Feedback ist mehr als Kritik
Mehr als eine halbe Million Menschen begleitet Radio SRF 1 morgens in den Tag. Wer bewertet die Arbeit derjenigen, die die Sendungen machen – und wie?
Für Michael Brunner und Sonja Hasler markiert die Morgensitzung das baldige Ende ihres Arbeitstages. Seit drei respektive vier Uhr sind sie im Studio, seit fünf Uhr ist Brunner auf Sendung, jetzt ist es kurz nach neun. Im dritten Stock des Radiostudios Brunnenhof in Zürich strahlt helles Frühlingslicht durch grosse Fenster; in einer roten Sofa- und Sessellandschaft im offenen Begegnungsraum der Redaktion versammeln sich die Kolleginnen und Kollegen: diejenigen, die den frühen Morgen bestritten haben, und die, die in den nächsten Stunden den darauffolgenden Morgen vorbereiten.
Die nächste Sitzung nicht verpassen
Samuel Schmid, in dieser Woche publizistischer Tagesverantwortlicher (TAV), eröffnet die Sitzung. Er spricht schnell – das bringt der Job mit sich: Eine Planungs- und Feedback-Sitzung jagt die andere, dazwischen gilt es, auf dem Laufenden zu bleiben, was draussen in der Welt und drinnen im Studio passiert, für Kolleginnen und Kollegen da sein, bei denen in der weiteren inhaltlichen Planung Fragen auftauchen, sich mit Kritik aus dem Publikum auseinandersetzen und darauf reagieren – und schliesslich: die nächste Sitzung nicht verpassen.
Jeder Tag ist für die Programmgestaltenden ein besonderer Tag, aber dieser ist noch etwas spezieller: SRF startet die sogenannte Mission B, ein senderübergreifender Themenschwerpunkt, der auf eineinhalb Jahre ausgerichtet ist und zum Ziel hat, die Menschen in der Schweiz für die Biodiversität zu sensibilisieren und einen kleinen Beitrag zu leisten, um dem Artensterben entgegenzuwirken. Die Mission B ist denn auch das grosse Thema an der 9-Uhr-Sitzung, die erst mal eine Feedback-Sitzung ist. Hier tausche man aus, was funktioniert hat, was nicht und was für den nächsten Morgen geplant sei, erklärt Samuel Schmid.
Technisches herunterbrechen
«Also, Morgenteam: Was konnte man heute brauchen, was weniger?» SRF 1-Morgenmoderator Michael Brunner, der erst gerade den Kopfhörer abgelegt und das Sendestudio verlassen hat, sitzt jetzt entspannt auf einem Hocker, schaut in die Runde und sagt: «Alles konnte man brauchen!» Aber er habe bereits ein, zwei Erkenntnisse zur Mission B: «Wir sollten das schwierige Thema nicht unnötig noch komplizierter machen, als es ist, und zum Beispiel ohne die verschiedenen Mitwirkenden zu nennen, einfach sagen: Wir thematisieren für und mit euch ab heute die Biodiversität.» Produzentin Sandra Widmer, die die Sendung vorbereitet hat, hört aufmerksam zu und nickt.
Der Start der Mission B bleibt das grosse Thema der Runde an diesem Morgen. «Es war alles gut getextet», sagt die ausführende Morgenproduzentin dieser Woche, Sonja Hasler: «Biodiversität ist einfach sehr abstrakt und wir werden noch daran arbeiten müssen, das herunterzubrechen, etwa indem wir anstatt von ‹70 Prozent der Amphibien› zu reden, die Tiere beim Namen nennen, ganz konkret zum Beispiel den Rotmolch.» Ein paar Minuten später ist man als Zuhörende um die Erkenntnis reicher, dass Radio und insbesondere Moderation in anschaulichen Bildern funktionieren – und idealerweise gelingt es den Moderatoren, diese Bilder in die Köpfe der Zuhörenden zu transportieren. Samuel Schmid gefiel an diesem Morgen der Fokus auf die Vögel, die von den Insekten abhängig sind, um zu überleben. Ja, aber es sei alles halt trotzdem noch «ühüere technisch», sagt der Walliser Morgenmoderator.
«Biodiversität ist einfach sehr abstrakt und wir werden noch daran arbeiten müssen, das herunterzubrechen.» - Sonja Hasler, Morgenproduzentin
Diese Erkenntnisse nehme er ins Wochenfeedback mit, wird Samuel Schmid später, zwischen zwei weiteren Sitzungen, sagen. Es gebe übrigens ganz viele Feedback-Instrumente, die der Qualitätssicherung bei Radio SRF 1 dienen, er fängt an aufzuzählen: «Schriftliche Rückmeldungen durch die Programmleitung; wöchentliche Feedbacks durch Teamleiter und Sendemacherinnen und -macher zu den Sendungen ‹Doppelpunkt›, ‹Forum› und ‹Persönlich›; Programm-Monitorings mit Internen oder auch Externen; die Auswertung von Hörerfeedbacks; Bereichsleitungs-Feedbacks; Programm-Monitorings durch den Publikumsrat; gezielte Coachings im Bereich Social Media und Moderation sowie Einbezug der Markt- und Publikumsforschung.»
