Ein Mann, eine Botschaft

Die neue Trägerschaftsstrategie liegt vor. Den Anstoss dafür hat SRG-Präsident Jean-Michel Cina gegeben. Das Papier ist näher bei den Leuten als die alte Version. Ziel ist es, die Regionalgesellschaften zu stärken und deren Wirken messbar zu machen.

Die Kernbotschaft ist klar: Verständnis schaffen, Teilhabe ermöglichen, Engagement leben. Das sind die drei Grundpfeiler der Trägerschaftsstrategie der SRG. Die Anregung für das neue Papier gab Präsident Jean-Michel Cina einige Monate nach seinem Amtsantritt 2017. Nun liegt das neue Papier vor und das vergangene, die «Vereinsstrategie» von 2014, ist Geschichte. Nach nur sieben Jahren. Was ist passiert? Papier ist doch geduldig. Nun ja – nicht unbedingt, wenn eine Initiative vors Volk kommt, die den medialen Service public als Ganzes infrage stellt. 2014, als die inzwischen überholte Vereinsstrategie abgesegnet und per Medienmitteilung beworben wurde, war «No-Billag» erst eine Idee der Jungfreisinnigen. Die SRG war weitgehend unbestritten Teil der Schweiz, der Zivilgesellschaft, sie war sozusagen Kulturgut.

Interview

Wir wollten von Jean-Michel Cina wissen, was er vom Fussball für seine Arbeit als Präsident der SRG SSR gelernt hat. Die Antwort darauf und wie der Ball derzeit läuft, verrät er im Video.

Als Jean-Michel Cina am 1. Mai 2017 Präsident dieser Festung wurde, wackelte diese bereits. Das ganze Land diskutierte über die Initiative, die vors Volk kommen würde. Aufatmen konnte Cina erst am 4. März 2018, als die Bevölkerung deutlich Nein sagte. Aufatmen ja, aber zurücklehnen? Auf keinen Fall. Konkrete und messbare Ziele wollte er für die vier Regionalgesellschaften definieren. «Sie haben sich bereits zuvor immer stark engagiert, doch es schien mir wichtig, dass dieses Wirken auch messbar wird», sagt er. Die Messindikatoren sollten noch festgelegt werden.

Bereits 2014 wollte der damalige SRG-Präsident, Raymond Loretan, mit einer Vereinsstrategie eine bessere Verankerung des «unabhängigen audiovisuellen Service public» in der Öffentlichkeit erreichen. «Die alte Version beinhaltete mehr Leitlinien und Anregungen und weniger konkrete Ziele», sagt Jean-Michel Cina. Mitten in der Abstimmungsphase zu «No-Billag» und dem Transformationsprozess, in dem sich das Medienhaus befand, schien es ihm wichtig, eine griffigere Strategie zu entwickeln, und eine, die sich flüssig liest im Gegensatz zur früheren.

Doch wer ist eigentlich der Mann aus dem Wallis, der vier Sprachregionen und zahlreiche Forderungen verschiedenster Menschen unter einen Hut bringen soll? Der Formulierungen wie «nah bei den Menschen» und «Vertrauen schaffen» braucht? Und unermüdlich betont, dass es medialen Service public und unabhängige Medien brauche?

«Über mein politisches Engagement habe ich mein ganzes berufliches Leben in den Dienst der Öffentlichkeit gestellt. Mit meiner jetzigen Funktion kann ich diesen Dienst fortsetzen, indem ich mich für den medialen Service public engagiere und damit für eine Institution, die wesentlich ist für die Demokratie und den Zusammenhalt in diesem Land», sagt Jean-Michel Cina auf die Frage, die ihm 2018 bereits Roger Schawinski stellte: «Wer sind Sie?» Damals sprach Cina erst im zweiten Satz von seinem Engagement für die Allgemeinheit, zuerst kamen Familienvater, Ehemann, Anwalt und Notar. Das ist der ehemalige CVP-Politiker nach wie vor. Inzwischen ist er als Familienvater für acht Millionen Menschen da.

«Ja, ich bin inzwischen voll in diesem Modus drin und beschäftige mich täglich mit der SRG, dem Verein mit Unternehmen und Trägerschaft», sagt er. Die Trägerschaft, die nun eine neue Strategie hat. Vielfalt, Qualität, Verantwortung, Unabhängigkeit, Dialog, Kreativität: Das sind die Werte. Klingt gut, modern, auch die Diversität kommt darin vor. Was fehlt, ist das grosse Wie.

Wie die Träger der SRG «das Fundament für ein unabhängiges Medienangebot von hoher Qualität» bieten will, «dem die Bevölkerung der Schweiz vertraut», muss noch festgelegt werden. Mit der Publikation der Strategie ist es nicht getan. «Als Nächstes werden auf der Grundlage dieser Trägerschaftsstrategie mit den Regionalgesellschaften Leistungsvereinbarungen ausgehandelt und unterzeichnet. Dort werden dann die konkreten regionalen Massnahmen, wird das Wie vereinbart », sagt Cina zum weiteren Vorgehen. Die Delegiertenversammlung wird die Leistungsvereinbarungen genehmigen und die Regionalgesellschaften werden beschliessen, wie diese erreicht werden sollen. «Dabei haben sie eine grosse Autonomie», sagt Cina. Und betont nochmals, dass Überprüfungen stattfinden werden. Nachvollziehbar, messbar, zielführend. Diversität beispielsweise betreffe nicht nur die Geschlechter, nicht nur die Herkunft der Menschen, sondern auch die Durchmischung. Stichwort: Jugend. Sie soll, sie muss künftig mehr abgeholt werden von der SRG, das ist nicht neu, aber prioritär. Es geht um Werte. Und dazu gehört auch das Portemonnaie. Was ist mir der mediale Service public wert, wenn ich die News in der Hosentasche gratis bekomme? Cina spricht von einem Spannungsfeld, in dem sich die ganze SRG befinde. Die einen gewinnen und die anderen nicht verlieren. «Das ist eine der grössten Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen», sagt er. «Wir müssen das Ganze jedoch auf eine Zeitachse legen und können nicht einfach den Schalter umlegen und dann die Antwort erwarten.»

