Falsche Darstellung der «Critical Race Theory» in «Echo der Zeit»?
Die Sendung «Echo der Zeit» hat Anfang des Jahres in zwei Radio-Beiträgen über die «Critical Race Theory» und die zugehörige Debatte in den USA berichtet. Ein Beanstander stört sich an der Darstellung und findet, das Hauptthema sei unterschlagen worden. Die Ombudsstelle widerspricht.
Die kritische Rassentheorie ist ein akademischer Rahmen, der sich auf die Idee stützt, dass Rassismus systemisch ist und nicht nur von einzelnen Menschen mit Vorurteilen ausgeht. Die Theorie besagt, dass rassistische Ungleichheit in die Rechtssysteme eingewoben ist und sich negativ auf farbige Menschen in Schulen, im Gesundheitswesen, im Strafrechtssystem und in unzähligen anderen Lebensbereichen auswirkt.
Obwohl sich der Begriff «kritische Rassentheorie» auf ein akademisches Studiengebiet bezieht, hat sich sein allgemeiner Gebrauch von seiner ursprünglichen Bedeutung entfernt. Der Begriff wird heute als Sammelbegriff für nahezu jede Untersuchung des systemischen Rassismus in der Gegenwart verwendet und die kritische Rassentheorie wird oft als Grundlage für rassenbewusste Politik, Schulungen zur Vielfalt und Aufklärung über Rassismus dargestellt, unabhängig davon, was das akademische Konzept ursprünglich bezweckte. Die kritische Rassentheorie wurde zum politischen «Spielball».
In den USA haben Schulen im ganzen Land ihre Lehrpläne überarbeitet, um den systemischen Rassismus zu bekämpfen und die Schulen gerechter zu gestalten. Kritiker behaupten, Lehrer würden versuchen, die Geschichte «umzuschreiben» und sollten bei der Interaktion mit Schülern nicht auf die Rasse eingehen. Die Befürworter entgegnen, dass die Diskussion über Rassenfragen ein integrativer Bestandteil der Schule darstellen müsse und den Schülern helfe, systembedingte Barrieren zu überwinden, die ihre Leistungen behindern würden.
Zwei verschiedene Perspektiven
Die politische Hintergrundsendung «Echo der Zeit» nahm sich dieser Thematik an und hat zwei Radiobeiträge zur «Critical Race Theory» erstellt. Die Autorin und USA-Korrespondentin Isabelle Jacobi hat sich in diesen Berichten auf zwei Aspekte fokussiert. Im ersten Beitrag wählte sie den Ansatz einer Nahaufnahme: Sie reiste nach Virginia, wo die Debatte besonders heftig verlief, und besuchte Veranstaltungen und Leute, die sich darin engagierten. Im zweiten Beitrag zeigte sie auf, wie die Diskussion um die «Critical Race Theory» in den Vereinigten Staaten in kürzester Zeit zu einem grossen, nationalen Thema geworden ist.
Ein Zuhörer hat die Darstellungsweise der beiden Beiträge kritisiert. Er findet, dass die Redaktion «das Hauptproblem unterschlagen» habe und dass die Beiträge am Thema vorbei gehen würden. Beim Widerstand gegen die «Critical Race Theory» handle es sich «nicht um eine Bewegung gegen Gleichstellung oder Diskriminierung, sondern um Aufbürden und Zuschieben von Schuld und Verantwortung, und zwar auf die Weissen», so der Beanstander.
«Echo der Zeit» habe das Narrativ gesponnen, dass dieses Problem gar nicht existiere, und die ganze Sache eine Kampagne und Verschwörung von rechts sei. Der Beanstander bezeichnete die Beiträge als tendenziös und einseitig und verlangte nach einem objektiven Journalismus, damit sich das Publikum eine eigene Meinung bilden könne.
Transparenz und journalistische Freiheit
Die Redaktion von «Echo der Zeit» erklärte in ihrer Stellungnahme, dass die beiden Berichte von USA-Korrespondentin Isabelle Jacobi nicht den Anspruch erheben würden, eine grundsätzliche und umfassende Auseinandersetzung mit der «Critical Race Theory» zu bieten. Dies sei im Rahmen der jeweils sechs Minuten langen Radiobeiträge einer tagesaktuellen Sendung gar nicht zu leisten. Die Redaktion wies darauf hin, dass bereits zuvor schon einige Beiträge zur Thematik erschienen waren und dass davon auszugehen sei, dass die Problematik die US-Politik noch lange und intensiv beschäftigen werde. Und somit auch «Echo der Zeit».
Die Redaktion ergänzte, dass in beiden Beiträgen der gewählte Ansatz bereits in der Anmoderation transparent gemacht worden sei. In beiden Fällen handle es sich um journalistisch plausible und zum Teil gar naheliegende Herangehensweisen an ein grosses und vielschichtiges Thema. Es liege im Rahmen der journalistischen Freiheit einer Redaktion zu wählen, wie und in welcher Form sie ein Thema aufgreife.
Ausgewogene Wortmeldungen
Die Autorin nehme sich zudem in beiden Berichten weitgehend zurück. Sie verzichte darauf, eine eigene Meinung oder Haltung zur «Critical Race Theory» zu formulieren und beschränke sich auf die Rolle der Beobachterin und Berichterstatterin. Sowohl Anhänger als auch Gegner der «Critical Race Theory» würden sich mehrfach äussern. Die Berichterstattung würde es dem Publikum dadurch ermöglichen, sich eine eigene Meinung zum Thema zu bilden.
Dieser Einschätzung stimmen die Ombudsleute zu. In den zwei genannten Beiträgen nimmt sich «Echo der Zeit» der Thematik an und berichtet über die hitzige Debatte. Dabei besucht «Echo der Zeit» im ersten Beitrag Virginia, wo die Debatte besonders heftig verläuft, und im zweiten Beitrag zeigt es auf, wie die Debatte in kurzer Zeit zum nationalen Thema werden konnte. Die Autorin lässt Personen aus verschiedenen «Lagern» zu Wort kommen, ordnet das Gesagte ein, schildert sachlich, schlägt sich weder auf die eine noch auf die andere Seite. Sie zeichnet ein Bild des Widerspruchs, der Uneinigkeit und der gegenseitigen Provokation, wie es der eingangs beschriebenen Faktenlage entspricht.
Einen Verstoss gegen Art. 4 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG kann die Ombudsstelle deshalb nicht feststellen.
Die beanstandeten Radio-Beiträge
Die beanstandeten Radio-Beiträge
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