«Die letzte Pointe» ethisch in Ordnung
SRF zeigte am 6. Oktober 2019 den Film «Die letzte Pointe» über eine lebensmüde alte Frau. Eine Beanstanderin empfand den Film als pietätlos und als implizite Aufforderung zum Suizid. Ombudsmann Roger Blum widerspricht.
«Die letzte Pointe» ist ein Spielfilm des 81-jährigen Regisseurs Rolf Lyssy, der unter anderem auch bei «Die Schweizermacher» Regie führte. Die Hauptfigur des 2017 erschienenen Spielfilms heisst Gertrud Forster (gespielt von Monica Gubser). Die 89-Jährige ist beneidenswert vital und selbständig. Sie glaubt jedoch, an Demenz erkrankt zu sein und möchte daher ihr Leben möglichst selbstbestimmt beenden, bevor sie auf der Demenzstation landet. Gegen diesen Film erhob eine Beanstanderin nun eine Reihe von Vorwürfen. Der gravierendste ist wohl, dass der Film eine implizite Aufforderung an ältere Menschen und Demenzerkrankte enthalte, sich selber zu töten.
Selbstbestimmte Hauptfigur
Für Thomas Lüthi, Redaktor Bereich Fiction SRF, ist dieser Vorwurf nicht nachzuvollziehen. Die Filmfigur Gertrud sei eine selbstbestimmte und selbstbewusste Frau, die keine Probleme damit habe, wenn sie ihren Angehörigen und ihrem Umfeld ab und zu auf den Geist gehe. Damit scheine auch ihr Umfeld nicht zu hadern. So sei sie weitgehend von liebenden und ihr positiv zugewandten Menschen umgeben. Der Umgang mit diesen habe keine negativen Auswirkungen auf Gertruds Befindlichkeit und steigere in keiner Weise ihren Wunsch, sich umzubringen.
Anleitung zum Suizid?
Zum Vorwurf der «Anleitung zum Suizid» gibt Thomas Lüthi zu bedenken, dass ein Regisseur glaubwürdige, eindringliche und erzählerisch effiziente Bilder und Szenen finden muss, um das Innenleben einer Figur darzustellen. Die Szenen, in denen Gertrud sich ihren Suizid vorstellt, sind gemäss Lüthi zurückhaltend und undramatisch umgesetzt.
Ombudsmann Roger Blum geht der Frage nach, ob Medien – aktuelle und periodische wie auch nicht-aktuelle, faktenbezogene und fiktionale – über Suizidversuche und Suizide berichten sollen und dürfen. Klar ist Blums Meinung nach, dass Medien über aufsehenerregende Selbstmorde berichten, etwa über Selbstverbrennungen, Selbstmordattentate, Suizide als Teil von schweren Verbrechen, Suizidversuche an einem sichtbaren öffentlichen Ort oder Suizide prominenter Personen. Umstritten ist jedoch, ob bei prominenten Personen immer auch beschrieben werden soll, wie sie sich umgebracht haben. Umstritten ist ebenfalls, ob die öffentliche Inszenierung eines Freitods gezeigt werden soll, wie dies auch schon geschehen ist.
Privat versus öffentlich
Das Sterben gehört zu den intimsten Momenten des Lebens, so Blum. Hier stehen Privatheit und Öffentlichkeit in einem Spannungsverhältnis. Nicht alles «Private» ist unter allen Umständen privat, intim oder geheim, nicht alles «Öffentliche» ist unter allen Umständen öffentlich und publik. Es gilt also zu definieren, inwiefern ein öffentliches Interesse an einem Bericht über Suizid vorliegt.
Perspektivenwechsel
Weiter fragt Blum nach dem Umgang der Medienschaffenden in der Schweiz mit Suiziden. Bei einer Befragung von 222 Medienschaffenden kam heraus, dass lediglich 24 Prozent von ihnen je über Suizid berichtet haben. Diese Zurückhaltung entspricht auch dem, was der Schweizer Presserat empfiehlt. Suizide seien eine soziale Realität, kein Tabu, die Berichterstattung darüber sollte aber zurückhaltend gemacht und im Zweifelsfall unterlassen werden.
In seiner Beurteilung des Falles plädiert Blum für eine ethikzentrierte Perspektive. Hierbei liegt der Fokus auf der Menschenwürde. Die Berichterstattung über Suizide soll also daraufhin untersucht werden, ob sie die Würde des Suizidalen, der weiteren Opfer, der Angehörigen und des Publikums beachtet. Die Medienschaffenden sind dabei aufgefordert, allen Beteiligten mit Respekt zu begegnen.
Heikel, aber in Ordnung
Im Hinblick auf «Die letzte Pointe» kommt Blum zum Schluss, dass die Prinzipien der ethikzentrierten Perspektive beachtet worden sind: Die Würde aller Beteiligten wurde respektiert. Es wurde niemand erniedrigt und nichts allzu Privates und Intimes gezeigt. Heikel sei die Szene, in der der Fachmann für Sterbebegleitung der Frau nach längerem Drängen zeigt, wie man sich mit Helium umbringen kann. Der Film propagiert jedoch keinesfalls eine bestimmte Suizidmethode, denn die Frau erwägt ganz verschiedene Varianten, um aus dem Leben zu scheiden.
Weiter argumentiert Blum, dass ein solcher Film ein Gesamtkunstwerk ist und dass man nicht willkürlich Szenen herausschneiden kann, die zu den Denkszenarien des Autors und damit der Protagonistin gehören. Solche Szenen darzustellen, gehört zur Kunstfreiheit, weshalb Blum zum Schluss kommt, dass er die Beanstandung nicht unterstützen kann.
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