«Es ist wichtig, dass die gesamte Gesellschaft in der Organisation abgebildet ist. Nur so erreichen wir eine Verankerung in der Zivilgesellschaft.»

Jean-Michel Cina, Präsident SRG SSR

Die Jungen ins Boot holen will die Unternehmens- und Angebotsstrategie schon länger – mit innovativen Ansätzen. Nun sollen auch die Regionalgesellschaften und ihre Suborganisationen jüngere Menschen «begeistern», wie es in der Trägerschaftsstrategie formuliert ist. Cina ist sicher, dass dies gelingen wird und sich zu den rund 23 000 bestehenden Mitgliedern neue, engagierte Leute in den Regionen finden lassen. «Es ist wichtig, dass die gesamte Gesellschaft in der Organisation abgebildet ist, dass alle mitreden können. Nur so erreichen wir eine Verankerung in der Zivilgesellschaft », sagt er. Auch hier geht es wieder um jenes Ziel, das über allem schwebt: Verständnis schaffen! Verständnis für seriösen Journalismus. In Zeiten von Fake News und «alternativen Medien» kein Leichtes, könnte man denken. «Im Gegenteil», sagt Cina, «ich sehe dieses Umfeld als Chance für den medialen Service public.» Dieser könne sich in einer Zeit, in der jeder überall irgendetwas publizieren könne, umso stärker positionieren. «Je mehr der mediale Service public infrage gestellt wird, desto grösser ist die Chance, dessen Bedeutung aufzuzeigen.»

Zurzeit sind es jedoch andere Dinge, die die SRG ins Rampenlicht rücken. Auch unangenehme Geschichten wie der Skandal um strukturelle Belästigungen bei RTS. Inzwischen haben Cina und sein Verwaltungsrat 25 Massnahmen zur Verbesserung des Schutzes der Integrität von SRF-Mitarbeitenden beschlossen. In der Trägerschaftsstrategie fehlt das Thema. Ein Versäumnis – oder nicht so wichtig für die Träger? Natürlich sei das Thema wichtig, sagt Cina. «Die Massnahmen, die für das Unternehmen fixiert wurden, können auch auf die Organisationsstrukturen des Vereins übertragen werden.» Die Regionen hätten freie Hand.

Die neue Trägerschaftsstrategie hat einen langen Weg hinter sich. Zunächst wurden Stakeholder innerhalb der Trägerschaft befragt und die alte Vereinsstrategie wurde analysiert. Dafür haben die Verantwortlichen auch externe Fachleute beigezogen. Auf einen ersten Entwurf folgte ein Soundingboard mit Vertretungen aller Sprachregionen. Danach kam das Papier in eine Vernehmlassung bei den Regionalgesellschaften und den Delegierten. Kann mit so vielen Beteiligten eine griffige Strategie entstehen? «Ja, wir haben das Ziel, eine griffige nationale Trägerschaftsstrategie mit klar definierten Zielen zu entwickeln, erreicht.» Trägerschaft und Unternehmen würden als partnerschaftliche Organisationen innerhalb des Vereins positioniert. «Wir haben eine solide Grundlage für die Förderung des Vereins.»

Das hiess es damals, als die erste Vereinsstrategie entstand, auch. Dennoch war diese bereits nach sieben Jahren veraltet. Cina ist überzeugt, dass dies nicht noch einmal passieren wird. «Das Gerüst, die Grundzielsetzung, ist gefestigt», sagt er. Und erwähnt nochmals die Grundpfeiler: Teilhabe, Verständnis, Engagement. Ausserdem bestehe seitens Regionalgesellschaften eine gemeinsame Anstrengung, die Ziele zu konkretisieren und messbar zu machen. Das Wie hingegen müsse immer wieder evaluiert werden. Leistungsvereinbarungen und konkrete Ziele müssten regelmässig hinterfragt und falls nötig angepasst werden.

Zur Person

Jean-Michel Cina (Salgesch, VS) ist seit Mai 2017 Veraltungsratspräsident der SRG SSR. Von 1997 bis 2005 arbeitete er als Rechtsanwalt und Notar in Visp. Gleichzeitig war er Gemeindepräsident von Salgesch und Mitglied des Grossen Rats des Kantons Wallis. 1999 wurde er in den Nationalrat gewählt. Von 2002 bis 2005 präsidierte er die CVP-Fraktion im Bundeshaus, und von 2005 bis Ende April 2017 war er Mitglied der Walliser Regierung sowie Vorsteher des Departements für Volkswirtschaft, Energie und Raumentwicklung.

Text: Martina Rutschmann

Bild: Peter Mosimann

Video: SRG.D

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