bis zur Programmiererin. Die fachliche, fundierte Diskussion schärft auch die Qualität. Dies verlangsamt aber die Formatentwicklung. Das Problem für SRF besteht nicht darin, mehr zu machen, sondern sich zu fokussieren. Unser Angebot ist bereits sehr gross, wir haben über 800 Angebote im Portfolio, und trotzdem erreichen wir ungefähr einen Viertel der Bevölkerung nicht. So gesehen ist eine gewisse Verlangsamung des Entwicklungsprozesses gar nicht schlecht, weil es dafür sorgt, dass wenn wir etwas tun, es die ganze Power erhält, die es braucht. Hat ein Format am Ende Erfolg und erreichen wir Menschen, die wir bisher nicht erreicht haben, dann lohnt es sich.

«Ein Inhalt kann noch so gut sein, doch wenn er nicht auffindbar ist, erreicht er niemanden.»

Laura Köppen
Leiterin Audience SRF

Welche Zielgruppen neben den Jungen möchte SRF neu erreichen?
Wir definieren die Zielgruppen nicht nur durch das Alter. Es geht um digitale Zielgruppen allgemein, also Personen, die ihre Informations­- und Unterhaltungsbedürfnisse primär über digitale Kanäle stillen. Dies, weil SRF im linearen Bereich nach wie vor erfolgreich ist. Gerade die Jüngeren sind aber vor allem im Digitalen unterwegs, wo unsere Konkurrenz um ein Vielfaches grösser ist. Um unseren Informationsauftrag auch in Bezug auf Jüngere zu erfüllen, hat die Entwicklung digitaler Formate deshalb Priorität.

Eine Redaktorin hat also bessere Chancen auf eine Umsetzung ihrer Idee, wenn diese digital ist und sich an Junge richtet?
Am Ende ist unser Ziel, ein Medienunternehmen für alle zu sein. Jede Redaktorin und jeder Journalist, egal in welchem Konzessionsgebiet, muss sich überlegen, wie wir es schaffen, nicht nur das traditionell ältere Stammpublikum zu bedienen. Das heisst aber nicht, dass wir nichts für Ältere entwickeln. Kann ein neues Format somit in Zukunft nur auf Youtube oder Instagram laufen? Aus den Inhalten, die wir produzieren, wollen wir das Maximum herausholen. Bei einer Geschichte für ein Youtube­-Format können sich die Bilder auch für das Lineare, etwa die «Tagesschau», eignen. Wir möchten vermehrt vektorenübergreifend denken und recherchierte Geschichten auch für lineare Angebote nut­zen. Ein Beispiel ist die Talkshow «Persönlich», die neu parallel gefilmt und so auch auf SRF 1 gezeigt wird. Audio muss nicht nur für Audio produziert werden, sondern kann mit Hilfe von zusätzlichem Videomaterial auch für andere Kanäle passen. So können wir unterschiedliche Zielpublika mit ein und derselben Produktion erreichen.

Private Medien befürchten Konkurrenz durch neue digitale Angebote und berufen sich darauf, dass das nicht zur Aufgabe des Service public gehört.
Wenn man möchte, dass wir unsere Rolle wahrnehmen, Meinungsbildung ermöglichen, die Vielfalt der Gesellschaft abbilden, dann muss man auch zulassen, dass wir uns verändern – ganz einfach, weil sich die Mediennutzung verändert. Wenn wir nicht im Digitalen unterwegs sind, verlieren wir nicht nur die Jungen und den Anschluss, wir werden in absehbarer Zeit keine Relevanz mehr haben. Auch bei den Älteren, denn auch deren Mediennutzung verlagert sich in die digitalen Kanäle. Uns das zu verbieten, wäre eine Vor­gabe, Menschen zunehmend nicht mehr zu erreichen, und das wäre nicht im Sinne des Service public. Wir müssen es schaffen, uns zu differenzieren und nicht das zu machen, was andere schon tun.

Wie differenziert sich SRF von den Privaten?
Ein Beispiel ist der Investigativ-­Desk. Gerade wegen der Gebührenfinanzierung ist bei uns gewährleistet, dass wir im investigativen Bereich unabhängig sein können, weil wir nicht rein werbefinanziert sind und den Auftrag haben, sachgerecht und vielfältig zu berichten. Dadurch können wir Geschichten recherchieren, die sich die meisten Privaten nicht leisten können und die abseits des Mainstreams sind. Private Medien, die von der höchstmöglichen Anzahl Klicks leben, müssen auf massenaffinere Themen setzen. Auch ist es unser Anspruch, selbst bei kürzeren Meldungen stets Hintergrundmaterial anzubieten, um Dinge einzuordnen.

