Ombudsfrau Esther Girsberger: «Verstehen heisst verstehen wollen»

Als «Blitzableiter» für Konsument:innen, die sich über das Programm von SRF beschweren, hat die Ombudsstelle eine wichtige Aufgabe: die Spielregeln der Me­dien zu erklären. Eine Aufgabe, die den Ombudsleuten viel Sachlichkeit, Geduld und Einfühlungsvermögen abverlangt, wie Ombudsfrau Esther Girsberger in ihrem Beitrag ausführt.

«Die Klagemauern der Schweizer Medi­en.» So umschreiben Roger Blum (ehema­liger Ombudsmann der SRG.D) und Ignaz Staub (Ombudsmann der Tamedia AG) die Ombudsstellen der Medien in der 2017 herausgegebenen Publikation.

Auch wenn diese Bezeichnung spätestens seit dem Attentat der Hamas vom 7.Oktober 2023 nicht mehr verwendet würde: Die Ombudsleute der SRG deutsche Schweiz sind tatsächlich Anlauf­stelle für alle Klagenden. So werden Bean­standungen von reklamierenden Konsu­mentinnen und Konsumenten eingereicht, die in irgendeiner Form einfach angehört werden wollen. Auch wenn ihre Kritik nichts mit Konzessionsverletzungen zu tun hat. Spätestens seit der Coronapan­demie ist der Ton härter geworden, die Dominanz der sozialen Medien hat jegliche Hemmschwellen fallen lassen. Die aufge­heizte Medienöffentlichkeit macht sich auch bei der Ombudsstelle bemerkbar, die in sehr vielen Fällen als Blitzableiter her­halten muss. Die Ombudsleute brauchen starke Nerven und eine dicke Haut.

«Wenn jemand nicht gewillt ist zu verste­hen, bleibt jeder Erklärungsversuch erfolg­los.»

Eigentlich haben wir die Aufgabe, Beschwerden des Publikums über Richtig­keit, Fairness und Ausgewogenheit in der Berichterstattung entgegenzunehmen und zu bearbeiten. In erster Linie tun wir aber das, was das Thema dieser LINK­-Ausgabe ist: Wir helfen, die Medien zu verste­hen, in unserem Fall, SRF zu verstehen.

Wir machen uns dabei nichts vor: Wenn jemand nicht gewillt ist zu verste­hen, bleibt jeder Erklärungsversuch erfolg­los. Es gibt kein Verstehen ohne das aktive Bemühen um das Verstehen. Die vielen Wutbürger:innen, die sich nicht davon abhalten lassen, den «Staats­sender», der keiner ist, als durchgehend links getaktet zu bezeichnen, wollen nicht verstehen.

Bei fast allen anderen Unzufrie­denen ist die wohl wichtigste Vorausset­zung, die wir Ombudsleute mitbringen sollten, zu erkennen, welchen Grad an Verständnis wir vermitteln müssen. Das be­ginnt bei der Erklärung, welche Kompeten­zen wir Ombudsleute überhaupt haben. Denn die wenigsten Beanstander:innen setzen sich mit der Funk­tion der Ombudsleute auseinander. Sie sind überzeugt, dass wir den Redaktionen eine Entschuldigung in der nächsten «Ta­gesschau»­-Ausgabe vorschreiben oder gar die Löschung einer Publikation verlan­gen können. Auch können die Wenigsten etwas mit dem sperrigen Begriff «Sachge­rechtigkeitsgebot» anfangen, der bei der Begutachtung, ob ein Beitrag meinungsverfälschend war oder nicht, im Zentrum steht. Unsere Aufgabe ist, die programmrechtlichen Richtlinien und die für unsere Aufgabe massgebenden gesetzlichen Bestimmungen für das Publikum verständlich zu interpretieren und zu erläutern.

«Bevor wir er­klären, warum SRF journalistisch so und nicht anders vorgegangen ist, geht es um Empathie.»

