Differenzierte Kritik vom Ombudsmann
Die Sendung «Rendez-vous» vom 6. September 2019 widmete sich in einem Beitrag den «Massnahmen gegen häusliche Gewalt an Frauen». Ein Beanstander findet, der Bericht habe zentrale Themen vernachlässigt. Roger Blum stützt die Redaktion und betont die Wichtigkeit des Themas.
Anlass des Beitrags im «Rendez-vous» war, dass in Frankreich neue Massnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gegen Frauen vorgestellt worden waren. In der Sendung berichtete Paris-Korrespondent Daniel Voll über diese Entwicklungen. Nach der Meinung des Beanstanders sei der Bericht jedoch insgesamt einseitig. So sei nur gesagt worden, dass in der Schweiz alle Bildungsschichten betroffen seien. Demgegenüber habe man nicht erwähnt, dass die Nationalität und die Religion der Opfer und Täter ebenfalls eine Rolle spiele.
Präzisierung notwendig
Fredy Gsteiger, stellvertretender Chefredaktor von Radio SRF setzt sich in der Stellungnahme der Redaktion kritisch und selbstkritisch mit der Beanstandung auseinander. Wäre es im Beitrag schwerpunktmässig um die Herkunft der Täter – ethnisch oder religiös – gegangen, würde er dem Beanstander eher Recht geben. In diesem Fall wäre es aber wichtig gewesen, die Statistiken genauer zu erläutern. Denn um von einer – durchaus möglichen – höheren Tathäufigkeit unter Ausländern oder Muslimen zu sprechen, reicht es nicht, einfach Prozentzahlen zur Tathäufigkeit in Relation zu setzen. Man müsste ebenfalls thematisieren, dass in der Schweiz lebende männliche Ausländer und Muslime im Durchschnitt jünger und weniger gebildet, hingegen häufiger arbeitslos sind und unteren sozialen Schichten angehören. Das heisst, man muss die Zahlen für die Ausländer mit jener von Schweizern vergleichen, die ebenfalls denselben Kategorien angehören, also eher jung, arm, ungebildet sind. Täte man das, so lässt sich zumindest vermuten, dürfte der Unterschied geringer, möglicherweise gar deutlich geringer ausfallen. Dieser Vorbehalt gilt für jede Interpretation von Kriminalitätszahlen aufgrund der Täterherkunft.
Weil es in der kritisierten Sendung jedoch darum ging, dass Frankreich neue Massnahmen zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt vorgestellt hat, weist Gsteiger die Kritik von sich und betont, dass es weder möglich noch sinnvoll sei, jeweils ein Thema – hier die häusliche Gewalt – , in jedem Bericht umfassend abzubilden.
Journalistische Autonomie
Ombudsmann Roger Blum stützt die Argumentation Gsteigers im Grundsatz und weist auf das Prinzip der Programmautonomie hin, das den Journalist*innen zusichert, ohne äussere Einflussnahme selbst über die Themenwahl und den Fokus der Beiträge zu entscheiden.
Ist der Fokus einmal gewählt, dann müssen alle relevanten Aspekte dieses Themenzugriffs behandelt werden. Im kritisierten Bericht geht es darum, was die politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen verschiedener Länder tun, um die häusliche Gewalt zu bekämpfen. In diesem Fall gehört die Frage nach der Nationalität und der Religion der Täter und Opfer nicht zwingend dazu.
Brisantes Thema
Roger Blum kommt jedoch nicht umhin, die Komplexität und die Wichtigkeit des Themas zu betonen. Wie die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, nimmt die häusliche Gewalt in der Schweiz zu: Im Jahr 2017 wurden 17‘024 Straftaten verzeichnet, im Jahr 2018 deren 18‘522. Und man muss stets davon ausgehen, dass es einen beträchtlichen Graubereich gibt, da gerade Delikte, die sich im familiären, privaten Bereich abspielen, vielfach nicht gemeldet und nicht entdeckt werden. 2017 waren unter den Geschädigten 73 Prozent Frauen und 27 Prozent Männer. Differenzierte Daten, die den Zusammenhang der häuslichen Gewalt mit einem Migrationshintergrund erfassen und erklären, fehlen noch für die Schweiz. Ergänzend, findet Blum, könnte die Forschungsexpertise von Prof. Dr. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention im Departement für Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und seinem Team beigezogen werden.
Der Ombudsmann empfiehlt Radio und Fernsehen SRF, der hoch aktuellen Problematik in einer weiteren Sendung vertieft nachzugehen.
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