«Puls Chat» zu Komplementärmedizin war teilweise meinungsverfälschend

19 Beanstandungen gingen ein gegen einen «Puls Chat», bei dem Fachpersonen Fragen zum Thema Komplementärmedizin beantworteten. Die Kritik: Die Expert:innen seien einseitig ausgewählt, die erteilten Ratschläge unwahr und teils sogar gefährlich. Die Ombudsstelle unterstützt die Beanstandungen teilweise. Zwar erschien auch eine «Puls»- Sendung, in der eine kritische Einordnung der Komplementärmedizin vorgenommen wurde. Der Chat ist aber als eigenständige Publikation zu begutachten.

Darum geht es in der beanstandeten Sendung

«Puls» befasste sich am 16. Dezember 2024 mit dem Thema Komplementärmedizin. Zusätzlich zu einem 30-minütigen Beitrag zur Debatte über Wirkung und vorherrschende Meinungen eröffnete «Puls» einen Chat, in dem Fachpersonen Fragen von Online-Nutzer:innen beantwortete. Die Expert:innen sind Julia Reusch, Barbara Schillig, Erika Süess und Florian Strasser, vier ausgebildete Ärzt:innen, die sich mit der Komplementärmedizin als Ergänzung zur Schulmedizin befassen.

«Puls Chat» vom 16. Dezember 2024

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Was wird beanstandet?

Zum «Puls»-Chat sind aus komplementärmedizinkritischen Kreisen 19 Beanstandungen eingegangen. Zusammengefasst wurden vier Vorwürfe geäussert:

  1. Dr. Barbara Schillig, die im Chat Auskunft gab, habe dazu aufgerufen, bei der Krankheit Morbus Crohn eine schulmedizinische Behandlung durch eine hoöopathische Therapie zu ersetzen. Sie hatte ausgeführt, dass Homöopathie als Unterstützung eine Reduktion oder das Pausieren von Medikamenten ermöglichen könne. Diese Einschätzung sei nicht sachgerecht, sondern gar gefährlich für Betroffene.
  2. Die Ratschläge im Chat seien unwahr, da für die Aussagen der Komplementärmediziner:innen keine wissenschaftliche, evidenzbasierte Basis bestehe. Dass diese als Expert:innenwissen präsentiert werde, verletze das Sachgerechtigkeitsgebot.
  3. Es fehle eine einordnende Stimme von SRF, welche die fragwürdigen Aussagen der Fachpersonen relativiere oder falsche Statements als unwahr deklariere.
  4. Die Zusammensetzung der Expert:innenrunde sei nicht ausgewogen zusammengesetzt gewesen. Gegner:innen der Komplementärmedizin kämen im Chat nicht zu Wort.

Was sagt die Redaktion?

Die Redaktion führt zunächst aus, dass Komplementärmedizin viele in der Schweiz zugelassene und weit verbreitete und geschätzte Heilmethoden umfasse. Fünf davon wurden 2017 in den Leistungskatalog der obligatorischen Grundversicherung (KVG) aufgenommen: Anthroposophische Medizin, klassische Homöopathie, Phytotherapie, Arzneimittel-Therapie der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und Akupunktur. Durch diese breite Akzeptanz der Komplementärmedizin in der Gesellschaft sei die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten relevant und von hohem Interesse für das Publikum.

Der beanstandete «Puls Chat» sei begleitend zur SRF-Puls-Sendung «Komplementärmedizin – Hokuspokus oder heilsame Ergänzung?» erschienen. In zweiterem seien kritische Stimmungen und Haltungen aufgezeigt worden, so die Redaktion. Der Chat habe «Service-Charakter» für jene Zielgruppe, die von der Wirkung der Komplementärmedizin profitieren wollten.

Bei der Wahl der Expert:innen für den Chat habe man Personen ausgewählt, die aus ihrer schul- und komplementärmedizinischen Praxis beide Seiten der Diskussion kennen und versuchen, Brücken zwischen den Disziplinen zu schlagen. Sie seien daher befähigt, qualifizierte Auskünfte zu erteilen.

Die Redaktion weist zudem auf den «teilweise harschen und polemisierenden Ton» in den Beanstandungen hin.

