Ombudsstelle unterstützt Beanstandung gegen «10vor10»
Gegen den «10vor10»-Beitrag «Vormundschaftsbehörde in der Kritik» ging eine Beanstandung ein, weil die Nationalität der Angeklagten unnötigerweise erwähnt wurde. Die Ombudsstelle differenziert.
Im Zentrum des Beitrags vom 12. August 2020 stand der Strafprozess gegen ein Ehepaar aus der Region Zürich, das wegen Kindsmisshandlung und weiterer Straftaten angeklagt wurde. Die wichtigste Frage war, warum diese Misshandlungen so lange unentdeckt geblieben sind und warum die Behörden nicht früher eingegriffen haben.
In ihrer Stellungnahme legt die Redaktion die Überlegungen dar, aufgrund derer die Herkunft des Elternpaars erwähnt worden ist. Bei einer Nennung der Nationalität oder des Herkunftslands eines Straftäters wird oft der Vorwurf erhoben, man bediene Vorurteile. Bei einem Verzicht auf die Veröffentlichung dieser Information werfe man der Redaktion dann vor, sie würde Fakten verschweigen. Der Redaktion sei jedoch sehr wohl bewusst, dass die nationale Zuordnung von mutmasslichen Tätern in der Kriminalberichterstattung heikel ist. Die Redaktion wolle weder Vorurteile fördern noch Tatsachen ignorieren und sei daher grundsätzlich eher zurückhaltend und prüfe Fragen wie diese jeweils im konkreten Einzelfall.
Verweigernder Angeklagter
Im vorliegenden Fall habe redaktionsintern eine ausführliche und sorgfältige Diskussion stattgefunden. Der angeklagte Vater habe offenbar mehrfach die Zusammenarbeit mit der Vormundschaftsbehörde und anderen Ämtern verweigert und vorliegende Gefährdungsmeldungen zum Zustand seiner beiden jüngsten Kinder zurückgewiesen oder bagatellisiert. Gemäss den Quellpersonen seien die Vertreter*innen der damaligen Vormundschaftsbehörde (und heutigen Erwachsenen- und Kinderschutzbehörde Kesb) regelmässig mit derartigen Situationen konfrontiert und dies oft bei patriarchalisch geprägten Familien mit Herkunft aus Balkanländern. Auch die schlechten Deutschkenntnisse des Beschuldigten hätten für Schwierigkeiten im Prozess gesorgt. Da die Herkunft des beschuldigten Vaters eine gewisse Rolle bei der Frage des Umgangs mit den Behörden spielt, entschied sich die Redaktion dazu, diese Tatsache in einem Einschub zu erwähnen.
Abschliessend weist die Redaktion darauf hin, dass nicht nur das Herkunftsland genannt wurde. Wörtlich hiess es im Text: «Das angeklagte Schweizer Elternpaar – der Vater ist im Kosovo geboren – befindet sich seit rund 2 Jahren in Sicherheitshaft.»
«Begründetes öffentliches Interesse?»
Die Ombudsstelle zitiert zu Beginn ihrer Beurteilung des Dossiers die Presserichtlinien der Schweiz und Deutschlands. Hinsichtlich des Umgangs mit der Nennung von Nationalitäten in Gerichtsfällen ist dort keine eindeutige Position zu finden. Beide betonen, dass die Nationalität bei «begründetem öffentlichen Interesse» zu erwähnen sei, wobei das «öffentliche Interesse» nicht näher erläutert wird. Gemäss den Schweizer Richtlinien dürfen Angaben über ethnische Zugehörigkeiten gemacht werden, «sofern sie für das Verständnis notwendig sind».
Zweifelhafte Interpretation der Richtlinien
Aus dem vorliegenden Bericht werde nicht deutlich, worin das öffentliche Interesse besteht. Zwar ist die Argumentation der Redaktion schlüssig, allerdings sei der Umgang zwischen den Behörden und dem Beschuldigten im «10vor10»-Bericht nicht thematisiert worden. Auch die erwähnte redaktionsinterne Diskussion schlägt sich im Beitrag nicht nieder. Vielmehr wird der Fokus auf den schockierenden Umgang der Eltern mit ihren Kindern gelegt. Dies suggeriert, dass Eltern mit Balkan-Hintergrund eher zu elterlicher Gewalt neigen als Schweizer Eltern ohne Migrationshintergrund. Eine genauere Recherche hätte jedoch wohl eher gezeigt, dass elterliche Gewalt vermehrt bei den unteren sozialen Schichten vorkommt. Die Information «gebürtiger Kosovare» sei daher nicht relevant für den Bericht, befindet die Ombudsstelle. Es sei eine zweifelhafte Interpretation der einschlägigen Presserichtlinien. Die Ombudspersonen sind jedoch der Meinung, dass der Fehler in diesem Kontext nicht derart gravierend ist, dass eine Verletzung eines Programmgrundsatzes gemäss Art. 4 Abs. 2 des Radio- und Fernsehgesetzes vorliegt.
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