«Eine Frau darf sagen: Das kann ich»
Die publizistische Leitung von SRF Sport liegt in den Händen einer Frau. Warum diese Tatsache für Susan Schwaller selbst unwichtig ist und was Diversität im Programm und in der Redaktion heisst, erzählt die Sport-Chefredaktorin im Porträt.
Seit mehr als vier Jahren ist Susan Schwaller Chefredaktorin von SRF Sport. Sie ist die erste Frau in dieser Position. Trotz der historischen Bedeutung ihrer Anstellung macht sich die 47-Jährige wenig Gedanken über ihr Geschlecht. «Die Geschlechterfrage ist für mich keine Frage. Ich wünsche mir, dass es bald keine Rolle mehr spielt, ob eine Position von einer Frau oder einem Mann besetzt wird.»
Als Frau benachteiligt zu sein, habe sie selbst einzig zu Beginn ihrer Berufslaufbahn gespürt. Nach Abbruch des Medizinstudiums arbeitete sie bei Privatradios. In dieser Zeit wollte sie sich entwickeln, wurde aber mit der Begründung, dass sie eine Frau sei und sich gedulden müsse, gebremst. «Bei solchen Aussagen dachte ich jeweils: Jetzt zeige ich es euch erst recht.»
Von der Schwimmlehrerin zur Chefredaktorin
Im Jahr 2000 stieg Schwaller bei SRF ein, arbeitete bei «Schweiz aktuell», «Dok» und der «Tagesschau». Die Vielfalt der Themen gefiel ihr gut. Doch als sie einmal beim Sport reinschnuppern konnte, liess sie dieser Bereich nicht mehr los. Seit ihrer Kindheit sei sie polysportiv unterwegs und verfolge das Sportgeschehen, erzählt sie im Gespräch mit dem Magazin LINK. Während des Gymnasiums verdiente sie Geld als Schwimmlehrerin.
2007 wechselte Susan Schwaller als Redaktorin und Produzentin zu SRF Sport. Sie übernahm die Projektleitungen für die alpinen Ski-Weltmeisterschaften 2011 in Garmisch-Partenkirchen und die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. «Nie hatte ich das Gefühl, dass ich als Frau von meinen Kollegen seltsam beobachtet wurde oder mich besonders beweisen musste», sagt Schwaller. Das gelte für den Sport genauso wie für die anderen Redaktionen, für die sie gearbeitet hatte. Bei Einsätzen als Reporterin habe sie sich nie anders behandelt gefühlt aufgrund ihres Geschlechts. Auch nicht an Eidgenössischen Schwing- und Älplerfesten, eher männlich geprägten Anlässen. «Ich bin interessiert an den Menschen, die dort mitwirken. Ich muss nicht betonen, dass ich eine der wenigen Frauen bin.»
Keine Toleranz bei Diskriminierung
Der «Sonntags-Blick» berichtete im Mai 2021 von mehreren ehemaligen Moderatorinnen und Kommentatorinnen von Sportsendungen, die Sexismus erlebt hatten. Sie sprachen von der Reduktion auf ihr Äusseres und davon, dass ihnen ihre Kompetenz abgesprochen wurde. Schwaller bestätigt, dass nach wie vor mehrheitlich Frauen im TV auf Kleidungsstücke und Frisur angesprochen werden. Allerdings gebe es ebenso viele Reaktionen zur Fachkompetenz ihrer weiblichen Kolleginnen. Selbst wurde sie nie von Frauen aus der Sportredaktion auf das Thema Sexismus angesprochen. «Ich hoffe natürlich, dass sie zu mir kommen würden, wenn es ernst wäre.» Für sie gibt es bei Diskriminierung keine Toleranz. Zum Thema Gleichstellung möchte sie Frauen auch ermutigen: «Eine Frau darf durchaus selbstbewusst hinstehen und sagen: Das kann ich, das will ich.»
In der Redaktion von SRF Sport liegt der Frauenanteil bei rund 20 Prozent. Ziel sei natürlich eine gewisse Diversität und Ausgewogenheit in den Teams zu haben – nicht nur was das Geschlecht angeht. «Ich bin zufrieden, wenn wir gute Redaktorinnen und Redaktoren haben, und die haben wir.» Die Zahl der Frauen, die sich bewerben, sei konstant klein, eine Zunahme nicht auszumachen. «Woran das liegt, kann ich nicht nachvollziehen», sagt Schwaller. «Denn der Sport bietet ein breites Themenspektrum und viele Emotionen. Es ist unglaublich schön, darüber zu berichten.»
