Ein «klitzekleiner Fehler»
Ein Beanstander kritisierte die Berichterstattung zu China und Tibet in den Radiosendungen «Echo der Zeit» und «Kontext». Er unterstellt SRF die Verbreitung von Fake News. Ombudsmann Roger Blum kann die Beanstandung nur zum Teil unterstützen.
Im «Echo der Zeit» vom 9. Januar 2020 wurde unter anderem der Beitrag «Internet-Zensur in China» ausgestrahlt. Es ging darum, dass in China zwar über 800 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner vom Internet Gebrauch machen, gleichzeitig aber etliche ausländische Internetseiten von chinesischen Zensurmassnahmen betroffen sind. Der Beanstander, der selbst in China lebt, monierte, es seien in der Sendung falsche Angaben zur Internet-Zensur in China gemacht worden. So sei es in der Regel nicht nötig, einen VPN zu benutzen, um auf die Internetseite von CNN zu gelangen. Die Seite sei im vergangenen Jahr lediglich an etwa vier Tagen gesperrt gewesen.
Zensur ist unumstritten
In der Stellungnahme der Redaktion betont der stellvertretende Redaktionsleiter des «Echo der Zeit», Markus Hofmann, dass man sich in der beanstandeten Sendung auf die Erfahrungen des Chinakorrespondenten von Radio SRF, Martin Aldrovandi, stütze, der selbst die Erfahrung gemacht habe, dass die Webseiten von CNN und anderen ausländischen Portalen mehrmals schwer oder nicht erreichbar gewesen seien. Der im Beitrag interviewte Student berichtete dasselbe. Die grundsätzliche Aussage, dass ausländische Webseiten von chinesischen Zensurmassnahmen betroffen seien, werde vom Beanstander zudem nicht bestritten, sondern in der Beanstandung explizit bestätigt, schreibt Hofmann weiter.
Ombudsmann Roger Blum kommt zum Schluss, dass hier Aussage gegen Aussage stehe. Es sei schlicht nicht überprüfbar, wie oft die CNN-Seite nicht aufrufbar sei. Daher entscheide er in «dubio pro reo» und schlage sich auf die Seite des Korrespondenten, der sich ja nicht weiter wehren könne, während dem Beanstander der Rechtsweg an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) offen stehe.
Der Status Tibets
In der beanstandeten «Kontext»-Sendung vom 20. August 2019 ging es um das Thema Flucht. Die Moderatorin spricht über eine vor sechzig Jahren aus Tibet geflohene Familie. «Damit war Tibet als eigenständiger Staat vorbei.» Diese Aussage sei falsch, so der Beanstander. Tibet sei zu keinem Zeitpunkt der modernen Geschichte jemals ein völkerrechtlich anerkannter Staat gewesen.
Eine Frage der Perspektive
Sandra Leis, Leiterin der Redaktion Kultur und Gesellschaft bei Radio SRF 2 Kultur, verfasste die Stellungnahme für die «Kontext»-Redaktion. Sie wies darin auf die verschiedenen Perspektiven auf Tibet hin. So gebe es in diesem Konflikt zwei Perspektiven: eine chinesische und eine tibetische. Der Beanstander, der in Peking lebt, argumentiere aus chinesischer und völkerrechtlicher Sicht. Dem gegenüber habe Moderatorin Maya Brändli mit Blick auf ihren tibetischen Gast die tibetische Sichtweise eingenommen. Die vom Dalai Lama geleitete Exilregierung in Indien vertrete die Auffassung, dass Tibet zum Zeitpunkt der Invasion durch die chinesische Volksbefreiungsarmee ein unabhängiger und voll funktionsfähiger Staat gewesen sei. Leis äussert sich jedoch auch selbstkritisch und hält fest, dass die Redaktion künftig bestrebt sein wird, «in solch delikaten Fragen beide Sichtweisen abzubilden oder zumindest darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Perspektiven gebe.»
Keine Anerkennung
Roger Blum stützt die Argumentation von Sandra Leis und führt in einem kurzen historischen Abriss aus, warum der Status Tibets umstritten ist. Die Aussage, dass die Selbständigkeit Tibets 1959 zu Ende gegangen sei, sei allerdings nicht richtig, so Blum. So habe 1913 der damalige Dalai Lama zwar die Unabhängigkeit Tibets verkündet. Allerdings sei diese durch keinen anderen Staat förmlich anerkannt worden. Blum bezeichnet infolgedessen die Aussage von Frau Brändli, 1959 sei das Ende Tibets als unabhängiger Staat gewesen, als «klitzekleinen Fehler», weshalb er die Beanstandung teilweise unterstützt.
Kommentar