Sehr viele SRF­-Konsumentinnen und -­Konsumenten argumentieren aus persönlicher Betroffenheit. Bevor wir er­ klären, warum SRF journalistisch so und nicht anders vorgegangen ist, bevor wir also rein sachlich argumentieren, geht es um Empathie. Wenn sich jemand beispiels­ weise über den «Donnschtig­Jass» ent­setzt zeigt, weil Bligg mit seiner Entourage die gesanglich vorgetragenen Worte «Läck du mir» während einer «Abendmahl»­-Sze­ne gebraucht habe, sind diese religiösen Gefühle nicht einfach mit dem Hinweis wegzuwischen, es handle sich dabei nicht um das Abendmahl, sondern um eine «Tavolata». Auch wenn es offensichtlich ist: Die religiösen Empfindungen sind ernst zu nehmen. Fast immer, wenn es um Religion oder Tierschutz geht, stehen Emotionen im Vordergrund und wecken wir bei den Kriti­ker:innen mehr Verständnis, wenn wir der Empathie einen grösseren Stellenwert einräumen als den journalis­tisch­sachlichen Erklärungen, warum SRF andere Aspekte in den Fokus gestellt hat. Das tut die Redaktion mit ihrer schriftlichen Stellungnahme, die sie bei substanziellen Beanstandungen schreibt. Wir Ombuds­leute interpretieren dann die Ausführun­gen aus journalistischer Sicht für ein brei­tes Publikum, das wenig Insiderwissen über anwaltschaftlichen Journalismus, journalistische Analysen oder die Zusam­mensetzung einer Diskussionsrunde hat.

Oft ergibt sich die persönliche Betroffenheit aus einer ideologisch geprägten Weltanschauung. «SRF zu verste­hen», heisst in diesen vielen Fällen, den Journalismus aus Sicht der Konsumieren­den zu erklären. Die Redaktion erläutert ihre Vorgehensweise, ihre Themenaus­wahl, die Zusammensetzung einer Diskus­sionsrunde aus SRF-­Sicht unter Berufung unter anderem auf die Publizistischen Leit­linien. Die Ombudsstelle versucht danach, diese Prinzipien lebendig zu machen, zu erzählen, was diese journalistischen Krite­rien in der Umsetzung in die Praxis bedeu­ten: dass eine neutrale Berichterstattung nicht heisst, meinungsfrei zu argumentie­ren, aber die verschiedenen Meinungen wiederzugeben, aus eigener Initiative und ohne Druck von Interessenvertreter:innen seitens der Wirtschaft oder der Parteien.

«Wir sind kein Gericht.»

Dass relevante Themen in einer kleinen, exportorientierten Schweiz im Herzen Europas beispielsweise auch die regelmässige Berichterstattung über die US­-Präsidentschaftswahlen umfasst, da der Einfluss einer wirtschaftlichen, militärischen, technologischen und politi­schen Grossmacht von mindestens so grosser Bedeutung für unser Land ist wie die Anschaffung neuer Kampfflugzeuge. Dass der Respekt gegenüber den Rechten der Betroffenen auch heisst, die Nationali­tät von vermuteten Verbrechern nur in den Fällen zu nennen, in denen die Angabe der Nationalität im Zusammenhang mit dem konkreten Delikt für dessen Verständnis und Einordnung von Bedeutung ist.

Schon die redaktionellen Stel­lungnahmen erläutern diese Prinzipien. Die Aufgabe der Ombudsstelle ist unseres Erachtens dann erfüllt, wenn wir danach in unseren Schlussberichten eine Sendung aus neutraler und objektiver Sicht und mit der nötigen Empathie begutachten. Nicht beurteilen. Denn wir sind eben kein Ge­richt. Ob es uns gelingt? In seltenen Fällen erhalten wir eine positive Reaktion auf unsere Schlussberichte. In viel häufigeren Fällen werden wir beschimpft, denn wir würden ja eh Partei für die Redaktion ergreifen. Aber eben: Es gibt kein Verste­hen ohne das aktive Bemühen um das Verstehen.

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Text: Esther Girsberger

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