Obwohl sie Chefredaktorin ist, kann Susan Schwaller nicht grenzenlos Einfluss auf das Programm nehmen. «Ein grosses Kriterium für unsere Sportberichterstattung ist der Schweizer Bezug – da spielt das Geschlecht der Teilnehmenden keine entscheidende Rolle. Wo wir bei SRF Sport aber selbst aktiv sind, ist bei der Auswahl der Expertinnen und Experten sowie den Studiogästen in unseren TV-Sendungen. Dort bemühen wir uns um eine Ausgewogenheit zwischen den Geschlechtern.»
Präsenz von Frauensport im TV
Das Beispiel der Women’s Super League, der höchsten Frauenfussballliga der Schweiz, findet Schwaller charakteristisch für die Entwicklung von Frauensport in der Schweiz. Seit 2020 übertragen SRF, RTS und RSI neun Partien pro Saison live. Dem sei viel Aufbauarbeit von Klubs, Verbänden und Sponsoren vorangegangen, so Schwaller. Zum Beispiel, dass sich die Infrastruktur für die Frauenteams in der Vergangenheit stark verbessert habe. «Für eine TV-Produktion sind wir auch auf geeignete Bedingungen vor Ort angewiesen. So muss beispielsweise das Spielfeld gut beleuchtet sein, damit wir eine professionelle Produktion sicherstellen können.»
Mit dem Schweizerischen Eishockeyverband hat die SRG vertraglich festgelegt, dass die Heim- und die Auswärtsspiele der A-Nationalteams der Männer und der Frauen live übertragen werden. Im vergangenen November und Dezember nahmen die Frauen an Turnieren in Finnland und in Schweden teil – eine Live-Übertragung aber fehlte. «SRF hätte die Spiele des Schweizer Frauennationalteams gern live übertragen. Die Turniere wurden aber leider nicht in ausreichender Qualität produziert», erklärt die Sport-Chefredaktorin. SRF habe keinen Einfluss auf die internationale Live-Produktion, verantwortlich sei der Host Broadcaster vor Ort. «Voraussetzung für die Übertragung ist die Qualität der Bilder. Stimmt diese nicht, können wir leider nichts zeigen.»
Frauenanteil in den Sportproduktionen der SRG
Für LINK hat Schwaller ausgerechnet, wie hoch der Frauenanteil in Produktionen der SRG im Jahr 2022 war: Gut 10 Prozent der nationalen SRG-Sportproduktionen waren reine Frauenevents, knapp 40 Prozent reine Männerwettbewerbe. Bei gut 50 Prozent der 2022 von der SRG produzierten und ausgestrahlten Sportveranstaltungen nahmen sowohl Athletinnen als auch Athleten teil. Leicht anders sind die Zahlen bei den Veranstaltungen, die SRF live übertragen hat: 30 Prozent Frauen, 60 Prozent Männer, 10 Prozent gemischt.
Nicht ermittelt hat sie den Frauenanteil in den Hintergrundsendungen von SRF Sport. Sie würden aber auf ein «ausgeglichenes und ausgewogenes Themensetting» achten, versichert sie, zum Beispiel bei den Studiogästen im «Sportpanorama». Und in den Magazinsendungen wie «Super League – Goool» und «Eishockey – Inside» würde regelmässig auch über die jeweiligen Frauenligen berichtet. «Die Wichtigkeit dieses Anliegens zeigt auch die Verankerung in den Publizistischen Leitlinien von SRF. Diese definieren unser journalistisches Selbstverständnis.»
Vor drei Jahren hat SRF das Projekt «chance50:50» lanciert. Das Ziel: ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei Gästen und Expertinnen und Experten. Die Teilnahme ist für die Redaktionen freiwillig. SRF Sport macht nur bedingt mit. «Für uns ist das Projekt für die Auswahl von Expertinnen und Experten und Studiogästen sowie für das Themensetting einer Magazinsendung wie des ‹Sportpanoramas› sinnvoll. Aber im Live-Bereich ist der Anteil von Frauensport abhängig von dessen Entwicklung. Und die können wir als SRF, wie erwähnt, nicht allein steuern.»
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