Sie arbeiten seit September 2015 bei SRF, zunächst als Projektleiterin in der TV-Forschung, dann als Leiterin Strategische Projekte und Forschung. Zuvor waren Sie Referentin des Programmdirektors beim ZDF und Redaktorin Strategische Planung/Formatentwicklung bei ZDFneo – also auch beim Service public. Was für Erfahrungen bringen Sie mit?
Beim ZDF habe ich gelernt, einen Veränderungsprozess mitzugestalten. Auch das ZDF ist ein traditionsreiches und grosses Medienhaus, das sich verändern muss und vor den gleichen Herausforderungen steht wie SRF. In den ersten Berufsjahren konnte ich bei ZDFneo Formate für jüngere Menschen entwickeln. Ich habe also erfahren, was es bedeutet, sowohl zielgruppenspezifisch zu entwickeln als auch ein grosses Haus in eine Transformation zu bringen, ohne viel Stammpublikum zu verlieren.

In der Tat geht der Service public überall einen Wandel durch. Wo haben Sie sich inspirieren lassen?
Unser Modell mit den vier Kräften und Audience als eigene Abteilung ist tatsächlich sehr einzigartig. Ent­standen ist es durch die Inspiration von mehreren Ländern, etwa von YLE in Finnland oder BBC 3 in Eng­and. Norwegen ist schon lange Vorreiter beim Commissioning, also dem gemeinsamen Beauftragen von Programm. SRF kann aber stolz sein auf sein Modell, weil es so konsequent durchdacht ist und wir dem Publikum wirklich eine Stimme geben. Wir haben Analysten in jeder Abteilung, die sich vor Ort mit den Redaktionen Nutzungsdaten anschauen und alltägliche Fragestellungen oder Probleme nutzungsdatenbasiert mitbeantworten können. So konsequent kenne ich das in keinem Medienhaus, zumindest nicht in Europa.

Was heisst das für die einzelnen Mitarbeitenden?
Letztlich soll es ein System sein, von dem alle profitieren. Wir müssen lernen, zusammenzuarbeiten. Am Anfang wird das nicht immer nur einfach sein, wir werden uns kennenlernen und viel diskutieren müssen. Aber auch da ist die Überzeugung drin, dass aus der kritischen Auseinandersetzung mit Menschen, die verschiedene Fachperspektiven reinbringen, das beste Resultat entsteht. Für den Journalisten oder die Journalistin kann es auch vorteilhaft sein, nicht alleine entscheiden zu müssen, sondern mit einem Team aus der Zielgruppen­ und Datenanalyse zusammenzuarbeiten. Zudem bekommt der Inhalt das, was er verdient. Denn: Ein Inhalt kann noch so gut sein, doch wenn er nicht richtig distribuiert wird, nicht auffindbar ist, erreicht er niemanden. Und das ist für alle frustrierend.

Leitung Distribution

Das neue Betriebsmodell von SRF soll dem Unternehmen erlauben, schneller auf die sich verändernden Markttrends und Bedürfnisse der Zielgruppen zu reagieren. Es basiert auf den vier Kräften Inhalt, Produktion, Distribution und Audience. In diesem Zusammenhang wurde nebst Audience, für welche Laura Köppen die Leitung übernommen hat, auch die Abteilung Distribution neu aufgebaut. Diese wird künftig von Stefano Semeria (54) geleitet. Semeria ist seit 2011 in unterschiedlichen Führungsfunktionen tätig: als Programmleiter TV, Bereichsleiter Junge Zielgruppen und als Abteilungsleiter Jugend, Familie, Unterhaltung und als Mitglied der Geschäftsleitung. Vor seiner Tätigkeit bei SRF hatte Stefano Semeria eine eigene Beratungs­ und Entwicklungsfirma und bei verschiedenen deutschen Fernsehsendern Leitungspositionen in Programmplanung und Trendscouting inne.

Text: LINK/Eva Hirschi

Bild: SRF/Oscar Alessio

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