Einseitige Beanstandungen vor den Wahlen

Vor eidgenössischen Wahlen herrscht auch bei der Ombudsstelle Hochkonjunktur. Neben sachlich nachvollziehbaren Vorwürfen überwiegen allerdings die ideologisierten Interessen der Beanstanderinnen und Beanstander.

Der Fall ist klassisch: FDP-Parteipräsident Thierry Burkhart schrieb am 14. August 2023 auf Twitter: «Die Qualität des @srf sinkt laufend. Ein Tiefpunkt war die Berichterstattung zur Medienkonferenz der @FDP_Liberalen vom Freitag. Ich bin gespannt, welche Parole die FDP-Delegiertenversammlung zur Halbierungsinitiative dereinst fassen wird.» Burkhart hatte sich an einem Beitrag im «Echo der Zeit» vom 11. August gestört, der die Positionierungstaktik der bürgerlichen Partei zur Migrationspolitik kurz vor den eidgenössischen Wahlen mit der ebenfalls kurz vor den Wahlen 2019 aufgegriffenen Klimapolitik verglichen hatte.

Klassisch ist der Fall insofern, als die Vorwürfe der einseitigen, voreingenommenen und deshalb auch unausgewogenen Berichterstattung vor allem vor eidgenössischen Wahlen besonders häufig sind und dementsprechend oft auch Beanstandungen bei der Ombudsstelle eingehen. Wobei Kritik von Amtsträgerinnen und Amtsträgern, wie auch im Fall des FDP-Parteipräsidenten, mittlerweile sehr oft in den sozialen Medien und nicht über die Ombudsstelle ausgetragen werden. Nicht zuletzt, weil die Auseinandersetzungen dort schneller geführt werden, als wenn die gesetzliche 40-tägige Frist für die Behandlung eines Ombudsfalls abgewartet werden muss. Und weil Publizität garantiert ist.

Mit Abstimmung drohen

Ebenso deutlich und drohend wie der über die sozialen Medien ausgetragene Angriff des FDP-Parteipräsidenten sind aber die bei der Ombudsstelle eingehenden Beanstandungen von Parteianhängerinnen und Parteianhängern – dabei sei es nicht verschwiegen, dass die SVP-Sympathisanten die «besten» Kundinnen und Kunden der Ombudsstelle sind. Seit die SRG-Initiative «200 Franken sind genug» im August 2023 eingereicht worden ist, fehlt der Hinweis «Wir wissen, wie wir dann abzustimmen haben» praktisch bei keiner Beanstandung.

Die Ombudsstelle bemüht sich in der Behandlung solcher Beanstandungen um einen sachlichen Ton und stützt sich – neben dem gesunden Menschenverstand – auf die Publizistischen Leitlinien von SRF und auf die Rechtsprechung der Unabhängigen Beschwerdeinstanz UBI sowie des Bundesgerichts. Konzessionierte Sender sind verpflichtet, die verschiedenen Parteien und Kandidierenden «rechtsgleich zu behandeln ». «Allfällige Ungleichbehandlungen müssen sich auf sachliche, nicht-diskriminierende Gründe stützen ... Im Vorfeld von Abstimmungen und Wahlen ist dem Gebot der Chancengleichheit ..., dem Diskriminierungsverbot und dem Minderheitenschutz Rechnung zu tragen», hielt das Bundesgericht schon verschiedentlich fest.

Umgang mit Grundsätzen in der Praxis

Wie aber sind solche Grundsätze in der Praxis umzusetzen? Dürfen Neukandidierende darauf pochen, gleich oft genannt zu werden wie die Wiederkandidierenden? Dürfen Nichtregierungsparteien quantitativ vernachlässigt werden im Vergleich mit den Bundesratsparteien? Und was heisst «Minderheitenschutz » im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen. Kein Grundsatz gilt absolut. So muss eine Debatte über wichtige Themen stattfinden können, ohne dass alle Parteien gleichermassen berücksichtigt werden. Eine unterschiedliche Behandlung nach sachlichen und transparenten Kriterien ist zulässig.

Wenn beispielsweise, wie vor den Ständeratswahlen im Kanton St. Gallen im Frühling 2023, die Ständeratskandidatin Esther Friedli in der «Tagesschau» am Nationalratspult als Rednerin zur Agrarpolitik 2022 mit einem kurzen Statement zu sehen und zu hören ist, ist das keine Ungleichbehandlung gegenüber den beiden anderen Ständeratskandidatinnen. Es handelte sich weder um ein Einzelporträt noch um ein Einzelinterview kurz vor den Wahlen (was Punkt 4.2 der Publizistischen Leitlinien untersagt hätte). Vielmehr war die damalige Nationalrätin Esther Friedli prädestiniert, mit ihrem Ratsvotum wiedergegeben zu werden: Sie war Vizepräsidentin der Kommission für Wirtschaft und Abgaben und Sprecherin eben dieser Kommission. Zudem ging es im «Tagesschau»-Bericht explizit um die Haltung der Bürgerlichen, und schliesslich ist Friedli eine ausgewiesene Landwirtschaftspolitikerin. Anders wäre der Fall zu werten gewesen, wenn der Parlamentsauftritt im Zusammenhang mit einem Porträt Friedlis gezeigt worden wäre, ohne dass die beiden anderen Ständeratskandidatinnen nicht ebenso porträtiert worden wären.

Entscheidend sind auch die verschiedenen Gefässe: Wenn in spezifischen Wahlsendungen nicht alle Parteien gezeigt werden, sondern diejenigen, die in der Regierung oder im Parlament vertreten sind, ist das legitim. Kleinere Parteien sollten aber ebenfalls eine Plattform erhalten – in anderen Sendegefässen. Dementsprechend vielfältig sind auch die diversen Programme und Kanäle im Hinblick auf die National- und Ständeratswahlen. Wenn die Ombudsstelle einen Wunsch offen hätte, dann der, dass die Beanstandungen ebenso vielfältig ausfallen wie die Wahlberichterstattung.

Text: Esther Girsberger und Kurt Schöbi, Ombudsstelle SRG.D

Bild: Colourbox.de

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