Umgang mit den Hörerinnen und Hörern
Auch von den Hörerinnen und Hörern kommen Rückmeldungen. An diesem Morgen beispielsweise trafen bereits Mails auf der Studioadresse ein, noch bevor diese bekannt gegeben worden war. Das Thema Biodiversität scheint zu interessieren – und es wird auch polarisieren und für Kritik sorgen, ist sich Samuel Schmid sicher. «Die Reaktionen beantworten wir und wir begründen, weshalb wir uns für das Thema entschieden haben.»
«Da setze ich mich hin und schreibe eine Mail oder rufe an. Im Gespräch entsteht meist Verständnis.» - Samuel Schmid, TAV
Alle Inhalte von SRF müssen den hausinternen publizistischen Leitlinien entsprechen. Das Handbuch liege in jeder Redaktion griffbereit, sagt Samuel Schmid, «und alle redaktionellen Mitarbeitenden sind darin geschult». Die Leitlinien verlangen Fairness und Ausgewogenheit, noch verschärft vor Wahlen und Abstimmungen. Ein-, zweimal in der Woche komme es vor, dass ein Hörer oder eine Hörerin Inhalte, die er zu verantworten hat, bemängelt, sagt Schmid. «Da setze ich mich hin und schreibe eine Mail oder rufe an. Im Gespräch entsteht meist Verständnis.» Ja, in den Kommentarspalten von SRF 1 treffe man manchmal auch auf Kommentare von Wutbürgern, sagt er, «aber wenige. Wir verschärften vor drei Jahren die Zugangsvoraussetzungen: Seither müssen alle auch ihre Handynummer angeben. Das reguliert stark.» Dass mit der Digitalisierung und vor allem via E-Mail und Kommentarfunktion die Zahl der Feedbacks allgemein stark zugenommen habe, das spüre man aber schon.
An diesem Morgen haben die Sendungsmachenden aufgrund von internen Feedbacks kleine, aber wichtige Finessen zur Biodiversität gelernt – etwa, dass man nicht pauschal von «vom Aussterben bedroht» reden könne, sondern dass es korrekt sei, nur «bedroht» zu sagen. Solche fachlichen Feedbacks erhalten sie oft von Internen, in diesem Fall den Biologinnen in der Fachredaktion. Generell seien alle, die Sendungen moderieren und produzieren, erpicht auf Feedback, sagt Samuel Schmid, «sie wünschen sich so viel wie nur irgendwie möglich. Die Schwierigkeit ist, dass wir ja nicht gleichzeitig planen, diskutieren, koordinieren und auch noch die Sendungen, die gerade über den Äther gehen, hören können.» Sie würden sich also einzelne Sendungen und Beiträge herauspicken, «in der Woche sind es drei grössere Sendungen, auf die wir den publizistischen Tagesverantwortlichen Feedback geben».
«Die Schwierigkeit ist, dass wir ja nicht gleichzeitig planen, diskutieren, koordinieren und auch noch die Sendungen, die gerade über den Äther gehen, hören können.» - Michael Brunner, Moderator Radio SRF 1
Spontaner sind die eigenen Worte der Moderatorinnen und Moderatoren. Sie, die ohnehin am exponiertesten sind, erhalten denn auch viel mehr Feedback auf ihre Arbeit als alle anderen. Der Walliser Michael Brunner kann diesbezüglich die eine und andere Anekdote erzählen. Aber dialektbezogene Feedbacks berühren ihn nicht gross – nicht mehr jedenfalls, nach elf Jahren. Relevanter seien die Inhalte. «Sie entstehen ja im Team. Und das Tolle ist, dass wir ebenfalls im Team Feedback erhalten, jeden Tag und ja, sogar nach jeder Sendung!» Der Gesichtsausdruck, mit dem Michael Brunner das erzählt, sagt unmissverständlich: Feedback macht glücklich.
Die SRF 1-Morgenrunde: (von links): Elena Bernasconi, Moderatorin; Radka Laubacher, Tagesproduzentin; Sandra Widmer, Morgen- Vorbereitungsproduzentin. Hinter ihr (verdeckt): Pascal Folke, Reporterin in der Morgenvorbereitung; Sonja Hasler, Morgenproduzentin; Samuel Schmid, Tagesverantwortlicher; Michael Brunner, Morgenmoderator.
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