Krimineller Aktivismus: War die «Rundschau» kritisch genug?

Ein Interview mit einer Aktivistengruppe aus Zürich, die in nächtlichen Protestaktionen Luft aus den Reifen von SUVs lassen, erregte die Gemüter von mehreren Zuschauenden. Die Ombudsstelle musste sich gleich mit mehreren Beanstandungen befassen, denen der journalistische Umgang mit den kriminellen Handlungen zu wenig kritisch war.

Im Beitrag «Feindbild Geländewagen» zeigt die «Rundschau» das Wirken der Aktivistengruppe «Tyre Extinguishers». Die Mitglieder dieses weltweit agierenden Klimaprotest-Netzwerks treffen sich nachts, um Luft aus den Reifen von Geländewagen und SUVs zu lassen. Dies, um nach eigenen Angaben die Welt vor der Klimakrise zu retten. Die Journalist:innen schaffen es in der Reportage, ein Treffen mit den Aktivist:innen in Zürich zu arrangieren, kurz bevor diese auf Sabotage-Tour gehen. Die rund 13-minütige Reportage über den illegalen Klimaprotest wurde im Nachgang gleich mehrfach beanstandet.

Dürfen Medien Straftaten zeigen?

Grund für die Beanstandungen war primär die Darstellung der «Lüftler». Diese wurden vor und nach den kriminellen Protesthandlungen interviewt. Die strafbaren Handlungen selbst werden anhand von Filmmaterial gezeigt, welches die Aktivistengruppe selbst produzierte. Die Beanstander bemängelten, dass die Journalist:innen die kriminell handelnden Personen sowie deren Absichten offenbar kennen würden, dennoch hätten sie es unterlassen, die bevorstehenden Straftaten zu verhindern. Dies hätten sie etwa durch das Absetzen eines Notrufs bei der Polizei tun können. Der Beitrag verharmlose Straftaten, wenn diese nicht sogar durch die Berichterstattung motiviert gewesen waren, so die Kritik. Dies zeige sich auch nicht zuletzt darin, dass die Gruppe im Beitrag als «Aktivisten» und nicht als «Straftäter» bezeichnet würden.

Weiter sei die Meinungsvielfalt ungenügend abgebildet, der Ton gegenüber den Aktivist:innen zu positiv. Sämtliche Mitglieder der Gruppe kämen ausführlich zu Wort, dagegen werde nur ein Opfer der Aktion gezeigt. Aussagen wie etwa eine grundlegende Kritik am Schweizer Politsystem – es habe «versagt» – blieben ohne kritische Einordnung durch den Reporter. Auch gebe es keine Klarstellung seitens der Politik. Diese wäre zwingend gewesen, da so politische Instrumente als legale Alternativen zur Lösungsfindung in der Klimafrage hätten aufgezeigt werden können.

Schliesslich wurde mehrfach beanstandet, dass der Beitrag einen negativen Einfluss auf Minderjährige haben könnte. Einerseits verharmlose die zu unkritische Berichterstattung kriminelles Verhalten. Andererseits liefere der Beitrag durch die genaue Beschreibung des Vorgehens der «Lüftler» eine Art Bedienungsanleitung zum Nachahmen mit.

Redaktion: Journalismus muss Probleme aufdecken

Die Redaktion weist in ihrer Stellungnahme sämtliche Vorwürfe zurück. Die Distanz zu den Straftaten sei gegeben, die Journalist:innen hätten denn auch den Straftaten nicht beigewohnt. Die gezeigten Aufnahmen der Tat stammen von der Aktivistengruppe selbst, was im Beitrag auch transparent ausgewiesen werde. Ebenfalls habe die Berichterstattung die Straftaten nicht motiviert, die Aktivistengruppe hätte sich in dieser Nacht in jedem Fall getroffen, um die Autos zu sabotieren. Die Befragung und Porträtierung der «Lüftler» sei nicht nur kritisch gewesen, die Personen seien auch als Teil der weltweit agierenden Gruppe «Tyre Extinguishers» ausgewiesen worden. Eine Bewegung, die global auf wenig Sympathie und viel Empörung stosse.

Um gesellschaftliche Probleme aufzudecken, müssten Medienschaffende breit recherchieren können, so die Redaktion weiter. Es sei jedoch nicht Aufgabe der Medien, Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Im Gegenteil hätten Medienschaffende, um die Unabhängigkeit vom Staat zu wahren, ein gesetzlich verankertes Zeugnisverweigerungsrecht.

Der Kritik der fehlenden Meinungsvielfalt entgegnet die Redaktion mit einem Verweis auf verschiedene auftretende Personen, die sich kritisch gegenüber der porträtierten Aktivistengruppe äussern. Dazu gehören unter anderem das Opfer der Zürcher Sabotageaktion, eine Betroffene aus den USA, ein bekennender SUV-Fan sowie eine Polizistin. Letztere macht in ihrem Statement deutlich, dass es sich bei den Aktionen nicht um einen «Lausbubenstreich» handle, sondern um eine schwerwiegende Straftat.

Ombudsstelle: Quellenschutz verherrlicht keine Straftaten

Die Ombudsleute stützen die Argumentation der Redaktion. Im Online-Text zum Video schreibt die Redaktion: «In Zürich haben wir die «‹Lüftler› gesucht und gefunden.» Dadurch sei der Beitrag unmissverständlich als Reportage ausgewiesen. Diese journalistische Darstellungsform, welcher sich die «Rundschau» oft bediene, verlange Nähe zum Geschehen. Das Treffen der «Rundschau» mit den «Lüftlern» sei nur möglich durch entgegengebrachtes Vertrauen. Deshalb sei die Anonymisierung der Aktivistengruppe kein Schutz vor der Strafverfolgung, sondern Voraussetzung für das Treffen. Dass den Aktivist:innen für ihr Handeln eine Strafe wegen Nötigung und Sachbeschädigung droht, sei jederzeit allen bewusst und werde mehrfach im Beitrag ausgewiesen. Durch diese klare Benennung des «Lüftelns» als illegaler Akt würde die Straftat nicht legitimiert, im Gegenteil sogar Anklage gegen die «Tyre Extinguishers» erhoben. Wichtig sei, dass die Journalist:innen nicht bei der Ausübung der Aktion dabei waren, sondern die «Lüftler» nur vor und nach verübter Tat trafen.

Auch eine einseitige Berichterstattung stellen die Ombudsleute nicht fest. Die Reportage zeige eine Vielfalt von Gegenstimmen auf. Weitere Perspektiven wie etwa jene der Politik seien für den Beitrag nicht zwingend, da das Thema einen medialen «Dauerbrenner» darstelle. Es dürfe davon ausgegangen werden, dass die politische Diskussion zur Klimathematik an anderer Stelle weiterhin umfassend behandelt werden wird.

«Rundschau»-Beitrag vom 22. November 2023

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