Im Anschluss geht die Redaktion auf die einzelnen Vorwürfe ein:

  1. Die Antwort von Dr. Schillig zu Morbus Crohn erfolge auf eine konkrete Nachricht im Chat, in der nach (komplementärmedizinischen) Behandlungsmöglichkeiten bei der chronischen Krankheit gefragt wird. Die von der Expertin verwendeten Begriffe «reduzieren» und «pausieren» würden nicht bedeuten, dass die Komplementärmedizin die Schulmedizin ersetze.
  2. Auch den zweiten Vorwurf der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz weist die Redaktion zurück. Die Wissenschaft sei sich auf diesem Gebiet nicht einig. Dies werde im ausgestrahlten «Puls»-Beitrag auch thematisiert: Während an der Universität Zürich keine nachweisbare Wirkung festgestellt werde, sehe die Universität Bern die Wirksamkeit der Therapien als belegt an. Die «Puls»-Redaktion sei weder in der Lage noch sei es ihre Aufgabe zu beurteilen, welche Universität recht habe. Sowohl Schul- als auch Komplementärmedizin würden für sich geltend machen, dass die Evidenz ihre jeweiligen Ansichten stütze.
  3. Zur fehlenden Einordnung durch SRF im Chat schreibt die Redaktion, dass sämtliche Expert:innen im Chat erfahrene Fachleute seien, die eine Ergänzung der Schulmedizin durch Komplementärmedizin anstrebten. Die von ihnen angebotenen Leistungen seien von der obligatorischen Krankenkasse gedeckt. Die «Puls»-Redaktion habe deshalb nicht die Aufgabe, die Aussagen im Chat in Zweifel zu ziehen.
  4. Ähnlich argumentiert die Redaktion schliesslich auf den Vorwurf der unausgeglichenen Expert:innenrunde: Die eingeladenen Fachpersonen würden beide Ansätze kennen und komplementär praktizieren. Eine Stimme, welche die Komplementärmedizin grundsätzlich ablehnt, wäre im Service-Format «Puls Chat» wenig produktiv gewesen.

Was sagt die Ombudsstelle?

Die Ombudsstelle hält gleich eingangs fest, dass der «Puls Chat» als eigene Publikation zu behandeln sei – und nicht, wie von der Redaktion angeführt, begleitend zur Sendung angesehen werden könne. Der Chat sei denn auch separat im Web aufrufbar. Dem Format fehle eine schriftliche Anmoderation, der Videobeitrag sei in der ursprünglichen Fassung erst am Ende des langen Texts einsehbar gewesen. Man könne also nicht davon ausgehen, dass die Leser:innen des Chats den «Puls»-Beitrag zum Thema ebenfalls gesehen hätten – das zeigten auch die Beanstandungen, die sich auf den Chat beziehen und die dazugehörige Sendung offenbar nicht gesehen hatten.

Ganz grundsätzlich, so stellt die Ombudsstelle fest, sei es problematisch, im Gesundheitsbereich Fragen eines breiten Publikums zum Thema der Komplementärmedizin dezidiert zu beantworten. Die kurzen Ausführungen, welche charakteristischer Bestandteil eines Chats sind, würden von den Fragestellenden sowie Drittpersonen als «wissenschaftliche Wahrheit» gehalten. So würden Aussagen der antwortenden Fachpersonen, die in der Fachwelt umstritten sind, unkommentiert gelassen – und dadurch zum Problem.

Ungeeignet sei der Chat deshalb auch in Bezug auf Aussagen zu ernsthaften Krankheiten wie beispielsweise Morbus Crohn. Die von Dr. Barbara Schillig formulierte Antwort auf Behandlungsmöglichkeiten sei unzulässig, da für eine konkrete Einschätzung genauere Abklärungen des Falls nötig gewesen wären und ernsthaftere Krankheiten nicht über einen Chat behandelt werden könnten.

Ebenfalls problematisch sei eine weitere von den Beanstander:innen kritisierte Aussage in Bezug auf den Einsatz von Globuli, laut derer ein vier Wochen andauernder Husten eines 13-Jährigen innert zwei Tagen nach Verabreichung der homöopathischen Heilmittel «vorbei» gewesen sei. Ein lang anhaltender Husten könnte auch Symptom einer ernsthaften Krankheit sein. Die nur auf die Komplementärmedizin hinweisende Auskunft sei deshalb nicht genügend.

Den Vorwurf der fehlenden kritischen Fachperson im Chat hingegen weist die Ombudsstelle zurück. Es sei durchaus zulässig, ein Chat-Format ohne schulmedizinische Meinung als Gegengewicht auszurichten. Jedoch nur dann, wenn deutlich gemacht wird, dass Komplementärmedizin eben das ist: komplementär, also ergänzend zur Schulmedizin. Sowohl der Experte als auch die «Puls»-Redaktion erwähnen dies zwar im Chatverlauf, aber zu spät und zu wenig prominent. Wäre diese Einordnung klarer erfolgt, fiele die Begutachtung des beanstandeten Formats anders aus, so die Ombudsstelle.

Doch so kommt sie zum Schluss, dass der «Puls Chat» - losgelöst von der «Puls»-Sendung zum Thema – teilweise meinungsverfälschend war und somit gegen das Sachgerechtigkeitsgebot verstiess.

Text: SRG.D/pz

Bild: Screenshot SRF/pz

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